Das Buch der Schurken. Martin Thomas Pesl

Das Buch der Schurken - Martin Thomas Pesl


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270.

      STÄRKE: Sesam

      SCHWÄCHE: Öl

      REICHENINDEX: ÜBERLEBENDE: ERZFEINDE: Ali Baba, Morgiane

      CAROLINE BINGLEY

      AUTOR: Jane Austen

      TITEL: Stolz und Vorurteil

      (aus dem Englischen von Margarete Rauchenberger)

      ORIGINALFASSUNG: 1813

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      » Ich für meinen Teil«, sprudelte sie weiter, »habe sie ja nie besonders schön gefunden. Ihr Gesicht ist zu mager, ihre Haut hat nichts Strahlendes, ihre Züge sind ganz und gar nicht hübsch, und ihre Nase hat keinen Charakter. Es liegt nichts Bemerkenswertes an ihren Zügen. Ihre Zähne sind ganz nett, aber nichts Besonderes. Und was ihre Augen anbelangt, die als so besonders schön bezeichnet wurden, so habe ich nie etwas Außerordentliches an ihnen finden können, es sei denn einen scharfen, zänkischen Blick, den ich gar nicht mag.«

      Willkommen im viktorianischen Zickenkrieg! Caroline Bingley, die noch unverheiratete Schwester des gutaussehenden Mr. Bingley (Aussteuer: 20.000 Pfund), lebt hier voller Stolz ihre Vorurteile aus, vor allem gegenüber Elizabeth Bennet, die ihr ihren heimlichen Schwarm, den unzugänglichen Mr. Darcy, abspenstig machen will. Diese Frau ist die Intrigantin schlechthin im Universum der herzzerreißenden marriage plots aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Solange sie noch denkt, die Rivalin habe keine Chance, setzt sie ein gequältes Lächeln auf und mimt die verständnisvolle Freundin. Hinter ihrem Rücken zieht sie jedoch ungeniert über sie her wie ein gut gecoachter C-Promi im Junggesellenverkupplungsfernsehen.

      Und je mehr sich der anfangs noch über allem stehende Darcy für die lebensfrohe Elizabeth zu interessieren beginnt, desto stärker engagiert sich Caroline Bingley gegen die Rivalin. Dabei bleibt sie richtig feige: Denn auf die Idee, dem Mann ihre eigenen Vorzüge vorzuführen, anstatt die Nachteile der anderen überdeutlich hervorzustreichen, kommt sie nicht. Vielleicht hat sie ja keine … Ich meine ja nur … Oh je, das steckt schon an, dieses fiese Gezwitscher.

      Besonders schurkisch darf sich Miss Bingley auch dadurch fühlen, dass im Austen-Universum, in dem es nur um Geld, Rang und bedeutende Familienmitglieder geht (der Onkel ein einfacher Anwalt? Pah!), eine ganze Reihe überspannter, unsympathischer Gestalten durch die Gegend läuft. Elizabeths Mutter, die insgesamt fünf Töchter unter die Haube zu bringen hat, ist überhaupt nur am Verkuppeln interessiert. Selbst als ein eher zwielichtiger Mr. Wickham (der es trotz seines sprechenden Namens – »wicked« = »böse« – nicht zum Top-Austen-Bösewicht geschafft hat) die Drittälteste geradezu über Nacht entführt, findet sie damit schnell ihren Frieden. Hauptsache Hochzeit. Dann ist da noch Lady Catharine de Bourgh, die ihre schützenden adeligen Arme über die Darcys und die Bingleys hält und meint, Elizabeth eine Heirat mit Darcy einfach durch Arroganz und Herablassung verbieten zu können.

      Und doch schießt Caroline Bingley den Vogel ab. Sie geht die intrigative Extrameile. Leider konnte vor Fertigstellung dieses Lexikons nicht eruiert werden, ob sie es, gespielt von Emma Greenwell, in der 2016 erscheinenden Verfilmung der Parodie Stolz und Vorurteil und Zombies mit der verschärften Grausamkeitskonkurrenz durch die Zombies aufnehmen kann oder ob sie vielleicht selbst zu einem wird. ■

      HERKUNFT: Großbritannien

      POSITION: Oberzicke

      INTRIGENSCHLEUDERGEFAHR: hoch

      TAKTGEFÜHL: niedrig

      GEHEIMNIS: steht total auf Mr. Darcy

      MITGIFT: Oh ja, mit Gift!

