Die Göttin nebenan. Nicolas Scheerbarth
Verständnis. Johanna und Nina gegenüber hatte ich die näheren Umstände der Trennung nicht erwähnt und nur ganz allgemein über Probleme in meiner Ehe gesprochen. Doch so unwahrscheinlich war es gar nicht, dass Larissa davon erfahren hatte. Mein erster Verdacht fiel auf den Makler; vielleicht hatte er sich einfach bei den neuen Eigentümern mit der Story wichtig machen wollen. Ferner gab es nach dem Mordversuch in den Lokalteilen der hiesigen Zeitungen einige Notizen. Und schließlich war es nicht ausgeschlossen, dass Larissa sie von Dominik selbst erfahren hatte; im Zuge der Eigentumsübergabe mussten sie sich irgendwann getroffen haben. Und Larissa schien mir ganz die Frau, aus einem Mann wie Dominik jede Information herauszuholen, die sie haben wollte.
***
Inzwischen waren wir auf der Terrasse angekommen. Heute standen hier einige Gartenmöbel mehr als gestern - mehrere bequeme Rattansessel mit dicken Polstern und ein großer Tisch, auf dem einige Gläser, Teller und ein Flasche Wein in einem Kühler warteten. Überall auf der Terrasse und rund um den Pool brannten Windlichter und sorgten zusammen mit einem leise klingenden, asiatischen Windglockenspiel für eine fast märchenhafte Atmosphäre.
"Wir haben gedacht, wir laden dich auf eine Kleinigkeit ein," sprach Larissa mich an. "Oder hast du schon gegessen?"
"Nein ... gar nicht. Danke! Das ist wirklich toll."
Ich war ein wenig überrumpelt. Natürlich hatte ich mir seit gestern abend nichts sehnlicher gewünscht, als mit diesen neuen Nachbarn ein gutes Verhältnis zu entwickeln, doch mit einer so raschen, herzlichen Aufnahme hatte ich nicht gerechnet.
Johanna und Nina waren nirgends zu sehen, doch die jüngere der Schwestern, Nathalie, kam eben mit einer großen Schüssel Nudelsalat durch die Terrassentür des Esszimmers. Dass sie etwas kleiner als ihre Mutter und ihre Halbschwester war, hatte ich schon bemerkt. Als sie nun direkt vor mir stand und mich begrüßte, sah ich, dass sie jünger sein musste als Johanna. Körperliche Reife und selbstbewusstes Auftreten konnten auf den ersten Blick leicht täuschen, und ich korrigierte meine ursprüngliche Altersschätzung von 20 noch ein wenig nach unten. Sie hatte ein rundes, hübsches Gesicht mit einer leichten Stupsnase und braunen Augen, aus denen sie mich regelrecht anfunkelte - fast so, als wisse sie um meine Spannerei am Vorabend und sei darüber amüsiert. Sie trug ein eng anliegendes Top, das ein gutes Stück ihres glatten Bauchs und ihres offenbar recht muskulösen Rückens frei ließ und auch die kräftig entwickelten Brüste mehr hervorhob als verhüllte, dazu ein paar weite Shorts.
Larissa bat mich, Platz zu nehmen, und drückte mir ein Glas Weißwein in die Hand. Dann setzte sie sich schräg neben mich, während Nathalie sich mir gegenüber auf der mir wohl bekannten Liege streckte und räkelte, dass ich aufpassen musste, hier nicht unter den Augen der übrigens faszinierenden Mutter ständig auf die überaus appetitlich wirkende Tochter zu starren.
Das Gespräch nahm zunächst die üblichen Bahnen. Wir unterhielten uns über die Wohngegend, die Einkaufsmöglichkeiten und ein paar aktuelle Themen der Stadt. Schließlich konnten wir alle unsere Neugier nicht länger zügeln und sprachen mehr und mehr über Persönliches. Von Larissa erfuhr ich, dass sie eine Art Privat-Dozentin für Philosophie und Geisteswissenschaften war und freiberuflich an der hiesigen Universität arbeite. Einen Mann gab es momentan tatsächlich nicht; der Vater von Johanna war tot, der von Nathalie hatte sich aus dem Staub gemacht, als sie noch ein Kleinkind war, und der letzte Partner hatte sich im vergangenen Jahr von Larissa getrennt.
Auch Nathalie steuerte einiges zu der Unterhaltung bei und war vor allem an meinem Leben interessiert. Dabei fiel mir auf, dass ihre Mutter sie ein, zwei Mal zurückhielt, als sie auf die Trennung von meiner Frau zu sprechen kam.
Zwischendurch bedienten wir uns von den Salaten, die die Frauen gerichtet hatten, und bald musste Nathalie, die selbst nur Wasser trank, eine zweite Flasche Wein aus der Küche holen. Beim Essen stellte sich heraus, dass Larissa und Nathalie sich vegetarisch ernährten. Dies war auch der Grund für die Abwesenheit von Johanna und Nina: Sie hatten Lust auf Fleisch gehabt und waren in ein Restaurant gefahren.
