Waldlichter. A. V. Frank

Waldlichter - A. V. Frank


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sagte ich kurz angebunden, weil ich schon wieder geheimnisvolle Flötentöne hörte und daher beschloss, dass auch ich Ruhe gebrauchen konnte.

      „Bis morgen und schlaf gut!“

      Ich nickte, blickte noch einmal kurz zum Wald, der sich als grüne Wand in der Abenddämmerung auftürmte, und verschwand dann in Richtung Ferienwohnungen. Unser Haus war zum Glück leer und so konnte ich mich in aller Ruhe fertig machen. Kurz bevor der Schlaf mich übermannte, bemerkte ich verwundert, dass ich Transca mehr erzählt hatte, als ich eigentlich gewollt hatte, ohne es überhaupt zu merken.

      *

      Kapitel 5

      Nachdem Vici gegangen war, musste sich Transca erst mal hinsetzen und den Kopf in die Hände stützen. Was sollte das? Erst hatte sie diese seltsamen Träume und Erscheinungen und dann fing auch noch Victoria damit an. Wieso war dieser Sommer so verzwickt, und das schon nach nur zwei Tagen? Und wieso war sie mit alledem einfach so herausgeplatzt, sie kannte Vici doch noch nicht mal.

      Der letzte Lichtstrahl verschwand hinter der Kirche und Transca wusste, dass die Sonne in wenigen Minuten nur noch eine schwache Erinnerung sein würde. Also stand sie mit wackeligen Beinen auf und ging zu ihrem Wohnwagen. Robin kam kurz nach ihr und bemerkte nichts, denn wenn Tran eines konnte, dann schauspielern. Sie aßen etwas und legten sich anschließend beide schlafen, da es ein anstrengender Tag gewesen war.

      Doch in ihrem Inneren schwirrten noch immer Fragen herum wie Mücken im Sumpf im Süden des Waldes. „Wieso passieren mit mir solche seltsamen Dinge? Wie war der Name, den die Stimme mir im Traum genannt hat? Was weiß Victoria alles? Hat sie mir etwas verschwiegen oder ist sie etwa auch einer der drei Menschen, die sie erwähnte? Was soll das überhaupt bedeuten, woher soll ich wissen, dass sie sich das nicht nur ausgedacht hat? Und wenn es nur eine Einbildung war, diese Stimme, die sie gehört hat? Aber mir schien es zu der Zeit auch so, als ob ich etwas im Wald gehört hätte, doch ich habe mich lieber auf das Spiel konzentriert. Und wieso hatte ich das Gefühl, ihr alles erzählen zu müssen? Warum habe ich so viel gesagt, zu einer Fremden?“

      Derlei mehr spukte in ihrem Kopf herum und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihre Mutter sie in den Arm nahm und ihr alles erklärte. Aber sie würde nie wieder da sein, um sie zu berühren. Sie würde für immer eine Leiche oder gar nur Knochen sein. Ein Bild stieg in ihrem Kopf auf und sie musste ein paarmal trocken schlucken, denn sie sah die verwesten Körper ihrer Eltern, wie man sie gefunden hatte, vor sich. Nie wieder wollte sie so etwas sehen müssen. Entsetzt schüttelte sie den Kopf, als eine der Leichen anfing sich zu bewegen, auf sie zuging und versuchte, sie zu umarmen. Nie wieder an diese Bilder denken.

      Leider fingen die Toten nun an zu weinen und sagten Dinge wie: „Du darfst uns doch nicht loswerden wollen, wir sind deine Eltern.“ Oder: „Wenn du uns vergisst, dann wird auch ein Teil von dir sterben und du würdest daran zerbrechen.“

      Wieder steuerten die Körper auf Tran zu und sie wusste, sie würde es nicht aushalten, sie zu spüren. Deshalb konnte sie nicht anders und schrie: „Lasst mich in Frieden, ihr Dämonen, Billingra baut auf meine Stärke und ich werde meine Göttin nicht enttäuschen.“

      Verdutzt hielt sie inne. Woher wusste sie den Namen plötzlich? Und wieso hatte sie Billingra ihre Göttin genannt? Ihr Traum fiel ihr wieder ein. „Es muss ein Orakel oder so etwas gewesen sein, wo ich gewesen bin ...“

      In ihrem Hirn musste etwas komplett schieflaufen. Sie schwieg wieder und versicherte sich, dass Robin von ihrem Schreien nicht wach geworden war. Dann schlüpfte sie in ein ausgeleiertes T-Shirt sowie kurze Hosen und ging nach draußen. Sie musste sich bewegen und sie brauchte dafür den Wald um sich herum. Mit traumwandlerischer Sicherheit wich sie den dornigen Stellen aus und betrat das Dickicht.

