Scirocco. Gerhard Michael Artmann

Scirocco - Gerhard Michael Artmann


Скачать книгу
er zu Brell: »Und Sie, Brell, Sie Löschpapier der Demokratie. Denken Sie wirklich, Sie hätten einen Einfluss auf mein Leben nehmen können?« Brell senkte den Kopf. Das machte er immer, wenn er eigenes Versagen im Parlament zugeben musste. Das Parlament erwartete dann zurecht sein Schuldbekenntnis, aber es kam keins. Vielleicht gab Brell ja ein unterirdisches Schuldbekenntnis ab, denn man hörte ihn gewöhnlich nach einer Anstandsminute der Stille seine Rede fortsetzen »… so war es und nicht anders, so wahr mir Gott helfe.« So war es auch diesmal. Der Bewerber war aber nicht das Parlament. Er nahm eine Halbliterflasche Ketchup, die noch vom Lunch herumstand und drückte sie zuerst über Frau Specht, dann über Brells gesenktes Haupt aus. Den verbleibenden nicht geringen Rest kringelte er über Fürchtegott Nöthingers flachem Gesicht aus, das danach aussah wie eine Pizza in Preparation. Der Bewerber ging zur Reling, stieg in sein Kajak und zog davon. Am Horizont zeigte sich ein Hubschrauber. Der brachte die anderen drei Kandidaten, in ihrer Mitte den einen, der es werden sollte: Privatdozent Dr. med. Fürchtegott-Hückelkorn.

       Kaysers Nanni I

      Die fahrenden der letzten jahrhunderte

      wer waren sie, waren sie mensch oder

      gar gottes kinder? um so minder lieben

      wir sie in gottes kleinstadt zu heutiger zeit

      Man hatte mich gewarnt. Hier würde nichts wachsen, der Boden sei zu feucht und darum sauer. Und das haben sie nicht gesagt: sich ein Grundstück neben dem Müll einrichten, könne nur ein Fremder, der keine Beziehung habe. Das sah ich ihren Gesichtern an, und dass sie an mir zweifelten. Ich verteidige mein Grundstück damit, dass es mit dem Müll bereits sein Ende habe und das Unkraut nur reichlich wachsen müsse, dass in einigen Jahren eine dünne Schicht guter Erde entstehen werde, die man schließlich mit etwas Besserem als Unkraut bestellen könne. Das würde letztlich auch den trostlosen Anblick nehmen.

      Während ich schon am Dach meines Bungalows arbeitete, sah ich zum ersten Mal Kaysers Nanni. So nannte sie jeder im Dorf. Man könne sie zweifelsfrei an ihrem Geierkopf identifizierten. Sie wäre absolut nicht zu verkennen, hatte man über sie gesagt, und gewarnt hatte man mich vor ihr! Ich solle mich nicht täuschen lassen, ihr Anblick verleite zu Mitleid, das sie jedoch nicht verdiene. Auch sei der Name »Nanni« äußerst irreführend. Man könne sehr leicht falsche Schlüsse ziehen. Sie hätte einen Vererbungstick, der, je älter sie werde, in Wahn ausartete. Jedem im Dorf hätte sie schon angeboten, dass er ihr Erbe würde, kinderlos, wie sie war. Am gescheitesten seien aber noch die dran gewesen, die sofort und bestimmt Nein gesagt hätten. Alle jedoch, die sich etwas davon versprochen hätten, ihr Gut auf leichte Art zu gewinnen, indem sie mehr oder weniger zurückhaltend ihren Tod herbeisehnten, seien am Ende die Dummen gewesen. Sie hatten teilweise investiert in ihre Wohnung, oder repariert und sich weder Quittungen ausstellen noch Geld geben lassen, im Vertrauen auf ihre Ehrlichkeit und reichen Lohn nach ihrem Ableben. Aber im entscheidenden Moment hatte sie noch jeden enterbt. Gutgläubigkeit helfe nicht. Man solle doch seinen Augen trauen: Sieht sie nicht aus wie eine Jüdin! Mit der Nase und den Augen? In Wahrheit sei sie gerissen wie Levinson, ihr Großonkel vor unserer Zeit.

      Da sah ich also Kaysers Nanni, wie sie den Feldweg zwischen Müllhalde und meinem Garten mit einem klapprigen Handwagen daherkam. Sie hatte neben anderem einen nostalgischen Kronleuchter geladen, und einen runden Tisch mit Schachbrettintarsien, beides Raritäten. Als sie auf der Höhe meines Gartens angelangt war, tat sie einen enormen Seufzer, spuckte in die Hände und juchtete den Wagen rechts um ins Unkraut, Richtung Müllkippe. Dort angekommen – ich konnte es kaum mit ansehen, wie –, kippte sie die Fuhre um, nicht ohne den Kronleuchter vorsichtig vorher herausgehoben und neben sich ins Gras gestellt zu haben. Der Tisch landete in den Brennnesseln. Damit zu Ende richtete sie den Wagen wieder auf und kreischte wie ein heiserer Vogel. Dann kam sie zu mir

