Der Grüne Planet. Erik Simon
Zeiten – Der Klimawandel hat auch seine schönen Seiten …
•Mad World – War da was?
Die Herausgeber
APOCALYPSE NOW
Die Katastrophe hat stattgefunden
Mit den Geschichten
•vom Leben auf dem Mond
•vom Trost der Musik in postapokalyptischen Zeiten
•von den arbeitslosen Robotern
•vom Dramp
•vom letzten Großvater
•von den Mietnomaden
CLOUDS ACROSS THE MOON
von Kai Focke
Dienstag, 18. September 2136, 01:48 Uhr (MSZ): Orbitalstation Janus – Kommandozentrale
Der Datenabgleich bestätigte Noahs Verdacht: Die Aktivitäten auf dem Areal des Raumfahrtzentrums Guyana hatten zwischen den letzten zwei Erdumkreisungen von Janus stark zugenommen. Er musste dies melden! Ein Blick auf den Chronographen zeigte an, dass auf Lunaria noch fünf Zeitstunden bis zum Ende der Dunkelphase vergehen würden. Er überlegte und stellte eine Verbindung zum Quartier seiner Bordkollegin her. Bevor er der gesamten Bereitschaft im Mond-Kontrollzentrum den Schlaf raubte, war es besser, zuerst sie aus der Koje zu werfen und das weitere Vorgehen mit ihr abzustimmen.
»Mei, schwing deinen Knackarsch in die Zentrale. Da unten läuft irgendetwas quer.«
Ein Gähnen leitete die Antwort ein. »Nur, wenn du für meinen Knackarsch einen Kaffee ziehst, Frog.«
Noah grinste augenzwinkernd in den Kommunikator. Er war ein gestandener Mann Ende sechzig und hätte ihr Großvater sein können. Obwohl er auf dem Mond geboren und mit den Beinen nie den Erdboden berührt hatte, verriet seine Aussprache das franko-kanadische Erbe. Daher, und auch auf Grund seines gemütlichen Wesens, trug er den häufig abwertend gemeinten Spitznamen »Frog« nicht nur mit Humor, sondern sogar mit Stolz.
Ungefähr zeitgleich mit dem Zuleiten des Kaffees in einen Vakuumbecher – die lauwarme Brühe stellte lediglich farblich einen vagen Bezug zu ihrem Namensgeber her –, schwebte die nur mit einem Nachthemd bekleidete Meiming Xu in die Kommandozentrale. Auch an dieser Stelle gingen Name und Wirklichkeit konsequent getrennte Wege, denn die mit Instrumenten und Bildschirmen gefüllte Zentrale bot kaum Platz für zwei Personen.
Als die Mittzwanzigerin das Videomaterial durchsah, schienen ihre Augen auf die Größe von denen einer Manga-Heldin anzuwachsen. Der Vakuumbecher war vergessen und driftete unbeachtet durch den Raum, während Meiming hastig die Ansicht maximierte und auf die Bereiche der Überwachungszonen mit nachgeordneter Priorität ausweitete.
»Schau dir das an!« Mit dem Finger deutete sie auf einen größtenteils unter Baumwipfeln verborgenen Hallentrakt etwa zwanzig Kilometer westlich des Raumfahrtzentrums. Eine Zeitraffer-Darstellung der vergangenen Tage offenbarte eine hohe Frequenz von an- und abfahrenden Schwerlasttransportern.
»Die bereiten irgendetwas vor – und das nicht erst seit gestern. Lass uns den Rechner mit den Archivaufnahmen der letzten Wochen füttern. Vielleicht können wir Rückschlüsse auf das seitdem bewegte Transportvolumen ziehen.«
»Glaubst du«, Noahs Stimme klang mit einem Mal heiser, »uns steht ein neues ›2078‹ bevor?«
Meiming musste schlucken.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, flüsterte sie ernst, wobei im Kann ein unüberhörbares Will mitschwang. »Dann würden sie sich doch viel mehr Mühe geben, die Vorbereitungen zu verbergen, oder? Außerdem hätte ein Angriff doch überhaupt keinen Sinn.«
»Der Nuklearschlag von ’78 war auch nicht rational«, merkte Noah kritisch an. Kurzentschlossen öffnete er einen Kanal.