      Sie kramte tiefer in ihren Erinnerungen und fand ein Bild, wie ihre Eltern sich zu ihr beugten und sie kitzelten. Das war in ihrem damaligen Wohnzimmer gewesen. Tran grinste. Dort hatten alle Möbel komplett durcheinander herumgestanden. Eine gelbe Kommode, ein rotes CD-Regal, eine orangefarbene Couch und ein Glastisch. Der Boden war blau gewesen. Das hörte sich zwar scheußlich an, aber man gewöhnte sich an alles. Darauf hatten zudem noch lilafarbene, runde Teppiche gelegen. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich auf einem von ihnen zusammengerollt und versucht hatte, sich vor den Händen ihrer Eltern zu schützen. Nun wusste sie auch wieder, wieso sie gekitzelt worden war. Sie hatte unbedingt eine neue Puppe haben wollen, sie aber nicht bekommen, deshalb hatte sie angefangen zu weinen. Da war sie fünf Jahre alt gewesen. Daraufhin hatten die beiden dann angefangen, sie zu kitzeln.

      Es war eine glückliche Erinnerung, die die Schatten ihrer Fantasien vertrieb. Und doch musste sie mit den Tränen kämpfen und verlor. Sie rannen ihr über die Wangen, als sie sich daran erinnerte, was für eine wunderbare Zeit sie mit ihren Eltern gehabt hatte. Zitternd blieb sie stehen. Es war kälter, als sie angenommen hatte, aber ans Umkehren dachte sie nicht einmal. Sie wischte sich die Tränen beinahe wütend ab. Wie oft hatte sie schon um ihre Eltern geweint? Oft genug auf jeden Fall. Und sie wusste, dass sie nicht gewollt hätten, dass sie ihr gesamtes Leben in Trauer verbrachte.

      Sie schüttelte sich und ging weiter. Und ging und ging.

      Immer weiter fort trieb es sie, bis sie einen Trampelpfad betrat, der zu dem See führte, in dem sie das erste Mal gebadet hatte. Das war vor etwa 350 Jahren gewesen und sie hatte mit ihren Geschwistern, die alle jünger waren, schwimmen gelernt, in normaler Geschwindigkeit. Heutzutage konnte sie sehr schnell schwimmen, nicht wie diese schwachen Menschen, die sich alle für etwas Besseres hielten. Sie verachtete die Menschen zwar, hasste sie allerdings nicht, wie es wohl andere aus ihrer Toúta hielten.

      Ein schriller Warnschrei ließ sie zusammenzucken und erkennen, dass sie mal wieder beinahe einen Baum gerammt hatte. Sie wusste nicht, in welche Gedanken oder Erinnerungen oder sonst was sie eingetaucht war, aber es war unheimlich gewesen.

      „Menschenverachtend? 350 Jahre her? Was bitte?“, fragte sich Transca total verwirrt. „Ich glaube, ich muss mir eine Selbsthilfegruppe oder etwas Ähnliches suchen, wenn das nicht bald aufhört“, grummelte sie in Gedanken. Was sollte das bitte werden?

      In Büchern war es immer total cool, ein Medium oder so etwas zu sein, denn man rettete die Welt damit, aber sie selbst tauchte immer nur kurzzeitig irgendwo ein und auf eine Weltrettung lief das Ganze wohl auch nicht hinaus, eher auf ein Verrücktwerden.

      Noch einmal schüttelte sie den Kopf, doch dabei roch sie etwas, was unter keinen Umständen hierher gehörte. Die moorigen Dämpfe des Sumpfs. Suchend schaute sie sich um und schnupperte wieder. Der Geruch war unverkennbar und sogar noch stärker geworden. Schnell drehte sie sich um die eigene Achse und spürte förmlich, wie ihr Adrenalin durch den Körper schoss. Seltsam, dass sie so extrem darauf reagierte, doch bei dem Gestank drängten sich ihr erneut die Bilder ihrer Eltern auf, die verwest im Sumpf gefunden worden waren.

      Mit einem Mal schien es ihr, als hörte sie von der einen Seite ein Schnauben, und sie wirbelte herum. Dort stand, halb hinter einem Baum verborgen, eine grauenerregende Gestalt. Sie war gute zwei Meter groß, hatte weiße, aber dennoch glühende Augen, durch die sie sicherlich sehr gut sehen konnte. Der gesamte Körper war muskelbepackt, die Hände auf seltsame Weise verdreht. Sie zeigten mit der Handinnenfläche nach oben und die Finger waren gespreizt. Haare besaß das Wesen keine mehr und die Ohren waren ebenfalls seltsam. Sie hatten Ausweitungen um die gesamte Ohrmuschel und erschienen einem wie anliegende Elefantenohren. Es schnaubte wieder und dabei verbreitete sich ein Geruch wie von verwestem Fleisch und faulen Eiern. Dann verzog das Geschöpf den schmallippigen Mund zu einer Art Grinsen, bei dem es seine komplett stumpfen, riesigen Zähne zeigte. Es kam auf Transca zu und murmelte undeutlich: „Blut, Genick, Fresssssen.“

      Blankes Entsetzen packte sie und sie schrie, auch wenn sie wusste, dass niemand da war, der sie hätte hören können.

      Als Tran die Augen aufschlug, konnte sie zuerst kaum verstehen, wieso Sirman, ihr geliebter Sirman, sie in seinen Armen hielt. Oder wieso er so anders aussah. Sie war sich sicher gewesen, etwas Spitzes zwischen den tollen Haaren hervorlugen zu sehen. Und hatte sein Gesicht nicht einen bestimmten


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