Schlüssel der Zeit - Band 4: Der Fuchs und der Räuber. Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit - Band 4: Der Fuchs und der Räuber - Tanja Bruske


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an. Da bietet sich DIE Gelegenheit, mit Ben ins Gespräch zu kommen, und ich versaue es. Ich muss das Gespräch am Laufen halten.

      „Hast du diese Quest mit der Drachenhöhle schon gelöst?“, fragte sie, um beim Thema World of Dungeon Lords zu bleiben.

      „Du meinst das mit dem Schmied und dem Zauberring? Nee, ich scheitere immer an diesem seltsamen Rätsel, das der Gnom stellt …“

      Sie redeten die ganze Fahrt bis nach Bad Orb, zunächst über das Spiel, dann über den Kinofilm, den beide vor Kurzem gesehen hatten. Auch, als sie aus dem Bus ausstiegen, waren Keyra und Ben noch ins Gespräch vertieft.

      „He, ihr Zocker – ich weiß nicht, ob ihr es mitbekommen habt, aber der Sozen-Seppl sagt, wir müssen jetzt alle den Berg dort hochtraben, da steht der komische Turm und unsere Führung beginnt“, unterbrach Lou ihre Unterhaltung. Sie zwinkerte Keyra zu. „Danach müssen wir runter in die Stadt laufen, wo wir von einem Spessarträuber persönlich durch Bad Orb geführt werden. Aber vorher haben wir freundlicherweise eine Stunde Freizeit.“

      „Juhu.“ Ben verdrehte die Augen. „Naja, vielleicht wird es ganz interessant mit dem Räuber. Wollen wir nachher ein Eis essen gehen, ehe wir mit Geschichte zugeballert werden?“

      Keyra konnte ihr Glück kaum fassen. Ben Hartmann, der beliebteste Junge des Jahrgangs, in den sie seit Jahren heimlich und unheimlich verschossen war, wollte tatsächlich mit ihr Eis essen gehen. Vielleicht liege ich noch im Bett und träume.

      Vor lauter Aufregung vergaß Keyra zu antworten. Erst, als Ben sie fragend ansah und Lou sich vernehmlich räusperte, fiel ihr das auf.

      „Oh, klar, gerne. Ich liebe … Eis.“

      Der Bus hatte sie bereits den Großteil des Hügels hinaufgefahren, der sich etwas großspurig „Molkeberg“ nannte. Während sie die restliche Distanz bis zu einem kleinen gelben Turm überwanden, erzählte Geiger, was es mit dem Turm auf sich hatte. In diesem Gemäuer war der Legende zufolge einst ein Räuber namens Peter von Orb eingemauert worden. Er war aber entkommen, was irgendwie mit einem Fuchs zusammenhing – Keyra bekam nicht alles mit, weil sie mit ihren Gedanken immer wieder abschweifte und noch immer nicht glauben konnte, dass Ben Hartmann wie selbstverständlich neben ihr lief.

      „Das ist zwar nur eine Sage, aber es stecken viele Wahrheiten in den Geschichten“, sagte Geiger, während sich die Schüler am Fuße des Molketurms versammelten, der kaum so hoch wie ein Einfamilienhaus war. „Bei unserer Führung werdet ihr später mehr über die Spessarträuber erfahren und natürlich über die Geschichte der Salzsieder in der Stadt. Jetzt habt ihr eine Viertelstunde Zeit, um auf den Turm zu steigen und euch umzusehen.“

      Keyra musterte die Metalltreppe kritisch, die zur Plattform des Turmes hinaufführte. Ihr Vater wäre beim Anblick der Konstruktion sicher in Tränen ausgebrochen, so sehr beleidigte der Anblick das Herz eines Restaurators. Ob stilecht oder nicht: Die Treppe wurde rege genutzt, sodass Keyra, Ben und Lou einen Augenblick warten mussten. Sie studierten derweil die Infotafel am Fuß der Treppe.

      „Dieser Peter von Orb war also so etwas wie Robin Hood“, sagte Ben und wies auf die entsprechende Textstelle. „Er hat von den Reichen genommen und es den Armen gegeben.“

      „Schöne Vorstellung – aber sicher nur ein Märchen“, meinte Lou trocken.

      Keyra nickte. „Hast du das Arbeitsblatt über das Räuberwesen gelesen? Ich glaube nicht, dass sich die Leute damals so etwas wie Großzügigkeit leisten konnten. Das waren doch alles arme Schlucker.“

      „Girls, ihr seid ganz schön unromantisch.“ Ben rollte mit den Augen. „Han Solo hatte auch Schulden und hat trotzdem alles für Prinzessin Leia riskiert.“

      „Jetzt komm mir nicht mit Star Wars.“ Keyra musste lachen. Die Weltraumsaga schien für die Jungs ihres Jahrgangs stets die Antwort auf alle Fragen der Welt zu enthalten.

