Der Nicht-tot-Mord. Lena M. Grimm

Der Nicht-tot-Mord - Lena M. Grimm


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aufgefallen?“, hakte Jonathan nach.

      „Nein, Inspector, alles war wie immer. Am Abend haben Julia und ich noch Pläne für die Jagd am Wochenende gemacht. Wir haben darüber gesprochen, was Mrs Bright zum Lunch vorbereiten sollte. Nach dem Dessert, es gab Pflaumenkompott mit Vanillecreme, wünschten wir uns eine gute Nacht und gingen umgehend zu Bett.“

      „Nun gut, Lord Berrington, wäre es möglich, mit Ihrer Tochter Helena zu sprechen und dem Hauspersonal ebenfalls?“

      „Selbstverständlich, Inspector, alles, was Sie brauchen, sagen Sie einfach Bescheid.“

      „Vielen Dank, Lord Berrington. Ach ja, da wäre noch etwas. Ich würde mir gerne Ihre Tochter Julia ansehen. Ich habe bereits einen guten Freund kontaktiert, er ist Professor für Medizin an der Universität in London und seine Fachkenntnisse haben mir schon oft weitergeholfen. Eventuell trifft er bereits heute Nachmittag hier ein.“

      „Nun, wie ich Ihnen bereits gesagt habe, alles, was Sie brauchen und was Ihnen hilft, die Umstände aufzuklären.“

      „Vielen Dank, Lord Berrington, das wäre alles. Richten Sie Ihrer Frau meine besten Genesungswünsche aus.“

      „Vielen Dank, Inspector.“ Mit diesen Worten verschwand Lord Berrington durch die gleiche Tür wie ein paar Minuten vorher schon seine Frau und Charles Sawlt.

      Clarkson marschierte daraufhin in die andere Ecke des Raumes, um die älteste und nun wohl auch einzige Tochter von Lord und Lady Berrington zu vernehmen.

      „Entschuldigen Sie, Miss Helena, ich bin Inspector Jonathan Clarkson und untersuche den Fall Ihrer Schwester, wäre es Ihnen möglich, einige meiner Fragen zu beantworten?“

      Das Mädchen blickte auf und unterbrach sein Harfenspiel. Jetzt konnte Jonathan Clarkson die Augen der Musikerin sehen. Sie waren vom gleichen Blau wie ihr Kleid und stachen ungewöhnlich aus ihrem Gesicht hervor. Er wusste nicht, wieso, aber er hatte das Gefühl, diese Augen schon einmal gesehen zu haben.

      Helena Berrington stellte ihre Harfe auf, drehte sich vollständig zu Clarkson um und sah ihn abwartend an.

      „Könnten Sie bitte den Vorfall mit Ihrer Schwester schildern, wie Sie ihn erlebt haben?“, fragte er sie wie vorhin schon ihren Vater.

      „Heute Morgen um ungefähr Viertel vor sieben wurde ich von Miss Dunham, unserer Amme, geweckt. Sie war sehr aufgebracht. Als sie mir schilderte, was geschehen war, ging ich natürlich sofort zum Zimmer meiner Schwester. Und da lag sie, regungslos uns blasser als das Laken. Ich konnte den Anblick kaum ertragen, ich musste mich abwenden und bin nach draußen gegangen. Miss Dunham sah nach mir und brachte mir eine Tasse heiße Schokolade, die mich etwas beruhigen sollte. Sie war sehr schockiert, ihre Hände haben so sehr gezittert, dass sie fast den Kakao verschüttet hätte. Ich bat sie, mich einen Moment allein zu lassen, und sie ging wieder, vermutlich zurück zu Julia. Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, entschied ich, nach meinen Eltern zu sehen. Ich fand sie hier in der Bibliothek. Der Anblick meiner aufgewühlten Mutter erinnerte mich an die grausame Wahrheit, und um mich abzulenken, fing ich an, Julias Lieblingsstück auf der Harfe zu spielen. Nach einer Weile kam dann Mr Sawlt mit der Ankündigung, Sie seien eingetroffen, und ein paar Minuten später schritten Sie selbst durch diese Tür.“ Sie deutete auf den Eingang zum Salon.

      „Und ist Ihnen irgendetwas Merkwürdiges an Ihrer Schwester oder generell aufgefallen?“

      „Nein, alles war so wie immer, während des Abendessens plauderten Vater und Julia über das Jagdfest, das am Wochenende stattfinden sollte, danach gingen wir zu Bett.“

      „Vielen Dank, Miss Helena, ich denke, das wäre erst mal alles. Ich werde Sie wieder spielen lassen. Ich gehe nach unten und vernehme das Hauspersonal. Auf Wiedersehen.“

      Helena Berrington drehte sich wieder zu ihrer Harfe um und fing erneut an zu spielen, eine andere Melodie als zuvor, eher etwas Dramatisches. Fast konnte Jonathan Clarkson die Opernsängerin dazu hören. Er schloss leise die Tür hinter sich und überlegte, wie er in diesem Wirrwarr von Gängen nach unten finden sollte.