»Janus an Kontrollzentrum – hier Noah Morin. Dringlichkeitsstufe 1. Verdacht auf ›Weltenbrand‹. Ich wiederhole: Verdacht auf ›Weltenbrand‹. Datenauswertung folgt auf Frequenz ›Epsilon‹. Morin Ende.«
Er seufzte und zwang sich zu einem Lächeln. »Die Meldung kostet sicher nicht nur den Jungs und Mädels von der Bereitschaft die Nachtruhe. Immerhin werden wir hier draußen von dem Durcheinander verschont bleiben.«
Mittwoch, 19. September 2136, 06:52 Uhr (MSZ): Lunaria – Große Halle (Forum des Lenkungsrats)
Offensichtlich hatte die Einberufung des Lenkungsrats nicht bis zum Ende der Dunkelphase warten können. Den meisten der in der Großen Halle versammelten Mitglieder des zwanzigköpfigen Gremiums gelang es nur mäßig, ihre Müdigkeit zu verbergen. Mit den der niedrigen Mondschwerkraft geschuldeten Schlurfschritten bewegten sie sich langsam auf ihre Sitzplätze zu. Maximilian von Armansperg konnte jedoch in ihren Gesichtern ablesen, dass sie ausnahmslos den noch nicht verkündeten Ernst der Lage spürten. Selbst Ethan Solveig, dessen gehaltvolle Anekdoten und gut platzierte Scherze bereits mehrere festgefahrene Debatten aufgelockert hatten, versprühte die Heiterkeit eines in den Leerraum abdriftenden Eiskometen. Als Letzter betrat Edward King, Präsident der Freien Mondgemeinschaft, die Halle. Der von Geburt an blinde Endvierziger wurde von seinem fast zwei Meter messenden Assistenten Amado Lopez zum Sitz begleitet, während die zierliche Elly Baker mit durchdringender Stimme die einzelnen Mitglieder namentlich aufrief und schließlich formal die Beschlussfähigkeit des Gremiums feststellte. Zusammen mit Ethan und dem Präsidenten bildete sie den Vorsitz des Lenkungsrats und nahm mit den beiden an der Stirnseite des rechteckigen Besprechungstisches Platz. Maximilian beobachtete die Szene von der ansonsten leeren Zuschauertribüne, welche die ellipsenförmig konstruierte Halle mit der aus Milchglas bestehenden Kuppel vollständig umschloss.
Der von jedermann »Max« oder liebevoll »Old Max« genannte 120-jährige Historiker gehörte strenggenommen nicht zum Lenkungsrat. Da er jedoch seit seiner Ankunft auf dem Mond vor mittlerweile acht Jahrzehnten an sämtlichen Sitzungen teilgenommen hatte, störte sich irgendwann niemand mehr daran, dass er auch den nichtöffentlichen Zusammenkünften des Gremiums beiwohnte. Sein Rat, den er nie ungefragt beisteuerte, wurde hoch geschätzt. Zudem war er einer der wenigen Mondbewohner, die echten Erdboden unter ihren Füßen gespürt hatten. Bevor er den Blauen Planeten für immer verließ, hatte er in den Vereinigten Staaten von Europa gelebt. Damals war die knapp 25.000 Einwohner zählende Station mit einer Kleinstadt vergleichbar, die sich immerhin größtenteils eigenständig versorgte. Neben einer Wasseraufbereitungsanlage sowie zwei Agrarmodulen verfügte sie bereits über eine medizinische Abteilung und sogar über ein winziges Kulturzentrum mit Theaterbühne. Heute boten Lunaria sowie ihre Schwesterstadt Esperanza eine den Mondverhältnissen perfekt angepasste Infrastruktur und insgesamt über 190.000 Menschen ein Zuhause.
»Habt Dank, liebe Freunde, dass ihr alle dem Ruf gefolgt seid und damit der Dringlichkeit unseres Treffens Rechnung tragt«, eröffnete Edward die Sitzung und sprach dabei wie gewohnt ruhig und mit fester Stimme. Maximilian blieb jedoch nicht verborgen, dass sich einzelne Schweißperlen auf der dunklen, wie Ebenholz glänzenden Haut des Präsidenten abzeichneten.
»Um 02:09 Uhr hat Janus den ›Weltenbrand‹-Code übermittelt. Der Code steht für Aktivitäten, welche auf die Vorbereitung eines Nuklearschlags hindeuten.«
Ein Raunen wogte durch die Halle. Elly musste das Gremium wiederholt zur Ordnung rufen.
Jetzt, dachte Maximilian, ist jeder wach.
»Die vollständige Auswertung des übertragenen Datenmaterials legt allerdings einen anderen Schluss nahe. Wie euch allen sicherlich bekannt sein dürfte, beruhen unsere Modelle zur Lage auf der Erde – auch über die Höhe der zwischenzeitlich vorherrschenden Strahlenbelastung – auf Schätzungen. Neben den Veränderungen der