Waldlichter. A. V. Frank
weg, um der Rothaarigen Platz zu machen.
Diese lächelte und sagte dann mit einer sehr schönen, melodischen Stimme: „Hallo! Es ist toll, dass so viele hier versammelt sind, vor allem weil es dieses Jahr jede Woche statt nur einmal im Sommer Karaoke gibt. Doch genug der Worte, nun lauscht und genießt.“
Es gab vereinzelten Applaus, der allerdings verstummte, als die Band anfing zu spielen. Die Melodie überschwemmte den Raum förmlich, ließ alle verträumt blinzeln und setzte sich in ihren Herzen fest. Schließlich begann Julia, auf Gälisch zu singen. Alle waren schier verzaubert und starrten die vier auf der Bühne gebannt an, sowohl die, die sie bereits kannten, als auch die neuen Gäste.
Nachdem die Musik verklungen war, tobte die Menge. Brina, Julia, Charles und Darragh lächelten und kündigten im Folgenden ein Duett an. Caro und Tran traten vor und nahmen Aufstellung vor dem Mikro.
Sie wollten gerade anfangen zu singen, da schritt Lilly ein, der der Betrug anscheinend gerade erst aufgefallen war. „Nichts da, ihr müsst beide ein Solo singen, Duette zählen nicht.“
Tran und Caro sahen sich leidend an und versprachen, nach dem Duett zusätzlich die verlangten Soli zum Besten zu geben. Damit schien Lilly zufrieden zu sein und machte die Bühne frei.
Die Band begann zu spielen und die beiden Freundinnen setzten exakt richtig ein. Sie konnten ziemlich gut singen, trafen nur selten einen falschen Ton. Die Musik bezauberte die Leute von Neuem, sodass es nicht mal sonderlich auffiel, als Caro einen Hustenanfall bekam und nicht mehr mitsingen konnte. Die beiden Mädchen bekamen großen Applaus, bevor das erste der gefürchteten Soli folgte. Inzwischen hatte sich irgendwie herumgesprochen, wer die Armen waren, die alleine vorsingen mussten, und alle starrten die Clique an.
Unbehaglich trat Ana von einem Fuß auf den anderen, aber als sie verkündeten, dass es The Prayer war, was sie nun spielen würden, trat sie einen Schritt vor. Dieses Lied kannte sie von ihrer Mutter und sie musste diese Chance ergreifen. Also wurde sie auserwählt, ihr wurde ein Blatt mit dem Text in die Hand gedrückt und sie stellte sich vor das Mikrofon. Hinter ihr begann die Band zu spielen und zögernd setzte sie ein. Nach der ersten sehr verhalten vorgetragenen Strophe hatte sie die Melodie wieder im Kopf und begann, sicherer und lauter zu singen. Sie hörte ihre Stimme, die sich der Musik einigermaßen gut anpasste und keinen einzigen falschen Ton sang. Das stärkte ihr Selbstvertrauen. Was kümmerte es sie, was eine lästige Stimme in ihrem Kopf behauptete oder ob die anderen neidisch auf sie waren? Es hatte ihr egal zu sein, und zwar beides.
Viel zu früh endete das Lied und sie trat unter donnerndem Applaus wieder aus dem Rampenlicht.
Dann folgten einige ihr unbekannte Lieder, die von ihr unbekannten Personen vorgetragen wurden, zwischendurch waren aber auch Marina, Lisa und Caro an der Reihe.
Dann kündigte die Band Caledonia an und Vici trat nach vorne. Ana konnte erkennen, wie sehr sie zitterte und wie sehr sie versuchte, es zu verbergen. Sie bekam den Text und die Band begann zu spielen. Unsicher schaute sich Vici im Raum um und begann zu singen. Ihre Stimme schmiegte sich perfekt an die Musik an oder war es andersherum? Das Lied umschmeichelte alle und der gesamte Pub stimmte leise mit ein. Vici stand derweil vorne auf der Bühne und sang wie eine Sirene.
Alle begannen sich im Takt der Musik zu wiegen, selbst die Musiker schienen überrascht. Diese zauberhafte Stimme lullte alle ein, niemand konnte sich ihr entziehen. Auch Ana stand da, wiegte sich leicht hin und her und spürte die Sehnsucht und die Liebe zu Schottland, die Vici da besang.
Als der letzte Ton verklungen war, erwachten alle wie aus einem Traum, schüttelten sich und nach einer kurzen Pause erhob sich frenetischer Applaus, doch Vici hastete schüchtern von der Bühne und flüchtete sich in die hinterste Ecke.
Alle, die danach an die Reihe kamen, waren nicht mal annähernd so gut wie Vici. Ana derweil war davon geschockt, wie mitreißend dieses Lied auf alle gewirkt hatte. Und die Clique hatte sie mal wieder stehen lassen und beglückwünschte stattdessen Vici.
