Schlüssel der Zeit - Band 4: Der Fuchs und der Räuber. Tanja Bruske

Schlüssel der Zeit - Band 4: Der Fuchs und der Räuber - Tanja Bruske


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fuhr ihre Hand an die Ledertasche, in der sie das vertraute Gewicht des Buches fühlte. Sie war mehr als neugierig, einen Blick hinein zu werfen. Vorerst jedoch hatte sie keine Gelegenheit dazu.

      Neben Keyra erklang ein schriller Pfiff, der sie erschrocken zusammenfahren ließ. Peter grinste und ließ eine kleine Holzpfeife in seine Westentasche gleiten. Auf der anderen Seite des Hauses brach Tumult aus. Mehrere heftige Schläge ließen das Gemäuer erbeben. Laute, drohende Schreie der Räuber erklangen und ließen Keyra die Haare im Nacken zu Berge stehen. Dann krachte und barst Holz, der Tumult verlegte sich ins Innere.

      Peter stieß Keyra an. „Jetzt!“ Hastig steckte sie einen Schlüssel ins Schloss. Er ließ sich jedoch nicht drehen. Sie zog ihn wieder hinaus und probierte den nächsten. Dasselbe Ergebnis. Die Dinger sehen alle gleich aus, dachte sie verzweifelt. Der dritte Schlüssel passte, und Keyra konnte die Tür aufschieben. Peter drängte sich an ihr vorbei. „Schnell jetzt, hilf mir die Geldkatze zu suchen.“

      Sie befanden sich in einem Raum, den Keyras Oma sicher als „die gut Stubb“ bezeichnet hätte. Hier schlief niemand, es war ein eher offizieller Raum mit wuchtigen Eichenmöbeln. Peter riss Schränke und Türen auf, durchwühlte eine alte Truhe.

      Keyra beteiligte sich nur zögerlich – sie hatte keine Ahnung, nach was sie eigentlich suchen sollte. Währenddessen nahm der Lärm aus dem vorderen Bereich zu. Schrille Frauenschreie mischten sich mit dem wütenden Zetern eines Mannes, dazu krachte und schepperte es, als würden die Räuber das Haus abreißen und nicht ausrauben.

      Mehr durch Zufall stieß Keyra gegen einen Zinntopf, den Peter aus einer Truhe gerissen und achtlos zur Seite geworfen hatte. Es klang irgendwie seltsam – nicht hohl. Sie langte hinein und beförderte eine große Lederbörse zum Vorschein.

      „Peter!“, rief sie leise.

      Der Kopf des Räubers ruckte herum. Er trat zu ihr, nahm ihr die Börse ab und warf einen Blick hinein.

      Keyra erhaschte einen Blick auf zahllose Münzen.

      Der Schwarze Peter lachte. „Sehr gut gemacht. Das sind mindestens 1000 Gulden. Fette Beute!“

      Er schloss die Lederbörse und winkte Keyra, ihm zu folgen. Anstatt hinauszugehen, öffnete er die Tür zum vorderen Teil des Hauses.

      Es mochte der Schankraum gewesen sein, bevor die Räuber hier gewütet hatten. Kein Möbel war mehr heil, alles lag wild herum. Inmitten des Chaos knieten drei weinende Frauen, zwei zitternde Männer und ein dicker Mann, dessen Gesicht besorgniserregend angelaufen war. Allen hatten die Räuber die Hände auf den Rücken gefesselt.

      „Ich sage euch nochmal, wir haben nichts“, schrie der Mann in einer Mischung aus Angst und Zorn. „Ihr elendes Dreckspack, die Hunde sollen euch zerreißen.“

      „Halts Maul!“, rief Basti und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht. „Sonst setzt es auch Prügel für dein hübsches Weib!“

      Eine Frau, ganz offensichtlich hochschwanger, heulte auf, als Basti in ihre Richtung ausholte.

      „Lass gut sein, Bruder!“ Peter trat dazwischen. „Die Frau ist guter Hoffnung, wir werden sie bestimmt nicht quälen.“

      Der rotgesichtige Wirt schien perplex, angesichts des neu aufgetauchten Räubers. Als er gewahr wurde, wo Peter und Keyra herkamen, schwand die Wut aus seinem Gesicht und ließ nur Angst zurück. Als Peter nun triumphierend die Geldkatze in die Höhe reckte, wurde sein roter Kopf totenbleich.

