Grenzenlose Hoffnung. Alvaro Solar
die weiter Fußball spielten und nicht studierten.
Um zu überleben, müssen die meistens von ihnen hart arbeiten.
So gesehen hatte mein Vater recht.
Aber wenn ich Fußball im Fernsehen anschaue,
dann klopft mein Herz schneller;
meine Liebe für diesen Sport hörte nie auf.
Nach dem Abitur studierte ich Jura in Aleppo und wurde Anwalt.
Das ist wahrscheinlich gar kein Zufall.
Beim Fußball war ich fürs Mittelfeld zuständig,
ich hatte also mit Abwehr und Angriff zu tun.
Genauso ist es beim Anwalt, man muss genau wissen,
wann man angreifen und wann man verteidigen muss.
So gesehen spielte ich weiter Fußball.
Ich arbeitete in Damaskus, meine Frau auch,
als Sekretärin an einer privaten Universität.
Mit dem Krieg wurde alles kompliziert.
Ich konnte in der Hauptstadt nicht mehr arbeiten.
Nur um die Stadt zu erreichen, brauchte ich mehrere Stunden;
immer wieder wurde man von Soldaten kontrolliert.
Wir entschieden also nach Kobanê zu ziehen.
Die Situation dort war auch nicht besser.
Nach zwei Monaten gingen wir Richtung Nordirak.
Ich konnte Englisch, Arabisch und Kurdisch sprechen,
deshalb dachte ich, dass ich einen Job bekommen könnte.
Um fünf Uhr morgens verabschiedeten wir uns von unseren Familien.
Mein Bruder hat uns mit seinem Wagen gefahren.
Unterwegs trafen wir auf die Patrouillen der kurdischen Kämpfer.
Sie bekamen ca. 25 € von uns, damit sie uns weiterfahren.
Sie brachten uns bis zu einem bestimmten Ort,
danach gingen wir allein zu Fuß weiter.
Nach zwei Stunden laufen, erreichten wir endlich
die kurdisch-irakische Grenze.
Meine Frau war schwanger, sie war ziemlich erschöpft.
Als die kurdischen Soldaten merkten, dass sie schwanger war,
haben sie uns Getränke und Essen mitgebracht;
sie kümmerten sich sehr um sie
und wollten sogar für sie eine Ambulanz rufen,
aber meine Frau sagte, es sei nicht notwendig.
Wir übernachteten dort und am nächsten Tag
brachte uns ein Auto in die Stadt,
wo ein Cousin von mir auf uns wartete.
Als wir endlich ausruhen konnten,
merkte ich, dass wir jetzt im Exil lebten,
und dass diese Tragödie gerade eben angefangen hatte.
Dort waren wir drei Jahre lang.
Ich arbeitete bei UNICEF
in den Flüchtlingscamps der Regierung;
ich kümmerte mich um das Wohlergehen der Kinder.
Später ging es weiter nach Europa,
schließlich nach Deutschland.
Hier in Bremen kann ich als Anwalt nicht arbeiten;
mein Studium wird hier leider nicht anerkannt.
Drei bis vier Jahre müsste ich in die Uni gehen,
um wieder als Anwalt zu gelten.
Ich bin nicht hier, weil ich unbedingt hierher wollte,
ich musste meine Heimat verlassen.
Ich war gezwungen wieder schnell eine wichtige Entscheidung
in meinem Leben zu treffen.
Wie im Mittelfeld beim Fußball.
Zwischen Angriff und Verteidigung.
DER SCHLÜSSEL
Mein Name ist Izzadin,
aber man nennt mich Django. Wie der Cowboy.
Ich komme aus Kurdistan und bin
seit anderthalb Jahren in Deutschland.
Ich bin 23 Jahre alt.
Ich möchte Schauspieler werden.
Ich denke, wenn ich Schauspieler bin,
dann kann ich den Menschen zeigen, wie meine Kultur ist,
unser Folklore.
Zum Beispiel wie wir das Neujahr feiern.
Das Fest ist schon 2.600 Jahre alt.
Ein Fest der Wiedergeburt.
Der Winter geht, der Frühling kommt.
Aber auch ein Fest gegen Unterdrückung und Despotismus.
Ein Fest für die Freiheit, für die Liebe.
Apropos Liebe:
Ich habe mich verliebt. Ich war sehr glücklich.
Das war, bevor ich eine kleine Wohnung bekommen habe.
Jetzt habe ich auch ein Fahrrad.
Das heißt, ich habe zwei Schlüssel:
einen für die Wohnungstür, den anderen fürs Fahrrad.
Ich habe hier Menschen gesehen, die viele Schlüssel haben,
zehn oder mehr.
In meiner Heimat hat man normalerweise
nur einen Schlüssel, mehr nicht.
Wie gesagt, ich habe mich verliebt.
Sie hat mich aber leider verlassen.
Sie ist zu einem anderen Mann gegangen.
Er hatte ein Auto. Also mehr Schlüssel als ich.
Ich war sehr traurig, deprimiert.
Ich wusste nicht, was ich tun soll.
Eines Tages habe ich viel getrunken, um zu vergessen.
Es war aber nur ein Tag, mehr nicht.
Es gibt welche, die trinken, um zu vergessen,
bis sie vergessen haben, warum sie trinken.
Das war bei mir nicht der Fall.
Nur an einem Tag.
Aber viel.
Ich war irgendwann endlich betrunken
und wollte mehr trinken.
Das gehört irgendwie zusammen:
betrunken sein und dann mehr trinken zu wollen.
Warum ist das so?
Keine Ahnung. Es ist halt so.
Ich ging auf die Straße und sah einen Laden mit viel Licht.
Da waren auch Flaschen in der Vitrine,
kleine und große Flaschen.
Ich ging hinein und sagte:
„Eine Flasche Whisky bitte, vom Besten!“
Ich