Grenzenlose Hoffnung. Alvaro Solar
gebrochen, die Hüfte, ein Knie und eine Hand.
Ich habe gerufen, geschrien, so laut ich konnte.
Meine Mutter hat meine Hilferufe gehört.
Das hat mir das Leben gerettet.
Als ich 23 Jahre alt war, habe ich bei einer
amerikanischen Metallfirma gearbeitet.
Den Job hatte ich von einem Neffen angeboten bekommen.
Drei Jahre lang konnte ich dort ohne Probleme arbeiten.
Dann haben die Taliban das mitgekriegt.
Ich musste weg.
Ich ging nach Dubai,
in die Arabischen Emirate.
Dort habe ich mich als Taxi- oder LKW-Fahrer durchgeschlagen.
Auch als Tischler habe ich gearbeitet.
Aber das Geld war zu wenig.
In Afghanistan hatte meine Familie auch nicht genug zum Leben.
Mein Vater befahl mir zurückzukommen
und für die Familie bei der Schafherde zu arbeiten.
Ich war sehr jung und wusste nicht,
dass das Leben noch härtere Prüfungen für mich bereit hatte.
Als ich 26 Jahre alt war,
gab es in unserer Ortschaft eine Konfrontation
zwischen den Taliban und der Polizei.
Eine Bombe explodierte direkt auf unserem Haus.
Zwölf Menschen sind dabei getötet worden.
In einer Sekunde haben sie meine ganze Familie ausradiert.
Meine Eltern und meine Geschwister.
Ich befand mich in der Zeit in Kabul,
deshalb bin ich noch am Leben.
Der Brunnen, in den ich danach gefallen bin,
war noch tiefer und dunkler.
Ich zog nach Kabul in das Haus meiner Schwiegereltern ein.
Irgendwann heiratete ich und bekam vier Kinder.
Eines Tages entschied ein Onkel von mir,
dass das Haus und das Land meiner Eltern ihm gehörten.
Also sagte er:
„Wenn ich dich wiedersehe, bringe ich dich um.“
Ich hatte nun dort keine Zukunft mehr.
Ich entschied das Land zu verlassen,
und andere Möglichkeiten für meine Familie,
für meine Kinder zu finden.
Durch Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland,
durch Mazedonien, Serbien und Österreich,
zu Fuß, durch das Wasser, mit dem Bus, dem Auto etc.
bin ich nach Deutschland gekommen.
Und nun bin ich in Bremen.
Allein.
Ohne meine Frau, ohne meine Kinder.
Ich kann nicht schlafen, ich habe keine Ruhe.
Wenn ich die Augen zumache,
dann sehe ich all die schrecklichen Bilder vor mir.
Ich hoffe meine Familie bald wieder bei mir zu haben,
um endlich Frieden zu finden.
Trotz allem, manchmal kann ich lachen,
ich kann mich über Kleinigkeiten freuen.
Oder ich nehme einen Stift und zeichne.
Ich zeichne das, was mir durch den Kopf geht.
Dann sind die anderen Bilder weg.
MITTELFELD
Mein Name ist Mohamad und ich komme aus Damaskus.
Als Kind liebte ich Fußball zu spielen.
Ich wollte damals ein Profifußballer werden.
Eine Art syrischer Diego Maradona, das war mein Traum.
Als ich sechs Jahre alt war,
wurde ich Mitglied eines Fußballvereins in Raqqa.
Der Verein hieß Al-Shabab.
Ich war Mittelfeldspieler, d. h., ich war die Schaltstelle zwischen
Abwehr und Angriff.
Die nächsten acht Jahren spielte ich dort leidenschaftlich Fußball.
Ich war richtig gut, ich war ein Talent.
Dann kam die Zeit, als ich Abitur machen sollte.
Am Ende des Sommers und kurz vor dem Beginn des Schuljahres
sagte mein Vater nach dem Abendessen, dass er mit mir reden wollte.
Wir gingen in ein anderes Zimmer; es klang also sehr wichtig.
Mein Vater sagte:
„Du bist jetzt in einem wichtigen Moment deines Lebens.
Jetzt definiert sich deine Zukunft.
Ich will, dass du Erfolg hast und ich auf dich stolz sein kann.
Du weißt, dass man in unserem Land vom Fußball nicht leben kann.
Du hast Erfolg mit diesem Sport gehabt,
aber jetzt musst du dich entscheiden:
Entweder machst du das Abitur und gehst zur Universität
oder du spielst professionell weiter Fußball; beides geht nicht.
Ich lasse dich darüber nachdenken, bis die Schule beginnt.“
Er ließ mich mit meinen Gedanken im Zimmer allein zurück.
Ich hatte das Gefühl, etwas Wichtiges steht mir bevor.
Ich musste zwischen zwei Dingen entscheiden, die ich gleich liebte:
Fußball und Schule.
Wenn man studiert, dann wird man von den anderen respektiert
und hat die Chance, ein gutes Leben zu führen.
Beim Fußball hatte ich, bis ich zehn Jahre alt war,
viel gekämpft, um unter den Besten zu sein.
Die ganze Nacht war ich wach und dachte nach,
welche Entscheidung ich treffen sollte.
Die Unterhaltung mit meinem Vater ließ mich nicht mehr los.
Morgens früh hatte ich meine Entscheidung getroffen:
Ich wusste, dass ich meinen Vater nicht enttäuschen würde,
besonders, weil er mir mein ganzes Leben lang
eine gute Existenz gegeben hatte.
Ich musste mich leider vom Fußball trennen.
Der Trainer war sehr traurig und sagte, dass das Mittelfeld
für mich immer zur Verfügung steht, falls ich zurückwill.
Ich ging nach Hause und wollte nur heulen.
Beim Abendessen sagte mein Vater:
„Du hast die richtige Entscheidung getroffen,
das wird dir die Zukunft zeigen und du wirst sehen,
dass ich dir einen guten Rat gegeben habe.“
Manchmal traf ich Freunde von damals,