      Nachdem er einige Male in einer Sackgasse gelandet war, begegnete er Charles Sawlt, der ihn nach unten in die Eingangshalle geleitete, wo schon das gesamte Personal auf ihn wartete.

      Die Vernehmung ergab keine neuen Ergebnisse. Er stellte allen Bediensteten die gleichen Fragen und bekam immer die gleichen Antworten. Nein, ihnen wäre nichts Außergewöhnliches aufgefallen, sie seien alle sehr verstört wegen des Vorfalls und könnten sich nicht vorstellen, was mit der jungen Lady geschehen sei. Sie wäre ein so nettes und zartes Mädchen gewesen, das keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.

      Ohne den geringsten Verdacht zu haben, machte der Inspector sich um halb elf auf den Weg zurück nach Sutherten Hill. Um Punkt zwölf Uhr gab es bei Betty Mittagessen und heute war Schmorbraten mit Bratkartoffeln und Gemüse dran. Das wollte Jonathan Clarkson sich nicht entgehen lassen.

      *

      Kapitel 2

      „Sehen Sie mal, wer hier ist, Inspector“, flötete ihm Betty just in dem Augenblick entgegen, als er die Tür zum Gasthaus geöffnet hatte. Sie zog ihn am Arm ins Speisezimmer und dort, am Tisch beim Fenster, saß Isaac.

      „Was machst du denn schon hier? Ich hatte dich frühestens um vier erwartet“, rief Jonathan überrascht aus.

      Isaac erhob sich und schüttelte seinem Freund herzlich die Hand. „Betty hier hatte Glück, dein Brief wurde gerade noch mit dem Morgenexpress zugestellt, und kaum hatte ich ihn erhalten, habe ich meine sieben Sachen gepackt und bin auf dem schnellsten Weg zu dir gekommen.“

      „Das ist großartig, ich brauche nämlich dringend deine Hilfe, Isaac. Es gab einen Todesfall auf Sutherten. Möglicherweise war es Mord.“ Da niemand außer ihnen im Raum war und Betty die Teller mit dem Mittagessen in der Küche nebenan anrichtete, konnte er frei mit Isaac Drew sprechen.

      „Und hast du schon einen Verdächtigen?“ Isaac nahm einen Schluck Tee.

      „Nein, alle sind schrecklich schockiert und verstört, einfach grauenvoll. Normalerweise kann ich nach der ersten Befragung ein Motiv ausmachen, doch diesmal ist es anders. Ich denke, das Ganze wird ziemlich kompliziert werden, ich kann es förmlich spüren.“

      Die Kirchturmuhr schlug zwölf Uhr und prompt kam Betty herein und stellte zwei Teller mit reichlich Schmorbraten, Bratkartoffeln und Gemüse vor ihnen ab, ebenso wie eine Tasse Tee für Jonathan und zwei Servietten.

      Während sie aßen, fing es draußen zu regnen an. Das war längst überfällig, eigentlich hatte Jonathan schon den ganzen Vormittag darauf gewartet, dass der Himmel seine Schleusen öffnete und die Engel ihr Badewasser ablaufen ließen.

      „Betty, Sie müssen mir unbedingt das Rezept geben. So gut hab ich schon seit Jahren nicht mehr gegessen“, lobte Isaac das köstliche Essen der Wirtin überschwänglich. Er saß mit verzückter Miene da und schaufelte sich unentwegt Schmorbraten, Bratkartoffeln und Gemüse in den Mund.

      Betty fing an zu lachen. „Tut mir leid, Mr Drew, das ist ein Familienrezept, ich werde es wohl erst auf meinem Sterbebett verraten.“

      „Ich werde auf jeden Fall da sein“, scherzte Isaac.

      „Da hast du schlechte Karten“, mischte sich Jonathan ein. „Ich befürchte, Betty wird uns alle überleben und auf unseren Gräbern tanzen.“

      Nachdem sie ihr Mittagessen beendet hatten, kam Isaac auf den Fall zurück. „Nun, Jonathan, wann kann ich denn das Opfer untersuchen?“

      „Von mir aus sofort, es sei denn, du möchtest dich von der Reise etwas erholen.“

      „Nein, ich fühle mich überraschend ausgeruht. Vielleicht liegt es an der Stille hier auf dem Land. In der Stadt herrscht eine stetige Geräuschkulisse.“

      „Verstehst du jetzt, warum ich die Stadt so verabscheue?“, konnte sich Jonathan den Kommentar nicht


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