      »S’ haben’s g’dacht, S’ könnten’s mi be-sei-tig-en und sich de Möbel teilen, un de Staat kriegt’s vielleicht mei Geld, abbe g’schnitte habbe s’ sich. S’ haben’s sau-ber an-ge-stellt, de Buben. S’ haben’s g’sagt, i hätt’ a Schlag-an-fall g’habt, wie i damalsch umg’falle bin. Dabei wo mi nua schlecht g’worde. Ins Krankenhaus haben’s mi g’schafft, abbe i frag Sie, was sollt’ i da ? Das häb i au die Ärtscht g’fragt. Da muschtens mi wieda laufen lassen, das Volk. Un jetzt schaff i das Zeug fort, was i ni unb’dingt noch brauch, falls s’ mich wieda fotschaffe tun, ohn’ dass i ’s will. Damit die s’ Zeug nicht kriegen im Dorf, die sich s’ fein sin, um mie zu b’erben – ode wollen Sie’s?« Ich wehrte mit Händen und Füßen ab, denn – das hatte man mir nicht gesagt – sie war schwerhörig. »Kippen Sie alles nur dort ab, ich brauche nichts.«

      »I brauch’s auch nicht. Nur ’s ’s schade ums Zeug. De Victor un de Hugo, die beide haben’s au g’sagt, ’s wär’ schade ums schöne Zeug. Nur erben durften’s von mi nix, weil’s de Eltern vebote habe. Bande, ach Gott, ach Gott, ’s is so demmet schad ums schöne Zeug. S’ wollen nit was erbe von mi?« – »Nein danke, wirklich nicht.« Meine Hände wehrten heftig ab. – »Abbe vestecken tun Sie ’s Zeug von mi, oda? Wenigschtens de Tisch en de Kroonleuchte da unne hinte de Kippe, dass d’ Bande ’s Zeug nich findet. Tun S’ mi denne G’fallen un verstecken’s die bei sie im Haus.«

      Sie drehte sich um, ging zum Gartentor und wartete davor auf mich. Mir blieb nichts anderes übrig, als alles stehen und liegen zu lassen und mich um ihre Wünsche zu kümmern. Während ich mir ihr zuliebe die Beine in den Brennnesseln verbrannte, stand sie auf dem Weg und palaverte hinter mir her.

      »’n feinen Hühnestall bauen’s da. De hätte dem Otto, de was mein veschtobene Mann ist und de was bis z’schletzt Sanitäta wa, g’falle. Im Lazarett hat e seinezeit mit denne Beruuf angefange, un ’s hat ihn nit wieda loschg’lasse nach demme Krieg, bis das emme dann viel z’ früh g’schtobe is. Am Ende, da wa de Otto nu no ein Schatten g’wesen von einem Kerl. De Otto hatte imma viel übrig füs Vieh, me hatte a e Meng Hühne bei de Haus.»

      Ich brachte ihr den Wagen, mit dem ich Tisch und Kronleuchter zu mir zum Gartenhaus gebracht hatte, und rieb mir die Beine. Das interessierte sie offensichtlich nicht. Sie wandte sich meinem Garten zu und zeigte vorwurfsvoll auf einen meiner Zwerge, die mir meine Frau zum Einzug geschenkt hatte, und kreischte:

      »Was habbe Se sich denne da unna d’ Eich in d’ Eck dahinne fü eine Figuur hing’stellt? Isch das ettewa een Gat-ten-zwerch? Isch datt vielleicht soga enne Koppie von dene Erbschleiche in d’ Dorf, die mi weschen mei Zeug in d’ Aasch g’krieche tun? De Otto hatte wahrlich imme viel übrisch g’habt füs Vieh, abbe nit fü denne Zwerche in de Dorf da drübe. Ihre Zwerche da obbe in de Gadde scheine mie de exakte Koppie zu seine von denne Großköppe da im Dorf. En denne im Dorf wie-de-rum saan wieda enne echte Koppie von denne, de we früha hier gehabt habbe in de Dorf vor de Krieg und mittendrin. Nu wegen denne Plattköppe sin am End d’ Russen dann g’komme und habbe unsch b’setzt. Diese Aat Zwerche«, proklamierte sie weiter, ihre Stimme schrillte dabei förmlich, »hat de Otto nich g’litte. Es is ja wahr, denne Be-woh-ne damals von de Dorf, denne waren keine Nazis. Gott bewahre. De Otto sagte seinzeit emma, es gab in denne Dorf vielleicht zwei, drei rich-ti-ge Nazis. Abba«, sie kreischte nun wirklich, »das sagge ich enne, de annere große Rest in denne Dorf, de waren die Mit-läu-fa von denne Na-zis. Se habbe de Nazis de Stein aus denne Wege g’räumt, de habbe se freiweg g’wählt, und de Weg an die Re-gie-rung frei g’macht habbe se fü se. Nein! Nazis wa keina von denne, Gott behüte. Un na de Kriesch? Na de Kriesch hat kenne von denne ir-schendet-was mit de Nazis z’ tun g’habt, und g’kannt habbe s’ auch keinen von denne Verlierer. So vergesslich warnst de Leut. D’ meisten von de vom Dorf waan’ iiin-zwi-schen schunne längst Mitläufe von de Demaak g’wordde. Denne hat sich un-mit-telba na de Kriesch besse entwickelt, als denne Nazis sich wieda erholt habbe. Denne habbe sich eest mal nach Ar-schen-ti-ni-en abg’setzt, und denne, d’ hieg’bliebe wann, de habbe erst ma e pa Jaa ’s Maul halte müsse.« Sie zeigte auf meine Zwerge, wobei ihre Hand zitterte vor Erregung. »Denne Zwersch’ da obbe hätt i in unnam Garten nie aufstelle gedurft. D’ Otto hätt’ mi g’schlage dafü. Oppederwohl mein Mann an un fü sich enne zo, enne zu fried-fet-tige Mann g’wesse ischt. ›Keine Zwerge, unter keinen Umständen‹,


Скачать книгу