Liebst Du mich auch?. Patricia B. McConnell
Ich sehe auch unterwürfige Hunde züngeln, die ständig allen um sie herum signalisieren, dass sie nicht die Führung und Verantwortung übernehmen möchten. Für nichts. Niemals.18
Wie oft ein Hund züngelt, kann Ihnen viel über seine Persönlichkeit verraten. Meine liebe, untergebene Pip züngelt bei praktisch jeder Gelegenheit, auch dann, wenn ich zu ihr hingehe, um sie zu streicheln. Sie liebt mich innig – zumindest glaube ich das – aber sie ist so unterwürfig, dass sie auf so gut wie jede soziale Begegnung mit Züngeln reagiert. Ich hörte damals auf, sie zur Hütearbeit einzusetzen, als sich einmal ein Schaf zu ihr umdrehte und sie mit Schwanzwedeln und Züngeln darauf reagierte. Sämtliche Border Collies auf der ganzen Welt wären entsetzt gewesen. Mein Cool Hand Luke dagegen hat fast niemals gezüngelt. Er liebte es, sich um widerspenstige Schafe zu kümmern und strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Das einzige Mal, dass ich ihn zu seinen besten Zeiten züngeln sah, war, als er zu einer Krebsbehandlung beim Tierarzt war. Als Jahre später seine Nieren versagten, musste ich ihm zweimal täglich mit einer riesigen Spritzennadel Flüssigkeit unter die Haut injizieren, wobei er jedes Mal kläglich winselte. Nachdem ich das vier Tage lang getan hatte, züngelte er eines Morgens, als ich mich ihm näherte. Ich war so geschockt, dass ich wie angewurzelt stehen blieb. Ich war sicher, dass er das tat, weil er gelernt hatte, mich mit Schmerzen in Verbindung zu bringen. Ich rief besorgt beim Tierarzt an (was so viel heißt, dass ich haltlos schluchzte) und sagte, dass unmöglich ich es weiter übernehmen konnte, Luke Flüssigkeit zuzuführen. In der Hoffnung, dass die zusätzliche Flüssigkeit ein totales Nierenversagen verhindern könnte, machten wir noch vier Tage lang damit weiter, aber ich fuhr ihn zweimal täglich in die Tierarztpraxis, sodass unsere letzte gemeinsame Zeit nicht von Angst, sondern von Zuneigung geprägt war. Ich bin so dankbar, dass ich wusste, was Züngeln bedeutet. So krank Luke auch war, er züngelte nie wieder und wir konnten die letzten Tage in einem bittersüßen Nebel von Liebe und Kummer verbringen.
Aus den erzählten Begebenheiten erkennen Sie, dass jeder Hund anders ist. Beobachten Sie ab jetzt einmal Ihren Hund daraufhin, wann er züngelt. Vielleicht sehen Sie es nie, oder vielleicht sehen Sie es die ganze Zeit. Manche Hunde tun es, wenn man ihre Hinterpfoten in die Hand nimmt und hochhebt, denn die meisten Hunde mögen es nicht, wenn man ihre Hinterpfoten anfasst. Unterwürfige oder leicht ängstliche Hunde werden als Reaktion züngeln, während auf Status bedachte Hunde steif werden und ihre Kiefer zusammenpressen.19 (Die Hunde dazwischen werden zappeln, sich winden, Ihre Hand lecken oder sich auf den Rücken rollen.) Wenn Sie eine Vorstellung von der »Grundfrequenz« des Züngelns bei Ihrem Hund haben, können Sie leichter erkennen, wann er ängstlich ist oder sich unterlegen fühlt. Sie können dieses Wissen auch auf fremde Hunde anwenden. Ein Hund, der am ganzen Körper wedelnd mit tief getragenem Kopf und züngelnd auf Sie zukommt, bittet untergebenst um Aufmerksamkeit. Wenn ein Hund aber stillsteht, aus geschlossenem Fang heraus züngelt und dann seinen Kopf steif von Ihnen wegdreht, dann passen Sie auf, was Sie tun. Der Hund teilt Ihnen laut und deutlich mit, dass er sich unwohl fühlt und im Moment kein Interesse an einem Date mit Ihnen hat. Sie sollten diese Botschaft in Ihrem eigenen Interesse nicht ignorieren.
»ICH GÄHNE NICHT AUS LANGEWEILE«
Gähnen kann ein weiteres Signal dafür sein, dass Ihr Hund sich unwohl fühlt. Leicht ängstliche Hunde gähnen oft, worauf Hundetrainer und Verhaltenstherapeuten aufmerksam achten. Natürlich gähnen Hunde mitunter auch einfach deshalb, weil sie gerade aufgewacht und noch schläfrig sind. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass jedes Gähnen gleich ein Alarmsignal sein muss. Trotzdem werden Sie Ihren Hund viel besser verstehen lernen, wenn Sie auf sein Gähnen achten. Gähnen ist eine hervorragende Einführung in das Thema »Calming Signals« (beruhigende oder beschwichtigende Signale), wie es eine norwegische Hundetrainerin namens Turid Rugaas in ihrem gleichnamigen Buch genannt hat. In diesem Buch legt sie dar, dass viele der in diesem Kapitel besprochenen Signale von Hunden dazu benutzt werden, andere Hunde zu beruhigen und beschwichtigen. Auch das Gähnen zählt sie zu diesen Signalen. Sie empfiehlt sogar, Hundebesitzer sollten einmal selbst versuchen, ihre Hunde in stressigen Situationen durch Gähnen zu beruhigen. Sie stimmt aber auch zu, dass Hunde gähnen, wenn sie ängstlich sind und man das Gähnen am häufigsten bei Hunden sieht, die umarmt werden, vom Tierarzt untersucht werden oder die stressige Begegnungen mit Artgenossen haben.
