Liebst Du mich auch?. Patricia B. McConnell
Kostproben ihres Verhaltens exakt einschätzen können. Der Psychologe Elisha Babad und seine Kollegen fanden heraus, dass die Zuschauer einen Filmausschnitt nur zehn Sekunden lang ansehen mussten, um genau sagen zu können, ob der Lehrer das Kind, zu dem er gerade sprach, mochte oder nicht. Die Lehrer selbst waren sich ziemlich sicher, ihre Gefühle zu verbergen, aber ihre Gesichter sagten etwas anderes. Das liegt daran, dass die Gesichtsmuskeln mehr als alle anderen Muskeln nur schwer bewusst zu kontrollieren sind – unsere Augenbrauen können sich minimal verändern, wenn wir besorgt, ärgerlich oder ängstlich sind, ohne dass wir uns bewusst zu diesen Bewegungen entschieden hätten – etwa so, wie wir uns entscheiden, einen Arm zu bewegen.
IHR GESICHT SPRICHT BÄNDE
Ihre Gesichtsmuskeln sind deshalb so schwer zu kontrollieren, weil sie eng mit dem Gefühlszentrum Ihres Gehirns verbunden sind. Viele dieser »Verkabelungen« gehen komplett am rationalen, denkenden Teil Ihres Gehirns vorbei, sodass der Prozess einer bewussten Entscheidung nicht mehr möglich ist. Das ist der Grund dafür, warum ein persönliches Gespräch von Angesicht zu Angesicht immer der beste Weg ist, miteinander zu kommunizieren und warum Hundetrainer oder Verhaltenstherapeuten Ihren Hund immer persönlich sehen möchten. Unsere Fähigkeit zum Sprechen erlaubt es uns zwar, alles Mögliche zu sagen (egal, ob wahr oder unwahr), aber unsere Gesichter bleiben die ehrlicheren Indikatoren unseres inneren Gefühlszustandes.
Einmal kam jemand zu einem demonstrativ freundlichen Besuch in mein Büro. Ich werde niemals vergessen, wie seine Augen kalt und hart wurden, während er mir gleichzeitig Komplimente machte. Ich wusste sofort, dass seine Worte bedeutungslos waren, weil die Botschaft in seinem Gesicht seine wahren Gefühle zeigte. Und diese Gefühle waren nicht nett (sie ließen mir die Nackenhaare zu Berge stehen), aber zumindest hatte ich eine genaue Vorstellung davon bekommen, was er wirklich fühlte.
Die Augen meines nicht so freundlichen Gastes waren eiskalt, aber vermutlich wäre mir das nicht so sehr aufgefallen, wenn ich nicht schon oft den gleichen Ausdruck in den Augen von Hunden gesehen hätte, die gleich zubeißen werden. Siebzehn Jahre Gesichtsmimik-Deutung bei Hunden, die mich möglicherweise beißen könnten, haben mich im Deuten der Gesichtsmimik von Menschen viel besser werden lassen. Andere Hundetrainer haben die gleiche Erfahrung gemacht – so häufig, dass wir auf Tagungen gerne Geschichten darüber austauschen, wie unsere verbesserte Fähigkeit zum Gesichterlesen uns durch schwierige Verhandlungen manövriert hat: Wir achteten mehr auf die tatsächlichen Gefühle der Gesprächspartner als auf ihre Worte. Das könnte nicht funktionieren, wenn Menschen nicht viele grundlegende Gefühle mit Hunden gemeinsam hätten. Die Gesichter von Hunden sind fast so plastisch wie unsere eigenen und können sich vom einen Augenblick auf den anderen von Enttäuschung in Freude verwandeln. Wir lesen die Gesichter unserer Hunde wie wir die Gesichter von Menschen lesen und suchen nach Informationen darüber, wie sie fühlen und was sie wohl als Nächstes tun werden. Erfahrung mag zwar unsere Fähigkeit zum Lesen zwischen den Zeilen verbessern, aber die grundlegenden Gefühle von Angst, Ärger, Freude und Ekel sehen auf den Gesichtern von Hunden, wie Darwin uns schon vor langer Zeit erinnert hat, genauso aus wie auf den Gesichtern unserer Menschenfamilie.
Es ist keine zufällige Übereinstimmung, dass hochsoziale Wesen wie Menschen und Hunde außergewöhnlich ausdrucksstarke Gesichter haben. Solitär (einzeln) lebende Tiere wie zum Beispiel Pandas haben relativ ruhige, gefühlsarme Gesichter, was es für uns schwierig einzuschätzen macht, was sie wohl gerade fühlen. Das ist auch sinnvoll, denn wenn Sie ein solitär lebendes Tier sind, spielt es keine Rolle, ob andere Ihre Gefühle erkennen können: Es gibt keine »anderen«. Wenn Sie allerdings in einer fest gefügten Gemeinschaft leben, spielt es eine große Rolle, ob Sie Angst haben oder frustriert sind, weil Ihre Gefühle eine prima Ankündigung dafür sind, was Sie als Nächstes tun werden – eine sehr praktische Information, wenn das Verhalten der anderen um Sie herum Sie direkt betrifft. Gefühlsausdrücke funktionieren in sozialen Interaktionen wie Schmierstoff. Je wichtiger Ihr Verhalten für die anderen um Sie herum ist, desto wichtiger ist es für die Gruppenmitglieder, Ihre Gefühle aus Ihrem Ausdrucksverhalten herauslesen zu können.
