Die Vergütung von Betriebsräten. Martina Schlamp
an ein Betriebsratsmitglied, die gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern deutlich höher ausfällt: Die Zahlung verstoße zunächst nicht gegen den § 37 Abs. 4 BetrVG, weil dieser nach dem Wortlaut nur eine Unter- und keine Obergrenze für das Arbeitsentgelt enthält, wohl aber gegen das Begünstigungsverbot nach § 78 S. 2 BetrVG.347
Nimmt man an, dass die allgemeinen Verbote von § 37 BetrVG verdrängt werden, würden sie in dem genannten Fall nicht greifen. Dennoch ist dieses Ergebnis sachgerecht, weil § 37 BetrVG hinsichtlich der Vergütung – zumindest in den Absätzen 1 bis 4 – abschließend348 ist. Die Vergütungsvorschriften dürfen mit einer gleichzeitigen Anwendung weiterer Vorschriften nicht ohne weiteres ausgedehnt und das System der gesetzlichen Regelungen in Frage gestellt werden. Diese müssen vielmehr einen abgeschlossenen Regelungskomplex für Vergütungsfragen bilden, anderenfalls wäre es nicht möglich, dass die speziellen Normen eine klare Rechtslage herbeiführen.349 Der Wortlaut des § 37 Abs. 4 BetrVG ist eindeutig gefasst, die Heranziehung zusätzlicher Normen ist deshalb nicht notwendig. Darüber hinaus zeigt sich in Spezialnormen der Wille des Gesetzgebers besonders deutlich. Dieser hätte hier ohne weiteres die Regelung anders formulieren und eine Obergrenze mit aufnehmen können, hat sich aber offensichtlich dagegen entschieden. Außerdem besteht über Absatz 1 bereits eine ausreichende Grenze mit dem Entgeltverbot. Würde einem Mandatsträger also ein über die vergleichbaren Arbeitnehmer nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG hinausgehendes Entgelt gezahlt werden und verstößt diese Zahlung nicht gegen den Unentgeltlichkeitsgrundsatz oder sonstige Entgeltvorschriften, ist sie zulässig. Ansonsten würden die spezielleren Vorschriften obsolet. Das Argument ließe sich zwar ebenso gut in sein Gegenteil verkehren, nämlich dass der Anwendungsbereich der allgemeinen Norm damit zu stark verkleinert oder sogar aufgehoben werden könnte. Dieser Ansicht, dass eine Generalklausel nicht grundsätzlich verdrängt werden darf,350 kann aber entgegnet werden, dass die Gefahr nicht besteht, weil § 78 S. 2 BetrVG auch außerhalb von Vergütungsfällen noch ausreichend Anwendung findet. Daher führt die Nichtanwendung neben § 37 BetrVG auch nicht zu einer Benachteiligung, wie es eine Auffassung vertritt; sie stützt sich auf ein Urteil des BAG, in dem die Zahlung hypothetischer Trinkgelder einem Betriebsratsmitglied versagt wurden.351 Doch gerade dieser Fall bestätigt das hier gefundene Ergebnis der Verdrängung der allgemeinen Norm: Da Trinkgelder grundsätzlich keinen Entgeltbestandteil darstellen, wären die speziellen Vergütungsvorschriften für die Frage deren Weitergewährung ohnehin nicht anzuwenden. Die Konstellation ist auch nach hier befürworteter Auffassung nach dem Verbot des § 78 S. 2 BetrVG zu beurteilen.
c) Parallel laufender Sinn und Zweck der Vorschriften
Der Annahme eines Spezialitätsverhältnisses steht auch nicht entgegen, dass Sinn und Zweck der Vorschriften des § 37 BetrVG und § 78 S. 2 BetrVG parallel laufen,352 sondern bekräftigt sie. Als speziellere Vorschrift kann und muss die Norm auch ein gleichgerichtetes Ziel haben, allerdings nicht für einen so weit gefassten Anwendungsbereich wie die allgemeinere Regelung, sondern eben nur begrenzt, wie hier für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern. Dem Argument, dass ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm deshalb geboten sei, um mit ihr wegen der zu erfüllenden Schutzfunktion Korrekturmaßnahmen vornehmen zu können,353 ist ebenfalls nicht überzeugend. Mit Anwendung allein des § 37 BetrVG auf Vergütungsfragen wird für diesen abschließend geregelten Bereich der vom Gesetzgeber beabsichtigte Zweck mehr als ausreichend erfüllt. Dass eine verdrängende Eigenschaft des § 37 BetrVG für die Lösung der Gesetzeskonkurrenz „kontraproduktiv“ sei,354 dem kann nicht gefolgt werden. Es handelt sich um einen grundlegenden juristischen Rechtssatz, der in einem Verhältnis der Spezialität stets Anwendung finden muss. Dadurch entstehen weder Wertungswidersprüche noch Gesetzeslücken.355 Es ist vielmehr nicht nachvollziehbar, dass in Rechtsprechung und Literatur häufig ebenfalls ein Verhältnis der Spezialität der beiden Rechtssätze angenommen, es dann aber nicht konsequent umgesetzt wird.