Nathalie war es, die irgendwann die Verbindungstür zur Sprache brachte. Natürlich hatte der Makler sie informiert, und da ich trotz des freundlichen Empfangs nichts voraussetzen wollte, bot ich sofort an, die Tür durch ein Stück Wand ersetzen zu lassen.
"Ach was!" lachte Larissa. "Nein ... im Gegenteil - wir fanden das sehr sympathisch. Wenn du nicht heute schon zu uns gekommen wärst, hätten wir uns nächste Woche ohnehin bei dir vorgestellt. Wir haben schon beschlossen, dass wir, falls du dich nicht gerade als Ekelpaket entpuppst, diese Tür gerne wieder gemeinsam nutzen können. Du hast doch zum Beispiel drüben keinen Pool, oder?"
"Allerdings. Wir wollten zwar mal einen anlegen, doch dann waren wir immer hier, und es gab einfach keine Notwendigkeit mehr. Das soll nicht heißen, dass wir ungefragt oder jeden Tag ... also, ich, meine ich ... dass ich ungefragt ..."
"Ach, mach dir da mal keine Gedanken! Nach allem, was ich bis jetzt sehe und spüre von dir, ist das überhaupt kein Problem. Du kannst jederzeit herüber kommen."
"Das ist sehr nett von euch. Dennoch würde ich vorher kurz Bescheid sagen. Ihr möchtet ja sicher auch mal alleine sein, habt Gäste oder etwas in der Art ..."
"Ach, das ist eigentlich kaum nötig. Gäste haben wir äußerst selten, und wenn, interessieren sich die meisten überhaupt nicht für einen Swimmingpool. Und wenn wir alleine sind, wüsste ich nicht, wieso du uns stören solltest."
In diesem Moment wurden wir unterbrochen. Johanna und Nina waren zurück und kamen auf die Terrasse, um uns zu begrüßen. Johanna trug das gleiche Kleid wie heute vormittag, Nina in ein kurzes, buntes Sommerkleid mit Spaghettiträgern, dessen Stil in krassem Kontrast zu ihrem punkigen Aussehen stand. Dazu hatte Johanna eine dicke Rolle unter dem Arm, die ich sich später als eine mit Handtüchern zusammengerollte Decke entpuppen sollte.
Im Lauf des Gesprächs kamen wir auf meinen ersten Besuch am Vormittag, und Nina ließ es sich nicht nehmen, die Geschichte meiner Hilfestellung in aller Ausführlichkeit zu schildern. Dabei wurde offensichtlich, dass Larissa und Nathalie es völlig natürlich fanden, eine nur in Ketten gehüllte junge Frau im Haus zu haben, und ich wurde augenzwinkernd für meine nach außen so unaufgeregte Reaktion gelobt.
***
Gelegenheit, eine unbeeindruckte Miene zu zeigen, sollte ich gleich noch mehr erhalten. Johanna und Nina schnappten sich jede ein Glas Wein und gingen hinunter zum Pool. Decke und Handtücher wurden praktisch direkt vor der Terrasse ausgebreitet, und dann sprangen sie ohne jedes Zögern aus ihren Kleidern - mehr hatten beide offenbar nicht angehabt - und splitternackt ins Wasser. Es dämmerte inzwischen, so dass ich von meinem Platz aus nicht mehr jede Einzelheit erkennen konnte. Dennoch war unverkennbar, dass Johanna die schlanke Figur ihrer Mutter geerbt hatte, allerdings nicht den leicht dunkleren Teint oder die kräftig entwickelten Brüste.
Die jungen Frauen tobten im Wasser, spritzen sich an und schrien dabei so laut, dass Larissa sie schließlich um Ruhe bat. Unsere Unterhaltung war noch nicht wieder recht in Gang gekommen, als Nathalie ihre Mutter daran erinnerte, dass sie noch zu einer Party eingeladen war und Larissa ihr versprochen habe, sie hinzubringen.
"Macht es dir was aus, wenn ich kurz wegfahre?" fragte Larissa. "Ich habe es ihr versprochen, und außerdem muss ich den Eltern des Mädchens etwas zurückbringen ... persönlich. Die Leute haben mir eine Bohrmaschine geliehen und ich habe sie kaputt gemacht gestern. Jetzt haben wir eine neue gekauft, doch ich muss mit dem Mann reden, ob es die richtige ist. Ich bin in zwanzig Minuten wieder da. Du kannst gern so lange hier warten. Gesellschaft hast du ja jetzt, und du kannst natürlich auch jeder Zeit ins Wasser, wenn du möchtest."
Ich fand das Angebot mehr als großzügig und hatte gewiss nichts dagegen, dass Larissa kurz weg fuhr. Ich nutzte vielmehr die Zeit, indem ich hinüber in mein Haus ging und den zweiten Schlüssel für die Verbindungstüre holte, den ich verwahrt hatte, seit die Villa hier leer stand. Für den Weg zurück benutzte ich auch gleich die Türe, so dass ich nicht mehr am Tor klingeln musste.
Ich setzte mich wieder auf die Terrasse und goss mir ein frisches Glas Wein ein. Dann fiel mir auf, wie still es geworden war. Ich wendete mich um und versuchte,