Scirocco. Gerhard Michael Artmann

Scirocco - Gerhard Michael Artmann


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sie ist kein Gebärvieh. Bevor sie, vielleicht auf immer, fortgegangen wäre und sie mich vielleicht nur ein einziges Mal in meinem Leben gestreift hätte, griff ich im Nachgehen ihren Arm. Ich sagte: »Ich möchte Ihnen das ein oder andere gern sagen – ich bin manchmal schwach.« Sie fragte: »Morgen um fünf, hier? Schwach ist, wenn du keine Liebe hast.« Sie ging weiter. Mein Zögern hätte nicht länger dauern dürfen. »Das meine ich nicht«, sagte ich. »Ich warte.«

      Später, als wir längst eins waren, sagte sie noch diesen Satz in einer jener Stunden: »Schwache Männer neben Frauen, die nicht lieben können, werden durch sie zu Mördern.« Obwohl ich in vieler Hinsicht gesund bin, bin ich doch sicher, dass ich damals an Wärme gewann durch Aysha, heute meine Frau, und sie durch mich. Neben ihr ist Deutschland mir nicht egal, denn wir sind Teile von uns geworden, und auch des Landes. Zusammengehörige Teile, ein Einziges, aus Bruchstücken gefügt. Wir sind uns alles und jedes in diesem Land gemeinsam. Es schien damals, als sei Deutschland ohne uns undenkbar.

       Die Frau

      Ich liebe dich wie das meer

      denn ihr seid von gleichem blau

      in dir tauche ich auf, um auf deinem grund

      zu sehen, wer ich bin

      Natasha hatte Titten wie die Ostsee Wellen bei frischem Wind am Abend. Die Wellen schlugen hoch an, und alles schien silbern bis rötlich. Das Meer begab sich nach deren Anblick gewöhnlich zur Ruhe. Wäre Gott die Abendsonne gewesen, er hätte auf ihr Platz genommen und wäre den ganzen Sonnenuntergang lang nach unten gefahren. An ihren Nippeln angekommen, hätte er vermutlich das Licht ausgeschaltet und abgehoben, um in ihrem Schoß zu landen. Er würde dann wahrscheinlich zu Natasha gesagt haben, er sei zwar Gott, aber sie solle sich bitte frei fühlen. Er würde weiter gesagt haben: »Wenn du willst, lade ich dich zum Essen ein, und zu einem Wein, aber fühle dich frei, denn ich habe es satt, dass sich alles und jeder gezwungen fühlt, sobald ich auftauche. Willst du? Wir trinken Wasser und Wein, und wenn du es erlaubst, legen wir uns danach zusammen ins Bett und unterhalten uns. Ich erzähle dir Witze. Ich kenne viele. Die Menschen sind witzig, obwohl viele auch boshaft sind. Aber ohne die Witze und ohne meine Liebe hätte ich längst verloren. Ich werde nicht verlieren, das schwöre ich. Wir können auch ficken, aber stell dich nicht auf was Langweiliges ein. Das Ficken habe ich studiert und mit guter Absicht eingeführt für Menschen, die einander glücklich machen wollen.«

      Natasha hatte Augen, die waren blau wie der Himmel am Balaton im Sommer. Ihre Beine waren gut und nicht aufdringlich. Sie waren nicht dürr, eher standfest. Natashas Po war ein Kunstwerk, und er hätte eines Waffenscheins bedurft, würden weibliche Hintern unter »Waffe« geführt werden. Wir wissen kaum, wie wir ihn beschreiben sollen. Er war edel. Die Haut war fein, zart, die Haare blond und kurz, die Haut straff, braun, leicht mit Poren durchsetzt. Sie roch nach Orient, dem Alten Basar in Istanbul, verführerisch und undefiniert. Natasha war eine kluge Frau, stark, beherzt, slawischer Schnitt des Gesichtes. Durch Jahrhunderte hindurch mussten ihre Vor-Mütter die russischen Winter überlebt haben. Durch Jahrhunderte hindurch mussten diese Frauen Babys aus ihrem Bauch gezaubert haben, die ihren Nachkommen unter den Frauen das Überleben gesichert hatten und die es auch immer wieder fertiggebracht hatten, die Männer von ihren Wasserpfeifen oder Kriegszügen wegzulocken ins Bett für den nächsten Entwurf Gottes – eine weitere schöne Frau. Natasha wusste, ohne Ficken und des Gefühles dabei und danach, ohne zu fühlen, Mann und Frau zu sein, gäbe es uns Menschen nicht mehr. Das Leben war schwer, es gab den Tod, es starben Kinder, es starben die Eltern, es gab manchmal kaum etwas zu essen, oder der Mann war nur zwei Tage zu Hause und musste dann wieder weg in den Krieg. Natasha wusste das. Es stand in ihren Augen, ihren Genen und schlug in ihrem Blut. Sie war eine Frau, und das Andere waren die Männer, ohne die nichts in der Welt ging. Sie fand auch nicht, dass sie ein Opfer von irgendwas war. Sie hatte von Gott die Schönheit geborgt und wusste, dass sie diese wieder würde abgeben müssen, aber heute war diese bei ihr. Natasha war jung. Sie war klug. Aber vor allem war sie nicht bereit, den anderen diese Welt zu überlassen. Sie fühlte sich stark genug, den Preis dafür zu zahlen.