      „Wir haben unsere Beute, Jungens“, rief Peter. „Der Jud aus Gelnhausen hat nicht gelogen – schön versteckt im Hinterzimmer hat der Herr Wirt den Profit, den er aus seinen Gästen presst.“ Die Räuberbande jubelte. „Packt alles Wertvolle zusammen – wir verschwinden!“

      Nun ging alles furchtbar schnell. Hennes warf ein Leinentischtuch auf den Boden, in das seine Kumpane Zinngeschirr und Kleidungsstücke warfen und es dann zusammenschnürten. Lippes lud sich einen Ballen Leinenstoff auf die Schultern, Fritz raffte alles Essbare in einen Sack zusammen, das er finden konnte. Dann verließ die Bande das Haus – nicht ohne dass Peter dem jetzt ziemlich stummen Wirt einen Schlag mit der Pistole verpasste. Wirklich, ein Schießprügel, dachte Keyra fast hysterisch.

      Dann war der Überfall vorbei. Er hatte nicht einmal eine halbe Stunde gedauert. Die Bande ließ die gefesselten Wirtsleute und ihre Gäste zurück und verzog sich wieder in den Wald.

      Keyra hatte erwartet, dass sie zurück zu der Hütte gehen würden, doch sie hielten schon in einiger Entfernung auf einer Lichtung. Im Schein der Wachslichter verteilte Peter die Beute – wobei Keyra nicht entging, dass er als Anführer einen Großteil behielt. Auch sie bekam einen Anteil Münzen.

      „Gute Chassne!“ Peter riss sich das Tuch vom Gesicht und klopfte Fritz auf die Schulter. „Nun macht, dass ihr verschwindet, Jungs. Ihr hört von mir, wenn ich wieder etwas plane. Gajo Ratt!“

      Nach und nach erlosch jedes der Wachslichter, und die Räuber verschwanden wie Geister in der Nacht. Zurück blieb Keyra mit dem Schwarzen Peter. Der baute sich breitbeinig und grinsend vor ihr auf: „So, Clara – und was machen wir jetzt mit dir?“

      4. Der Weg zum Bayes

      Keyras Mund wurde so trocken wie Löschpapier. Der wird mich doch jetzt nicht etwa umbringen? Eben hat er mir noch meinen Anteil ausgezahlt …

      „Tja … wohin sind denn die anderen verschwunden?“, fragte sie befangen.

      „Nach so einem Überfall verteilen wir uns erst einmal – es sind auch nicht alle aus meinem Bayes. Du warst noch nicht bei vielen Überfällen dabei, oder?“

      Keyra hatte keine Ahnung, wie sie auf diese Frage reagieren sollte. „Nun … mein Vater hat mir natürlich einiges beigebracht …“

      Peter winkte ab. „Wie ich den Roten Sepp kannte, hat er dich vor allem in der Stadt antreten lassen, was? Er selbst ist ja gerne aufs Land, wenn er gesucht wurde, aber er war eben doch eher der Stadtkerl. Und von seinen Kodern hatte er nie welche dabei.“

      „Ja, eben.“ Dankbar griff Keyra den Faden auf. „Aber jetzt musste ich auch aus der Stadt verschwinden.“ Welche Stadt auch immer das war.

      „Da kam meine Nachricht wohl gerade recht?“

      „Ja, schon. Allerdings …“

      „Du weißt wohl nicht recht, wohin du dich jetzt wenden sollst?“

      „Genau.“

      „Du kannst erst einmal mit in meinen Kochemer-Bayes kommen. Es gibt genug Räubernester hier in der Gegend, wo du unterkommen kannst, wenn dir das Köhlerdorf nicht gefällt.“

      Er will mich nicht umbringen, zum Glück. Keyra verbarg ihre Erleichterung nicht – schließlich ging Peter davon aus, dass sie eine Unterkunft suchte, da war ein Aufatmen wohl angebracht. „Danke. Was ist ein Bayes?“

      Peter, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte, wandte sich erstaunt um. „Hat dir dein Vater kein Rotwelsch beigebracht?“

      „Doch.“ Was zum Geier ist Rotwelsch? Ist das diese Gaunersprache, von der auf den Arbeitsblättern die Rede war? Hätte ich mir vielleicht mal besser durchlesen müssen … „Aber dieses Wort kenne ich nicht.“

      „Ein Bayes ist ein sicherer Ort, wohin wir uns zurückziehen können.“ Falls Keyras Unwissen das Misstrauen des Schwarzen Peters erregte, zeigte er es nicht. „Komm, es ist ein Stück weiter als die Hütte, in der wir uns getroffen haben.“

      Sie gingen weiter durch den Wald. Keyra erkannte, dass ihr vorheriger Eindruck, es würde bald dämmern, sie getäuscht haben musste, denn die Nacht wollte noch nicht weichen. Ein paar Mal setzte sie an, Fragen zu stellen. Doch der Räuber würgte jede Unterhaltung ab: „Spar dir deinen Atem für den Marsch. Wir können später reden.“

      Schließlich graute der Morgen doch noch, und fahles Morgenlicht sickerte durch das Blätterdach in den Wald.


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