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wir fahren, die Stunde zweihundertfünfzig.« – »Falsch, ich mache es nie unter fünfhundert Euro die Stunde. Sie sollten mal sehen, wie manche Kerle dann den Schwanz einziehen und kehrtmachen. Zusammen mit Olga verlangen wir zwölfhundert die Stunde, weil wir zusammen besser sind als jede von uns allein. Alle Mädchen kosten den Kunden Unsummen, flat. Ihr Boot dazu, kommen die auf mindestens zwanzigtausend Euro pro Tag. Ihnen garantiere ich fünftausend Euro als Trinkgeld für die Scheiße mit denen, weil Sie das eben gerade gesagt haben. Die Flüge für uns zahlen die natürlich auch – und was wäre Ihnen die Sache wert?« – »Nichts.«
An der Stelle log Gennadi, für die Frau hätte er sein Boot verpfändet. «Weil Sie jetzt die Preise kennen? Übrigens würde ich Ihnen kein Angebot machen.« – »Ich hatte so viele Frauen, wie Sie im Leben nie an Freiern zusammenkriegen.« – »Na ja, dann machen Sie mal weiter, aber eins sage ich ihnen, immer das Nächste – Hurra, ich komme – ist das Problem bei euch Männern.«
Gennadi nahm Natasha in den Arm, und sie wies ihn nicht zurück. Er zeigte ihr mit seinen Augen und seinem zum Meer hin ausgestreckten Arm, von welchem Blau die Ostsee wirklich war. »Dieses Blau«, sagte er, ist nicht richtig blau, wir haben das untersuchen lassen, es hat morgens viel Orange in sich. Darunter liegt ein Blau, das ganz merkwürdig ist, so schön wie jetzt. Meistens aber wird das Orange aus dem Spektrum weggefiltert durch leichte Nebel, und es bleibt nur das Blau des gewöhnlichen Meeres zurück.« Gennadi ging in den Führerstand nach oben und dann nach unten. »Weggefiltert?« Natasha war sich sicher, einen dieser verkappten Physiker vor sich zu haben, die nachher immer nachwogen, ob sie mehr oder weniger als beim letzten Mal abgelassen hatten. Biologen waren da anders, die waren zufrieden, wenn sie die Prozentzahl lebender Spermien in ihrem Ejakulat ermitteln konnten und ob das Zeug, was da im Gummi schwamm, wirklich alles von ihnen selbst war. Meist kamen Biologen schon mit dem Mikroskop unter dem Arm zu ihr und Olga. Die nahm schon keine mehr an, auch nicht, wenn sie vorgaben, promoviert zu sein. Natasha und Olga waren nicht naiv.
Jetzt kam der Typ zurück mit seinem Kaffee. Den hätte sie auch gern gehabt. Gennadi reichte ihr den Becher und sagte: »Ich wusste nicht, ob Sie Zucker mögen, deswegen habe ich nur wenig reingetan und etwas Milch. Ich hoffe, das ist gut so?« Natasha dachte an ihre Tochter, die jetzt zu Hause zur Schule ging. »Und wie viele Frauen haben Sie auf diese Weise schon rumgekriegt?« – »Keine. Zum Kaffee sind wir nie gekommen, weil die alle schon vorher flachlagen.« – »Ach so. Na ja dann.« – »Wissen Sie, Frauen sind nichts anderes als Männer, nur eben, dass sie Frauen sind.«
Natasha sah den blonden Philosophen neben ihr von der Seite an und war völlig geplättet. »Haben Sie eben gesagt, wir seien wie Männer?« Gennadi nickte. »Nur, ihr habt keinen Schwanz, und das ist euer Problem.« Ihm war klar, dass er damit eine Grenze überschritt. Jede andere Frau würde sich hier zurückgezogen haben, aber diese tat es nicht, denn sie kannte auch die Schönheit der Männlichkeit, da war Gennadi sich sicher. Natasha wurde böse. »Na ja, dann denken Sie mal weiter. Halten Sie auf Ost-Nord-Ost zu, oder wollen Sie die nördliche Breite und die östliche Länge unseres Zieles noch mal schriftlich haben?« – »Ich halte auf gar nichts zu, wenn ich nicht will.« – »Und wenn ich es doch will?« – »Auch nicht. Wenn ich nicht will, dann gehe ich lieber zu einer Hure.« Natasha drehte sich langsam ihm zu, und zwar in einer Langsamkeit, die beschaffen war wie die Wellen des offenen flachen Meeres. Gennadi stand da und machte nichts.
Er sagte seinen Namen: »Gennadi.« Sie: »Natasha.« Er zog ihr die Bluse aus und küsste sie. Ihre Nippel standen steif wie kleine Penisse zwischen seinen Fingern. Er ging weiter vor, aber sehr langsam, als hätten sie Ewigkeiten Zeit. Er zitterte auch. Natasha war nicht mehr zum Spotten zumute »Hab keine Angst, wir machen es hier und jetzt und immer.« Sie zog ihren Slip aus und sagte: »Deine Kinder sollen keine Feiglinge sein.«
Das Blau der Ostsee veränderte seine Farbe, ganz merkwürdig, kaum. Natasha hatte sich leicht über die Reling gebeugt, und sie und er blickten beide ins Blau jenes Meeres, das von nichts gezeichnet war, keinem Schiff, keinem Boot, nur von ihrem im Takt gehenden Atem und von einem Himmel und einem Meer und dazwischen einem Horizont. Sie spürte sein Zittern, wie es sich verstärkte und dann abebbte. Sie kam und kam und kam. »Natasha«, sagte Gennadi atemlos, »das war kein Fick, nur damit du das weißt.« Sie war sich sicher, dass sie den Mann zum Urahnen aller Russinnen machen würde, die nie wieder auf der östlichen Ostsee nach Freiern suchen müssten. »Ich wüsste auch nicht, dass wir eben gefickt hätten«, antwortete sie.