      Gennadi war ein baltischer Pole. Er besaß ein Speedboot, das heute von einem Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Hermann-Joseph Fürchtegott Nöthinger, Präsident der International Society for Advanced Proctology gechartert worden war. Steuerlich ging das Ganze für Fürchtegott Nöthinger auf. An Bord waren fünf nicht gerade unscharfen Russinnen, eine von ihnen war Natasha. Sie mussten zu einer Yacht auf der Ostsee gebracht werden, an einen Punkt, der per Satellit auf den Zentimeter genau definiert war. Für Nöthinger war es ein Treffpunkt im Finnischen Meerbusen, genauer gesagt in einer Frau, seiner Natasha. Gennadi sprach perfekt Russisch. Seine Großmutter war Russin. Er war früh aufgebrochen. Kim und Hückelkorn, zwei international aufstrebende Proktologen, waren als Gäste geladen. Der eine stammte aus Saarbrücken und der andere aus Seoul. Sie hatten jeder an diesem Morgen schon angefragt, wann sie denn dann da sein würden. »Knapp drei Stunden«, hatte Gennadi geantwortet, worauf Kim anfing, an Olga herumzufummeln. Gennadi hatte das gesehen und unmittelbar glasklar verboten, dass auf seinem Schiff mit Natasha, Olga und ihren Freundinnen etwas lief, weshalb Kim und Hückelkorn die Gelegenheit nutzten und sich aufs Ohr legten.

      Natasha war auf Deck gekommen. Sie trug eine Seidenbluse. Unter dieser drückten sich ihre Nippel ab. Ihre Brüste waren von einer Konsistenz, die nicht allein Männern, sondern auch Frauen die Lust ins Gesicht trieb. Natasha liebte das Gleiten des Seidenstoffes, das wie Küsse war und das sie erregte. Sie liebte Erregung über alles, und nicht Geilheit. Geilheit verkaufte sie. Jede Drehung ihres Körpers war wie die Liebkosung durch einen liebenden Mann. Von denen hatte sie noch keinen getroffen. Darum liebte sie manchmal Olga, die ganz besonders zärtlich war, obwohl sie die Domina verkaufte. Die Männer, die Natasha kennengelernt hatte, legten oft das Geld auf den Tisch und benahmen sich von da an, als ob sie Natasha gekauft hätten. Eine Hand an die Titte, die andere zwischen die Beine. Natasha machte denen aber schon im Frühstadium ihrer Geilheit klar, dass sich mit den paar Scheinen die Hoheits- und Besitzansprüche in keiner Weise geändert hatten. Einmal hatte sie einen kleinen Dicken, einen Pfarrer aus der Erzdiözese München, weggestoßen, worauf der hinfiel, was er aber toll fand, weil sich sein Liebchen so sehr ihm, dem Draufgänger, widersetzte. Sie fuhr zu ihren Geschäften nie im geilen Dress, denn ihr geilstes Dress war eine schwarze Netzbluse mit großen Maschen, nichts darunter, sowie ein schwarzer Minirock mit ebenfalls nichts darunter, und alles andere, was sie sonst nicht anhatte. Dazu kamen high heels in red colour. Man sprach in der Preisklasse viel Englisch. Es hatte Männer gegeben, die allein bei ihrem Anblick gekommen waren, meist jüngere. Denen gab sie dann das Geld zurück. Natasha fand es nicht angemessen, sich im Alltag in ihrer Berufsbekleidung zu zeigen. Sie tat das nicht nur wegen ihrer Tochter nicht, die glaubte, sie sei jetzt an der Arbeit, sondern auch wegen der geilen Gaffer, die in den meisten Fällen noch nie eine richtig stehende Brust in der Hand gehabt hatten und denen sie kein falsches Zeichen geben wollte.

      Die Ostsee lag in leichtem Blau. Dahinein mengte sich das Orange der aufsteigenden, noch schwachen Sonne. Natasha schaute das Meer an, als hätte sich alle Liebe des Universums vor ihr ausgebreitet. Sie war nicht sentimental, aber sie konnte sehr ergriffen sein, so wie in diesem Augenblick. Sie liebte diesen Moment und wusste zugleich, dass ihm Stunden von Hitze, Schweiß, Gestank und Geilheit folgen würden, bevor sie am Abend wieder dieses Blau und dieses Orange beobachten können würde.

      Gennadi kam, stellte sich neben sie und sagte ohne Übergang etwas, das sie in Panik versetzte, etwas, das sie nie vorher in ihrem Leben je gehört hatte: »Egal, wer Sie sind, für wen Sie arbeiten und was Sie heute tun werden: Sie sind so schön in Ihrer Seele wie das Meer, denn Sie und das Meer sind von gleichem Blau.« Natasha riss den Kopf herum und blickte dem Mann ihres Lebens ins Gesicht. »Können Sie noch eine Zeile?« – »In dir tauche ich auf, um auf deinem Grund zu sehen, wer ich bin. Sie ist ein Engel. Sie kam, sah und verlor sich an mich.« Gennadi roch nicht nach Schweiß wie viele Männer, die Natasha ansprachen – er roch nach Meer. Sie fasste sich. »Sind Sie etwa Sternbild ›Fisch‹?« – »Ich bin ›Widder‹, und ich liebe Sie, schon immer, aber ich habe Sie nicht eher getroffen.« – »Ach, so lange schon?« – »Ist nicht sehr lange, aber es ist schon eine Weile her, zirka dreißig Jahre.« – »Na,


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