      ERZFEINDIN: Elizabeth Bennet

      CHARMANTESTER KOMMENTAR ÜBER

      ELIZA BETH: »Ihre Zähne sind ganz nett.«

      HOLLÄNDER MICHEL

      AUTOR: Wilhelm Hauff

      TITEL: Das kalte Herz

      ORIGINALFASSUNG: 1827

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      » Auf mehreren Gesimsen von Holz standen Gläser mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt und in jedem dieser Gläser lag ein Herz, auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las; da war des Herz des Amtmanns in F., das Herz des dicken Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkönigs, das Herz des Oberförsters; da waren sechs Herzen von Kornwucherern, acht von Werboffizieren, drei von Geldmäklern – kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgebung von zwanzig Stunden.

      »Auf dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien«, heißt es bei Oscar Wilde, »wenn Wünsche enttäuscht werden und wenn sie in Erfüllung gehen. Die zweite ist viel schlimmer.« Dem Holländer Michel ist im Hauff-Märchen Das kalte Herz eine dritte einschlägige Tragödie zu verdanken: wenn man sich nämlich an der Wunscherfüllung nicht mehr erfreuen kann.

      Der Holländer Michel – eigentlich müsste es ja heißen: der Holländer-Michel, denn er ist kein Holländer, sondern erlangte seinen Ruhm nur durch höchst erfolgreichen Holzexporthandel in Rotterdam – dieser Michel also, ein Berg von einem Kerl, ist ein Finanzhai, wie er im Märchenbuche steht. Nunmehr zum mythologischen Waldgeist Marke (gigantisches) »Teufelchen« geworden, agiert er als Mephisto der kühlen Berechnung und macht mit naiven Seelen – basierend auf einer zugegeben genialen Marketingidee – ein Geschäft, das nur zu deren Ungunsten ausgehen kann: Er ermöglicht ihnen Reichtum und Reisen und behält dafür ihr Herz als Pfand ein, notdürftig ersetzt durch eine steinerne Attrappe, hart und kalt, zu keinerlei Empfindung fähig.

      Kurzfristig ein Vorteil, weil Skrupel und Barmherzigkeit dem unmittelbaren Gewinnmaximierungsstreben nicht mehr im Wege stehen. Auf lange Sicht aber macht das ebenso umfassende Fehlen aller positiven Gefühle das Ganze zu einem Nullsummenspiel. Symptome: Stumpfheit, Langeweile, Sinnentleerung. Nebenwirkung: Erschlagen der eigenen Frau, weil diese einem Bettler Almosen zusteckt. Hauptfigur Peter Munk hat da nur Glück, dass er beim anderen Waldgeist Marke »Engelchen«, dem Glasmännchen, noch einen Wunsch frei hat und erfährt, wie er dem Michel – bei dem das Gold das Einzige ist, was glänzt – sein richtiges Herz wieder abluchsen kann.

      Antipathieverschärfend kommt noch eine gewisse Pädophilenmanier hinzu, mit der Michel gewohnt ist, sich seinen Opfern anzunähern: im Wald tiefstimmig eine zwanglose Konversation anleiern und verlockende Geschenkangebote machen. Wenn das nicht funktioniert, hinter dem armen Kinde herlaufen und ihm drohen. Es mit Schlagstöcken attackieren, die sich dann in Schlangen verwandeln, welche von kreischenden Auerhähnen gerissen werden – nun gut, das geht dann schon in eine eher romantischfantastische Ausformung des turbokapitalistischen Kinderschänders über.

      Und was können jetzt also die Holländer dafür? Rein gar nichts! Auch so eine Herzlosigkeit. ■

      HERKUNFT: Schwarzwald

      BERUF: Holzhändler

      FUNKTION: Waldgeist

      HOBBY: Steinmetz spielen

      TALENT: Marketing

      GRÖSSE:


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