Das Buch der Schurken. Martin Thomas Pesl

Das Buch der Schurken - Martin Thomas Pesl


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ungeheure Stiefel

      ERZFEIND: das Glasmännchen

      URIAH HEEP

      AUTOR: Charles Dickens

      TITEL: David Copperfield

      (aus dem Englischen von Gustav Meyrink)

      ORIGINALFASSUNG: 1850

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      » Er folgte mir auf dem Fuße, als ich die Treppe hinabging. Er schlich dicht neben mir, als ich mich vom Hause entfernte, und schob zögernd seine langen Knochenfinger in die noch längeren Finger seiner Handschuhe.

      Ich fühlte gar keine Neigung für seine Gesellschaft, aber ich mußte an Agnes’ Bitte denken und lud ihn ein, mit mir zu kommen und eine Tasse Kaffee zu trinken.

      »Ach, Master Copperfield, ich bitte vielmals um Entschuldigung, Mister Copperfield, – das Master kommt mir immer so auf die Lippen – ich möchte nicht, daß Sie sich Ungelegenheiten machen, indem Sie eine so niedrige Person wie mich in Ihr Haus laden.«

      »Es macht mir gar keine Ungelegenheiten«, sagte ich. »Wollen Sie?«

      »Es würde mich sehr, sehr freuen«, entgegnete Uriah mit einer kriecherischen Verbeugung.

      Uriah Heep, sind das nicht langhaarige Altrocker aus England? Lady in Black? … Very ’Eavy … Very ’Umble? Genau, und Letzteres hat natürlich mit ihrem Namensgeber zu tun: dem kleinen, gierigen Kriecher aus David Copperfield, für den das ’Umble-Sein, also die Demut und Unterwürfigkeit, nichts weiter ist als eine Masche.

      »Master Copperfield«, redet er ihn immer an, als sie noch beide Teenager sind, aber auch später. Das ist so, wie in Wien jemandem mit »g’schamster Diener« zu begrüßen und dabei genau durchklingen zu lassen, wer hier der Diener und wer der Herr sein sollte.

      Bei Charles Dickens kommen die Bösen immer als Rundumgesamtpaket daher: Sie sind gemein (oft einfach deshalb, weil sie arm sind), trickreich und obendrein auch noch hässlich und übelriechend. Es ist sehr leicht, sie nicht zu mögen, und sehr schwierig, sie loszuwerden. In Uriah Heeps Fall erlaubte sich Dickens gar einen kollegialen Seitenhieb: Vorbild für die Figur war niemand geringerer als der dänische »Märchenonkel« Hans Christian Andersen.

      Uriah Heep Unlimited, das könnte doch auch eine Klebstoffmarke sein? Tatsächlich kann sich David bei aller Antipathie dem Kerl nicht entziehen. Vielleicht das Autounfallphänomen? Vielleicht der Ehrgeiz: Der muss doch irgendwo zu knacken, zu entlarven sein in seiner Schleimigkeit?

      »Sehr unvorsichtig, Mister Copperfield«, würde Uriah Heep selbst es formulieren. Denn durch seine Annäherung an Uriah ist er Teil von dessen intrigantem Spiel geworden, dessen Ziel ganz straight – straighter als jede heepsche Verhaltensregung – die Entehrung des Mädchens und die Einheimsung ihres väterlichen Vermögens ist. Dabei hat sein Vater doch immer Bescheidenheit gepredigt. Und die Mutter plappert das nach: »Ury! Ury!«, und demütig solle er sein.

      Und das ist das Problem: Denn natürlich wären wir nicht bei Dickens, wenn dem elendigen Uriah Heep nicht durch die Schuld des Systems einzig die Gauneroption offengeblieben wäre: »(…) wie man uns in der Schule von neun bis elf lehrte, die Arbeit sei ein Fluch, und von elf bis eins, daß sie ein Segen, eine Freude und eine Ehre sei, und ich weiß nicht, was sonst noch, was?«, sagt er mit einem höhnischen Grinsen. Wie soll man sich da auch auskennen? Eine allzu brave Welt bringt böse Menschen hervor. ■

      BERUF: Schreiber

      FINGER: lang

      MERKMAL: Unterwürfigkeit

      VERGEHEN: Betrug

      INTRIGANTENFAKTOR: ERZFEINDE: Wilkins Micawber, David Copperfield VORBILD: Hans Christian Andersen