Das Ganze dauerte Minuten. Sie erschienen Natasha als eine Ewigkeit. Gennadi schwor bei sich, dieser Ewigkeit alle weiteren folgen zu lassen. Sie brauchten noch etwa eine Stunde Fahrt gen Ost-Nord-Ost. Natasha stand neben ihrem Mann und ließ sich jedes einzelne Instrument erklären, als hätte sie Angst, er könnte sich auch nur für Sekunden von ihr lösen. Gennadi wandte seine Kenntnisse auf, um ihr alles zu erklären, als hätte er Angst, sie könne nach unten gehen. Sie berührten sich nicht. Sie standen einfach zweifach nebeneinander. Hin und wieder schaute Gennadi auf ihre Titten, so unauffällig wie möglich. Sie bemerkte das natürlich nicht, liebte es aber sehr.
»Kannst du mich noch einmal halten?«, fragte sie unvermittelt. Gennadi erwiderte »Aber wie«, so ruhig er konnte. Sie schlug mit dem Rücken auf den Boden der Kajüte auf, als hätte er sie eben erschlagen, dabei hatte er sie noch gar nicht angefasst. Sie sagte: »Mach, bevor die unten aufwachen.«
Gennadi brachte ihre erste Erregung zur Ruhe. Er spürte jede Welle auf seinen Lippen. Diesmal mischte sich dem Rot der Ostsee nur noch ein ganz leichtes Blau hinzu. Es wurde immer offener. Es mündete schließlich in ein deutlicheres Rot, aber kein Rot von der Art, das die anderen verwandten, sondern ein Rot, das es nur zwischen ihr und ihm gab. Ihre Hitze war auf die Temperatur seines Körpers gesunken. Sie lag jetzt auf ihm, fast berührungslos. Ihre Titten berührten die Haare auf seiner Brust. Sie barst vor Erregung nach diesem Mann. Ihre Haare umgaben sein Gesicht und verbargen es, damit kein anderer Mensch seinen Blick auf ihn richten wollte. Dieser Mann würde gleich zerstäuben in einer Weise, die Natasha kannte, die sie aber in jener Härte nie erwartet hätte. Er drang nicht in sie ein. Sie griff nicht nach seinem Schwanz. Sie küssten sich nicht. Sie lag bloß nackt, mit aufgestützten Armen und ausgestreckt auf ihm. Beide blickten sich in die Augen. Ihr Atem strich über seinen Mund. Sein Atem ging mit jedem Zug härter. Als dieser anschlug, nickte sie. Nachdem sie zur Ruhe gekommen waren, blieben sie ineinander verschlungen. Ihr Atmen legte sich langsam. Natasha hatte die Augen geschlossen. Gennadi wartete, bis sie regelmäßig atmete. Vorsichtig löste er sich dann aus ihren Armen und ging nach draußen. Sie bemerkte es nicht, freute sich aber sehr. Sie hörte, wie er den Kunden ein Maschinenproblem erläuterte. Man müsse leider sofort umkehren und sehen, dass man bald einen Hafen erreichte. Als er zurückkehrte, fand er Natasha in einer Ecke am Boden kauernd. Sie hielt die Hände gegeneinander geballt vor den Kopf, das Gesicht auf ihren angezogenen Knien. Er wendete das Boot in weitem Bogen und zog West-Süd-West.
Als Natasha und ihr Mann abends nackt aus der Ostsee stiegen, als das Wasser von ihren Körpern perlte und man den Eindruck gewann, dass jeder Tropfen im Gegenlicht zu Bernstein wurde, als sie ihn bat, sich mit ihr umzudrehen und das Meer anzusehen, sahen sie beide ein Rot, das sie für immer verbinden würde. Sie sahen zu, wie Gott ihnen zulachte. Gott wusste, dass es nicht um ihn ging, sondern um diese beiden Menschen: den Kerl, der vor Kraft nicht wusste, wo er anfassen sollte; dieses Mädchen, welches ihm persönlich in einer Nacht eingefallen war, als er von Gott geträumt hatte. Da war nichts mit Titten, mit Beinen, Muschi oder Augen im Spiel gewesen – das wusste er sicher. Diese Frau war seine zu einem Menschen, einer Frau, gewordene Liebe. Waren diese Gedanken zu pathetisch? Gott glaubte das nicht, so wie die beiden schon wieder ineinander verkrallt waren. Ihre Nägel rissen Fetzen aus seiner Haut. Er würde morgen aussehen wie gefoltert und sich an alles erinnern. Sie wollte, dass er Schmerzen spürte. Sie wollte, dass er jeden Millimeter, den ihre Krallen auf seinem Rücken nach unten glitten noch in hundert Jahren fühlte, und dass Narben blieben, damit die Erinnerung an ihre Liebe nicht ausging.
Die Zauberin
Herr, wer hat ihre augen gezeichnet
diese grün-blauen
als ob