Der Abend endete mit einer Bandnummer. Diesmal sangen beide, Brina und Julia, auf Gälisch und hinterließen im Herzen eines jeden eine wundervolle, berührende Melodie. Im Kopf noch immer der Band lauschend, gingen die Leute schlafen.
Ana lag noch lange wach und grübelte über Vici nach, die friedlich neben ihr schlummerte. Sie war nun noch viel beliebter und Ana wurde weiterhin nicht sonderlich viel beachtet. Das Schicksal hatte eindeutig etwas gegen sie! Traurig kuschelte sie sich tiefer in ihre Decken und schlief bald darauf ein.
Auch Tran war traurig, denn sie wusste, dass sie Sirman so bald nicht wiedersehen würde, und vermisste ihn schon jetzt. Über den Abend oder sonst etwas machte sie sich keine Gedanken, sie wusste nicht einmal, welcher Tag war. In ihren Gedanken gab es nur Sirman und eine riesige Sehnsucht nach seinen grünen Augen.
Vici hingegen träumte von Musik, von Schottland und von Freude. So glücklich wie an diesem Abend war sie schon lange nicht mehr gewesen. Weshalb sie auf einmal so gut singen konnte, wusste sie nicht, denn vorher war das nie der Fall gewesen, aber es interessierte sie auch nicht.
Doch sie alle konnten nicht wissen, wie knapp die Zeit bemessen war, die ihnen hier vergönnt war.
*
Kapitel 7
Ich wachte am nächsten Morgen auf und hatte noch immer blendende Laune. Seit ich hier in Irland war, fühlte ich mich einfach wundervoll entspannt. Auch Ana war schon wach, sie saß mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett und starrte aus dem Fenster. Dieser Anblick machte mich stutzig, erinnerte mich an etwas. Ich konnte allerdings nicht sagen, woran. „Es wird mir noch früh genug einfallen“, dachte ich und richtete mich auf.
Als ich meine Brille aufsetzte, musterte sie mich mit düsterem Blick. Ich unterdrückte mit Mühe ein Augenrollen, schließlich hatte ich ihren Ärger über mein atemberaubendes Gesangserlebnis bereits gestern gespürt. Dabei konnte ich mir selbst nicht erklären, was mit mir los war. Also sagte ich nur Guten Morgen und ging duschen.
Als ich aus dem Bad zurückkam, schliefen außer Ana immer noch alle und so beschloss ich, sie genauso zu ignorieren, wie sie es mit mir tat, und schrieb meinen Eltern eine kurze SMS, in der ich Bescheid sagte, dass es mir gut ginge und es toll wäre. Das war das Mindeste, was ich tun konnte, auch wenn es mich wurmte, dass ich als Achtzehnjährige meinen Eltern Rückmeldung geben musste. Nun ja, jetzt war es erledigt und ich erwartete auch keine Antwort, also pfefferte ich mein Handy in meinen Koffer, der geöffnet unter meinem Bett hervorlugte.
Dann betrachtete ich aus den Augenwinkeln Ana, die erneut zum Fenster hinaussah. Sie wirkte gedankenversunken und traurig. Etwas in mir wollte sich immer noch erinnern, doch der Rest wusste nicht einmal, wieso ihn das interessieren sollte. Inzwischen war es zehn, wie ich feststellte, als ich auf die Uhr an der Wand sah. Unruhig wippte ich mit dem Fuß und ließ meinen Blick unstet im Raum umherschweifen. Die Ordnung, die Eric am Tag zuvor hergestellt hatte, hatte bereits wieder gelitten.
Ich hatte extreme Langeweile, wollte die anderen aber nicht wecken. Doch schon bald hielt ich es nicht mehr aus, nahm mir mein Buch heraus und las. Als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war es vierzehn Minuten nach elf. Ana hatte anscheinend alles gesehen, was es draußen zu betrachten gab, und las ebenfalls. Doch mir fiel auf, dass sie selbst dabei andauernd aus dem Fenster blickte und nachdenklich die Stirn runzelte.
„Wahrscheinlich hat sie sich gestern mit irgendeinem Typen verabredet und ist nun beunruhigt, weil er nicht kommt“, dachte ich verächtlich.
Nachdem ich weitere hundert Seiten gelesen hatte, begann sie plötzlich, leise Laute auszustoßen. Ich sah sie verärgert an, doch sie hatte ihren Blick schon wieder auf das Fenster gerichtet und schien dabei irgendetwas zu flüstern.
„Siehst du gerade das erste Mal einen Vogel fliegen oder was ist da draußen so interessant?“, fragte ich sie genervt. Ich konnte nicht richtig hören, was sie da von sich gab, aber es ging mir gewaltig auf den Geist.
Erschrocken fuhr sie zusammen und starrte mich dann mit zornfunkelnden Augen an. „Nur