      „Diese alten Schinken“, spottete Lou. „Wer glotzt so was überhaupt noch?“

      Ben fasste sich scheinbar getroffen an die Brust. „Alte Schinken“, ächzte er. „Das sind Klassiker.“

      „Harrison Ford ist leider mittlerweile auch ein Klassiker.“ Keyra winkte ab. „Wenn du mir allerdings mit einem schönen Schurken wie Kylo Ren kommst, könntest du mich vielleicht vom edlen Bösewicht überzeugen …“

      „Also bitte! Die schlimmste Fehlbesetzung der Galaxis!“

      Während sie so frotzelten, nahm der Ansturm auf den Turm ab, und auch Keyra, Lou und Ben stiegen schließlich die Metallstufen hinauf; allerdings erst, als die meisten schon wieder herunterkamen und sich auf den Bänken des Aussichtsplatzes verteilten.

      „Seht mal!“ Ben wies auf zahlreiche Schlösser, die an die Metallstreben angebracht waren. „Liebesschlösser.“

      Keyra hatte diesen Trend immer für ziemlich kitschig gehalten: Ein Schloss mit dem eigenen Namen und dem des Liebsten an einer Brücke oder Ähnlichem anzubringen und den Schlüssel in der Nähe wegzuwerfen, kam ihr ziemlich albern vor. Aber jetzt, mit Ben an ihrer Seite …

      Sie betrachtete die verschiedenen, bunten Schlösser, meist aus Metall und mit verschnörkelten Namen und Daten darauf. Besonders ein rotes, herzförmiges Schloss fiel ihr auf. V.&P. 1.6.+3.4., war darauf eingraviert. Ob das ihre Geburtstage sind?, fragte sich Keyra.

      „Na, ob du und Ben hier auch bald ein Schloss anbringt?“, flüsterte Lou ihr eine andere Frage zu. Keyra sah sich erschrocken um, doch Ben war bereits oben auf der Plattform angelangt.

      „Bestimmt nicht, wenn ich weiter nur über Computerspiele und Filme rede“, gab Keyra leise zurück.

      „Warum? Ist doch ganz geschickt, ihn bei etwas zu packen, das er mag – Männer denken nicht sonderlich kompliziert.“ Lou blinzelte ihr zu.

      „Kommt hoch, der Ausblick ist nicht schlecht“, rief Ben. Die beiden Mädchen folgten seiner Aufforderung, und tatsächlich war der Ausblick über Bad Orb ziemlich beeindruckend. Die Stadt war ganz schön groß; die Häuser füllten das komplette Tal vor ihnen aus und verteilten sich auch über den gegenüberliegenden Hang.

      „Das sieht ziemlich weit aus – wie lange wir wohl brauchen werden, um dort hinunter zu laufen?“ Keyra neigte zweifelnd den Kopf.

      „Ist doch egal – ihr beide findet auf dem Weg sicher ein Gesprächsthema.“ Lachend lief Lou die Treppe hinunter und folgte den Schülern, die sich bereits auf den Weg zur Stadt gemacht hatten. Keyra war mit Ben auf dem Turm allein.

      „Ähm“, sagte sie und fühlte, wie ihr die Befangenheit unter die Haut kroch.

      Ben schien es nicht zu bemerken. „Oha, die vergessen uns glatt“, sagte er und wies auf die davon trottenden Schüler. „Komm, schnell, ehe alle guten Plätze im Eiscafé besetzt sind.“ Während Keyra noch nickte, nahm Ben ihre Hand und zog sie hinter sich her, die Stufen hinunter. Er ließ ihre Hand auch nicht los, als er den anderen nacheilte. Keyras Haut prickelte da, wo er sie berührte.

      Mit einem Mal, sie hatten den Weg Richtung Stadt fast erreicht, blieb sie wie angewurzelt stehen. Auch Ben hielt inne. „Was ist denn?“

      Nein! Bitte nicht jetzt! Doch es ließ sich nicht leugnen: Hinter Keyra sang ein Schloss.

      Sie biss sich auf die Lippen. Der fragende Ausdruck in Bens Augen hätte sie beinahe dazu gebracht, mit den Schultern zu zucken, und weiter mit ihm zu gehen. Doch sie wusste nur zu gut, was dann passieren konnte. Wenn ich dem Ruf nicht folge, wird mich das Schloss auf anderem Weg holen.

      „Ich … ich muss nochmal zurück.“ Keyra entzog ihre Hand sanft Bens Fingern.

      Eine Mischung aus Verwunderung und Unglauben trat auf Bens Gesicht. „Warum denn?“

      „Ich habe etwas verloren … auf dem Turm, glaube ich.“ Sie machte einen Schritt rückwärts.

      „Was denn? Soll ich dir suchen helfen?“ Ben folgte ihr.

      „Nein!!!“


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