Dies führt uns zu zwei interessanten Feststellungen im Zusammenhang mit der Funktion vieler der eben besprochenen Signale. Eine davon ist, dass die gleiche Bewegung viele Bedeutungen haben kann, so, wie das Lächeln eines Menschen sowohl Freude als auch Nervosität bedeuten kann. Wenn der Grund eines Gähnens Müdigkeit oder Entspannung ist, dann liegt auch nahe, dass es eine beruhigende Wirkung auf andere haben muss. Geschieht es aber aus Angst, ist die Wirkung auf andere weniger klar. Eine zweite interessante Frage betrifft die Funktion des Gähnens selbst. Versucht der Gähnende, der »Sender des Signals«, den anderen absichtlich und bewusst zu beruhigen (oder zu beunruhigen), oder ist der Ausdruck ein ungesteuertes Ergebnis der Gefühle des Senders? Ich vermute, dass Letzteres öfter der Fall ist, zumindest was Signale wie Züngeln oder Gähnen betrifft. Ein ängstlicher Hund, der züngelt oder gähnt, versucht vermutlich nicht bewusst, ein anderes Individuum zu beruhigen – Sie erinnern sich, wir sagten, dass Gähnen unwillentlich geschieht, was auch auf das Züngeln zutreffen könnte. Trotzdem ist es durchaus sinnvoll, dieses Verhalten »Calming Signals« oder »Beschwichtigungssignale« zu nennen, weil sie das Gegenteil derjenigen Signale sind, die ein angriffsbereiter Hund zeigt. Hunde, die züngeln und gähnen, übermitteln auf keinen Fall die Botschaft »Ich habe keine Angst und kann dich gleich beißen«, wie sie ein steifer, unbeweglicher Körper und ein harter, kalter Blick ausdrücken. Es ist nachvollziehbar, dass Signale wie Gähnen die Gefühle von Hunden, die sie sehen, beeinflussen können, und deshalb ist es auch nachvollziehbar, sie »Beschwichtigungsignale« zu nennen.
Gähnen ist ein besonders interessantes Signal – nicht nur, weil es meistens unwillentlich geschieht, sondern auch deshalb, weil es fast unmöglich ist, jemandem dabei zuzusehen, ohne selbst gähnen zu müssen. Wir sind uns noch nicht einmal über die Funktion des Gähnens sicher, aber wir wissen, dass die meisten Menschen gähnen müssen, wenn sie jemand anderen gähnen sehen. Das perfekte Beispiel dafür, dass wir auch mit Hunden Gefühle austauschen, ist, dass das Gähnen eines Hundes auf Sie genauso ansteckend wirken kann wie das Gähnen eines Menschen.
FALTEN SIND TOLL
Ich hoffe, niemand kommt je auf die Idee, Botox bei Hunden einzusetzen, denn ein Hund mit Falten um die Augen ist ein Hund, der sich freut, Sie zu sehen. Die Augen eines Hundes sind eine wunderbare Informationsquelle darüber, was innen in seinem Kopf vorgeht. Es braucht Erfahrung, einige der Augen-Ausdrucksformen bei Hunden deuten zu lernen, aber Falten um die Augen sind leicht zu erkennen. Genau wie bei lächelnden Menschen, bei denen sich freundliche Augenfältchen bilden, haben auch Hunde, die sich über die Begegnung mit Ihnen freuen, eine Menge haariger Krähenfüße rund um die Augen. Schauen Sie einmal hin, wie sich die Muskeln rund um die Augen zusammenziehen – genau wie unsere, wenn wir glücklich sind oder uns amüsieren. Vergleichen Sie die Augen der Hunde und der Menschen mit den »glücklichen Gesichtern« auf den Fotos und Sie werden sehen, dass bei beiden Spezies die Muskeln rund um die Augen wichtiger Bestandteil des Ausdrucks sind. Mein Eindruck ist, dass die Augen umso mehr Falten werfen, je untergebener ein Hund ist – deshalb bin ich mir nicht so ganz sicher, dass zwinkernde Augen bei Hunden so direkt mit dem Glücksgefühl zusammenhängen wie bei uns. Es scheint so, dass die sanftmütigsten Hunde bei der Begrüßung zwinkern. Das ähnelt den Berichten von Wolfsforschern, die Falten um die Augen als einen der vielen Ausdrücke für Unterwerfung oder Beschwichtigung eingeordnet haben.
Dagegen haben Hunde, die auf Hab-Acht-Stellung, überrascht oder ängstlich sind, oft gerundete Augen. Hierin sind sie Menschen nicht unähnlich, die ihre Augen bei Schreck oder Überraschung ebenfalls runden. Deutliche Beispiele dafür finden Sie auf den Gesichtern beider Spezies im Bildteil. Pip hatte Angst vor Gewitterdonnern, und wenn sie nach einem besonders lauten Krachen ins Bett gesprungen kam, waren ihre Augen immer so groß und rund wie Pfannkuchen. Gerundete Augen sind ein sicheres Zeichen dafür, dass der Hund entweder Angst hat oder sehr erregt ist.