Die Pilates Elements Methode. Andrea Frey
Rollen mit eingebauten Vibrationsmotoren, die beim Fascial Release die Pacini-Rezeptoren stimulieren.
1.6.3Ruffini-Rezeptoren
Auch die Ruffini-Körperchen haben eine geringe Reizschwelle, doch mögen sie lieber ruhige und beständige Reize. Sie sind besonders empfänglich für großflächige Dehnungen über lange myofasziale Ketten mit diagonalen Scherkräften. Sie inhibieren die sympathikotone Aktivität des vegetativen Nervensystems. Damit die tonussenkende Wirkung einsetzen kann, ist es wichtig, langsamen Druck und Zug auszuüben. Sonst kann es passieren, dass der Muskelspindelreflex ausgelöst wird, welcher die Rufini-Wirkung außer Kraft setzt.
In der Praxis aktivieren wir sie über manuelle Techniken und langsam schmelzende, lang haltende Dehnungen, bei denen wir verschiedene Winkelpositionen aufsuchen.
Ruffini-Rezeptoren befinden sich vor allem in der harten Hirnhaut (in der Dura mater), in den thorakolumbalen Übergängen von Brust- und Lendenwirbelsäule, in den äußeren Schichten der Gelenkkapseln, in der tiefen Dorsalfaszie der Hand sowie in den Bändern der körperfernen Gelenke, wie z. B. im Kniegelenk.
1.6.4Freie Nervenendungen, die interstitiellen Rezeptoren
Die vermutlich am meisten unterschätzten und am häufigsten vorkommenden Rezeptoren in unserem Körper sind die freien Nervenendungen. Dieses Netzwerk winzigster Rezeptoren findet sich in fast allen Körpergeweben, besonders zahlreich im Knochenhautgewebe (Periosteum). Ca. 20 % der oben genannten sensorischen Rezeptoren, einschließlich der Muskelspindeln, senden ihre Impulse an unser Zentralnervensystem, die restlichen 80 % werden von den freien Nervenendungen gesendet. Hier wird die Thematik unseres sechsten Sinns wieder deutlich.
Früher wurden die freien oder interstitiellen Nervenendungen den Schmerzrezeptoren zugeordnet. Heute weiß man, dass einige von ihnen auch Chemo- und Thermorezeptoren sind. Weitere Studien haben unter anderem ergeben, dass die freien Nervenendungen ganz oder teilweise als Mechanorezeptoren funktionieren, das heißt, sie reagieren auf Druck. Ca. 50 % der Rezeptoren reagieren auf stärkeren Druck, haben also eine hohe Reizschwelle, die restlichen Rezeptoren reagieren auf sehr geringen Druck, sprich, auf eine niedrige Reizschwelle. Sie sind eng mit unserem vegetativen Nervensystem verknüpft und beeinflussen darüber Atmung, Blutdruck, Stoffwechsel- und Verdauungsprozesse sowie die Regulation unseres Kreislaufs.
Des Weiteren wird ihre Funktion und Reizschwelle durch Botenstoffe unseres Gehirns, die Neurotransmitter, beeinflusst, sodass aus propriozeptiv reagierenden Mechanorezeptoren hochempfindliche Schmerzrezeptoren werden können.
Aus der Praxis
Bei Gewebeuntersuchungen von Fibromyalgiepatienten wurde in der Fascia superficialis eine geringere Anzahl von freien Nervenendungen festgestellt. Auch die Zusammensetzung der sensorischen Nervenendungen wies Unterschiede zum normalen Patienten auf. Diese Erkenntnis gibt neue Denkansätze bezüglich des körperlichen Trainings und manueller Therapien mit Schmerzpatienten.
In der Körperarbeit können wir diese Rezeptoren über kleine, aufmerksame Mikrobewegungen aktivieren.
1.6.5Die Muskelspindeln
Die Muskelspindeln sind erst seit Kurzem mit aufgenommen worden. Doch da auch sie zu den Propriozeptoren gehören, sollte auch ihnen die nötige Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Muskelspindeln befinden sich innerhalb der Skelettmuskulatur und erfassen Länge und Dehnung der Muskulatur. Sie sind außerdem für den oben genannten Muskelspindelreflex, der z. B. beim Schlag auf die Patellasehne zur Reflexprüfung ausgeführt wird, verantwortlich.
Beim Training liegt der Fokus hier auf dem „Fine-Tuning“, also auf der präzisen Koordination.
Propriozeption versus Interozeption
Die Interozeption ist verantwortlich für die viszerale Antwort unseres Körpers. Einige von uns haben sicherlich schon mal was vom sogenannten Bauchhirn gehört – einer neuronalen Verschaltung der inneren Organe zu unserer Schaltzentrale, dem Gehirn (Insula). Hier gibt der Körper Rückmeldung über unsere Emotionen: „Wie fühlt es sich an?“, „Was bewirkt es in meinem Körper/Geist?“ und: „Wie geht es mir dabei?“
Viele psychosomatische Erkrankungen werden der Interozeption zugeordnet, wie z. B.
•Reizdarm,
•Anorexie/Bulimie,
•Depressionen,
•PTBS (= posttraumatische Belastungsstörung),
•auch das Krankheitsbild der Fibromyalgie wird hier diskutiert.
Auch verschiedene Körperarbeiten und Entspannungsverfahren, wie z. B.
•BMC (= Body Mind Centering),
•Somatic Experiencing,
•Continuum Movement,
•viszerale Osteopathie,
•einige Yogaformen,
•Meditation, Energiearbeit,
•autogenes Training,
werden der Interozeption zugeordnet.
Die Propriozeption beschäftigt sich dagegen mit den Fragen: „Wo befinde ich mich im Raum?“, „Wo befindet sich mein Arm/Bein im Raum?“, „Wer oder was berührt mich und wo (Körperstelle)?“. Die propriozeptiven Empfindungen werden im Motorkortex des Gehirns gespeichert. Auch hier lassen sich Krankheitsbilder zuordnen, wie:
•Epilepsie,
•Rückenschmerzen,
•AML (amoytrophe Lateralsklerose) sowie
•ADHS.
Auch verschiedene Körperarbeiten, wie z. B.
•Pilates,
•Alexander-Technik
•Feldenkrais,
•Hatha-Yoga,
•klassisches Ballett/Tanztraining,
•Spiraldynamik,
•Funktionsgymnastik,
gehören zur Propriozeption.
Was passiert nun, wenn dieses hochsensible sensorische Kommunikations- und Netzwerk einmal ausfällt?
Im Jahr 1998 erkrankte Ian Waterman an einer seltenen Viruserkrankung, welche die sensorischen Nervenendungen zerstörte. Nun kann man sagen: „Alles halb so schlimm, die motorischen Endungen, die für unsere Muskelaktivität verantwortlich sind, funktionieren ja noch.“ Doch falsch gedacht.
Ian Waterman war bewegungsunfähig, nur weil er seine Bewegung nicht mehr spüren konnte. Mit eisernem Willen und der Erinnerung daran, wie sich Bewegungen anfühlen, gelang es ihm schließlich, sich unter Einfluss des visuellen