Der Ausdruck von Gefühlen und die Fähigkeit, ihn lesen zu können, sind also nichts Zufälliges – sie sind grundlegende Bestandteile einer sozialen Beziehung, in der die Partner wählen können, wie sie sich verhalten werden. Die Partner in einer komplexen sozialen Beziehung müssen in der Lage sein, die »Gefühlstemperatur« der anderen messen zu können – und das ist schwierig, wenn die Gefühle im Inneren verborgen sind. Diese Wichtigkeit der Gefühlsausdrücke in sozialen Beziehungen ist für unseren Umgang mit Hunden hochgradig relevant. Hunde verhalten sich so, als würden sie von uns erwarten, dass wir ihre Mimik richtig deuten könnten. Wenn wir das nicht tun, weil wir entweder nicht dazu in der Lage sind oder nicht aufpassen, können sowohl Mensch als auch Hund in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
BEWEGENDE GEFÜHLE
Wir können mit gutem Grund annehmen, dass das Ausdrucksverhalten unserer Hunde genau wie bei uns Menschen ein verlässlicher Indikator des inneren Gefühlszustandes ist. Das aus dem Lateinischen stammende Fremdwort für Gefühle, »Emotion«, ist abgeleitet von dem Wort »Motion«, was so viel heißt wie »Bewegung« – und diese Wortverwandtschaft ist sehr vielsagend. Eine Emotion ist, so erklärt es der Neurobiologe John Ratey, eine »Bewegung nach außen, ein Weg, unsere wichtigsten inneren Zustände und Bedürfnisse mitzuteilen«. Wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, sind die Ausdrucksbewegungen auf unseren Gesichtern feste Bestandteile unserer Gefühle – man kann nicht von beidem als getrennte Dinge sprechen. Wenn Sie die Gefühle Ihres Hundes verstehen möchten, müssen Sie den Ausdruck seines Gesichts lesen können.
Der Rest dieses Kapitels möchte deshalb Ihre Fähigkeit zum Verstehen von Gefühlsausdrücken bei Hunden etwas aufpolieren. Natürlich werden wir alle nur durch Übung besser darin, aber wir haben auch eine solide Grundlage, auf der wir aufbauen können. Im Allgemeinen sind Menschen ziemlich gut darin, starke Gefühle aus den Gesichtern anderer Menschen lesen zu können – egal, wo diese herkommen oder welche Sprache sie sprechen.
Paul Ekman, der jahrzehntelang den Ausdruck von Gefühlen in verschiedenen Kulturen studiert hat, fand heraus, dass Ärger, Glück, Angst, Überraschung, Traurigkeit und Ekel auf der ganzen Welt gleich aussehen. Wenn er ein Mitglied eines isoliert lebenden Stammes auf Neu Guinea bat, so zu tun, als sei sein Kind gestorben, dann bewegte sich sein Gesicht in genau den gleichen Ausdruck, den Sie auch bei einem japanischen Computerprogrammierer oder bei einem amerikanischen Schuhverkäufer finden würden, wenn Sie diesem die gleiche Frage stellen würden. Trotz der immensen kulturellen Unterschiede drücken wir Menschen unsere grundlegenden Gefühle alle auf die gleiche Weise aus.
Es ist nicht nur so, dass unsere Gesichter sich auf genau vorhersehbare Weise verändern, wenn wir glücklich oder traurig sind, sondern unser Gefühlsausdruck wird auch auf jedem Kontinent der Welt gleich verstanden. Dutzende von Studien zeigen, dass Menschen verschiedener Länder und Kulturen, darunter auch Mitglieder von isoliert lebenden Jäger-und-Sammler-Stämmen, Fotografien von Gesichtern mit den Ausdrücken der grundlegenden Gefühle gleich interpretieren. Selbst blind geborene Kinder, die nicht durch Nachahmung von anderen gelernt haben können, drücken ihre Gefühle so aus, dass sie überall auf der Welt richtig verstanden werden. Kulturelle Unterschiede gibt es nur darin, mit welcher Wahrscheinlichkeit Menschen Grundgefühle ausdrücken – Japaner beispielsweise drücken negative Gefühle seltener aus als Amerikaner – aber beide Kulturen stimmen darin überein, wie Gefühle aussehen, wenn sie denn erst einmal ausgedrückt werden.
Wie wir schon gesehen haben, teilen Menschen und Hunde viele dieser Gefühlsausdrücke – nur kann es eben etwas verzwickt sein, sie durch Schlappohren und lange, haarige Schnauzen hindurch zu erkennen. Selbst Menschen, die schon ihr ganzes Leben mit Hunden verbracht haben, können sich selbst noch trainieren, indem sie nur auf die wichtigen Signale achten, also »Thin-slicing« betreiben, damit sie besser verstehen können, was im Kopf des Hundes vorgeht. Besonders wertvoll ist, wahrnehmen und deuten zu lernen, was Paul Ekman als »Mikro-Ausdrücke« bezeichnet – flüchtige und subtile Indikatoren für Gefühle, die man nur mit Übung erkennen kann. Je besser Sie darin werden, desto leichter werden Sie erkennen, wann Buster nicht gerne gestreichelt wird und folglich