      DIE THÉNARDIERS

      AUTOR: Victor Hugo

      TITEL: Die Elenden

      (aus dem Französischen von Edmund Th. Kauer)

      ORIGINALFASSUNG: 1862

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      » Thénardier war ein kleiner, magerer, schwächlich aussehender Mann, der krank zu sein schien; dabei fühlte er sich glänzend, sogar seine Krankheit war nur Betrug. Er pflegte vorsichtshalber immer zu lächeln und war zu fast allen Leuten höflich, sogar zu dem Bettler, dem er einen Pfennig verweigerte. (…)

      Sie sah aus wie ein Schwerathlet, der sich als Mädchen verkleidet hat. Fluchen konnte sie prachtvoll, und sie rühmte sich, daß sie eine Nuss mit der Faust sprengen konnte. Wenn sie nicht ihre Romane gelesen hätte – wovon eine gewisse Gerührtheit und Zimperlichkeit ihres Wesens herrührte –, wäre wohl niemand darauf verfallen, sie für ein Weib zu halten.

      Eines muss man ihnen lassen: Sie sind ein Traumpaar. Natürlich streiten sie und gehen recht rüde miteinander um, aber sie passen unbestritten perfekt zusammen, schon deshalb, weil niemand sonst einen der beiden würde haben wollen. Wer denkt, Victor Hugos Les Misérables müsste als Die Miserablen übersetzt werden, für den sind die Thénardiers die Hauptfiguren.

      Betrug und Niedertracht sind ihnen derart ins Blut übergegangen (oder waren dort immer schon drin? – durchaus eine Schwerpunktfrage dieses Romans), dass sie sogar ihren eigenen Kindern gegenüber reflexartig eine skrupellose Ausbeutungshaltung an den Tag legen. Nachdem Thénardier bei Waterloo einem General zufällig das Leben gerettet hat, hält er ihm das lange, lange vor. Und als das Gastwirtepaar das arme Mädchen Cosette in Pflege nimmt, hat es dabei natürlich auch einen goldenen Glanz in den Augen. Monatlich sieben Francs soll Cosettes Mutter Fantine ihnen schicken. Als sie erfahren, dass es sich um ein uneheliches Kind handelt, sind es plötzlich erpresserische fünfzehn, und als sie schreiben, das Kind friere, und daraufhin statt weiteren Münzen ein Wolljäckchen zugeschickt bekommen, geraten sie so sehr in Wut, dass sie Cosette die Jacke erst recht vorenthalten.

      Es braucht einen durch und durch gütigen Retter, um die Kleine aus dieser Situation zu befreien: Jean Valjean, Hauptfigur und haarscharf am Jesus mit Heiligenschein vorbeigeschrammt, ist charakterlich das krasse Gegenteil der widerwärtigen Wirte. »ExtremGebing« trifft auf »Extrem-Nehming«, sodass es geradezu amüsant ist, zu sehen, mit welchem heiligen Ernst Victor Hugo an den äußersten Enden des Schwarz-Weiß-Spektrums balanciert.

      Aber die Thénardiers sind nicht nur gierig, sondern auch nachtragend, insofern, als dass sie es dir nicht verzeihen, wenn du ihnen eine sichere Einkommensquelle entziehst. Und so kommt es dann noch Jahrzehnte später, als die anderen Elenden (auch Mme. Thénardier) verstorben, verhaftet, verheiratet oder sonst irgendwie in ihrem Frieden angelangt sind, zu einem Aufeinandertreffen nach dem Motto: »Wenn zwei Menschen in der Kloake sind, müssen sie einander notwendigerweise begegnen.« Ein neuerlicher Erpressungsversuch geht jedoch schief, und Thénardier fliegt in seiner gesamten erbärmlichen Habgier auf. Trotzdem kommt er davon – schluchz! –, und zwar, weil die anderen einfach so gute Menschen sind. ■

      HERKUNFT: Frankreich

      BERUF: Gastronomiebetreiber, später Bittschreiber

      HOBBY: Geld

      SCHULD: die Gesellschaft

      FLÜSSIGKEIT: Schleim

      LIEB ZU KINDERN: nein

      ERZFEIND: Jean Valjean

      FILMDARSTELLER: Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter

      INDIANER JOE


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