d) Gefahr von Schutzlücken in besonderen Einzelfällen
In der Literatur werden teilweise besondere Fälle aufgezeigt, die gegen eine verdrängende Eigenschaft des § 37 BetrVG sprechen sollen, weil ansonsten Schutzlücken entstehen würden. Das treffe beispielsweise auf die Situation zu, wenn ein einzelnes Betriebsratsmitglied eine besondere und einmalige, über die Vergleichsarbeitnehmer hinausgehende persönliche Entwicklung genommen hat. Weil diese spezielle Konstellation nach einer Auffassung nicht ausreichend mit den Regelungen des § 37 BetrVG berücksichtigt werden könnte, sei sie mit dem Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG aufzufangen; das mache eine gleichzeitige Anwendung beider Normen erforderlich.356 Richtig ist, dass in einem solchen Fall ein Mandatsträger zwar grundsätzlich nur das Entgelt entsprechend der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung der vergleichbaren Arbeitnehmer erhalten darf, die darüber hinausgehende Entwicklung dürfte nach derzeitiger Gesetzeslage nicht berücksichtigt werden. Nach der genannten Ansicht wäre dieses Ergebnis aber wegen einer Benachteiligung und damit eines Verstoßes gegen § 78 S. 2 BetrVG nicht zulässig und könnte so zugunsten des Betriebsratsmitgliedes korrigiert werden.357
In Bezug auf die Bemessung des Arbeitsentgeltes, insbesondere auf § 37 Abs. 4 BetrVG, wäre eine solche Beurteilung mit der zusätzlichen Heranziehung des § 78 S. 2 BetrVG in der Praxis jedoch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Schließlich könnte die Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Werdegangs eines Mandatsträgers ebenso gut eine Begünstigung darstellen. Der Arbeitgeber würde sich hinsichtlich der Zulässigkeit des daraus resultierenden Entgeltes in einer Grauzone befinden und sich erheblichen Risiken aussetzen. Schon deshalb ist ein derartiger Sachverhalt allein an § 37 Abs. 4 BetrVG zu messen. Liegen die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vor, ist eine entsprechende Entgelterhöhung in Konsequenz eben nicht zulässig. Auch deshalb ist der Auffassung nicht zu folgen, die § 37 Abs. 4 BetrVG zur Bemessung des Arbeitsentgeltes von Betriebsratsmitgliedern als nicht abschließend358 erachtet. Es ist zwar zutreffend, dass sich die Bestimmung der Vergütung für Betriebsratsmitglieder aus einem Zusammenspiel mehrerer Vorschriften ergibt, § 78 S. 2 BetrVG gehört aber nicht dazu.359 Erst recht kann sich daraus kein „unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitgliedes auf eine bestimmte Vergütung ergeben“360. Das folgt nicht nur schon aus den soeben genannten Gründen, sondern bereits die Ausgestaltung als Verbotsnorm lässt keinen Schluss auf einen Anspruch auf Erfüllung zu.361 Die Verbote in § 78 S. 2 BetrVG können nicht zur Umgehung der abschließenden Regelungen und damit zur Begründung eines höheren Entgeltes herangezogen werden, sondern allenfalls im Rahmen einer Auslegung Berücksichtigung finden.
Nach hier vertretener Auffassung gibt es auch durchaus andere Möglichkeiten, solche Fälle im Rahmen des § 37 Abs. 4 BetrVG selbst zu berücksichtigen.362 Darauf basierende Zahlungen sind dann ausschließlich an dem Unentgeltlichkeitsgrundsatz zu messen, so dass bereits durch die speziellen Vergütungsvorschriften eine Benachteiligung und Begünstigung verhindert werden können.
2. Zusammenfassende Stellungnahme und Fazit
Die Annahme eines Verhältnisses der Spezialität zwischen den Vorschriften des § 37 BetrVG und des § 78 S. 2 BetrVG mit der Folge „lex specialis derogat legi generali“ ist richtig. Anderenfalls bestünde das Risiko, dass § 37 BetrVG nicht ausreichend zur Anwendung kommt und die Regelung damit überflüssig würde. Die Annahme eines verdrängenden Verhältnisses ist nicht nur für eine klare Rechtslage erforderlich, sondern darüber hinaus in diesem Zusammenhang nicht unüblich. Es wird durchaus auch in anderen Fällen, zum Beispiel bei der gegenüber § 78 S. 2 BetrVG spezielleren Kündigungsschutzvorschrift des § 15 KSchG, gleichermaßen angenommen.363 Weshalb für die Vergütung etwas anderes gelten soll, ist nicht nachvollziehbar. Daran ändert die dargestellte, in dem Zusammenhang teilweise geäußerte Kritik nichts.
Die verdrängende Eigenschaft eines Spezialitätsverhältnisses zweier Vorschriften ist daher konsequent umzusetzen. Das bedeutet, dass eine Benachteiligung nicht nach § 78 S. 2 BetrVG angenommen werden kann, wenn die speziellen Vergütungsvorschriften nicht beachtet werden, insbesondere wenn das Entgeltausfallprinzip des § 37 Abs. 2 BetrVG nicht eingehalten wird.364 Diese Ansicht führt auch nicht zu Schwierigkeiten bei Konstellationen, welche die lex specialis möglicherweise nicht mit abdeckt. Handelt