Dein Licht, das mich umfängt. Avon Gale
auch diesmal nicht. Avery schafft es nach Hause und kann sich kaum an den Fußmarsch dorthin erinnern, die Eindrücke und Geräusche, die ihn auf dem Rückweg zu seiner Wohnung umgeben haben. Irgendwie bekommt er es fertig, Harlan eine Nachricht zu schicken, die Nein lautet und sich wie eine Lüge anfühlt. Das bringt ihn dazu, sein Handy mit solcher Wucht durchs Zimmer zu werfen, dass es die Wand trifft.
Er geht in sein Schlafzimmer, legt sich im Dunkeln aufs Bett – er muss seine Schmach nicht ins Scheinwerferlicht stellen, vielen Dank auch – und knöpft sich die Hose auf. Mit beinahe grimmiger Entschlossenheit lässt er seine Hand hineingleiten und beginnt, sich selbst zu reiben. Er ist hart. Natürlich ist er das. Aber er befindet sich bereits seit letzter Woche in einem Zustand unterschwelliger sexueller Frustration. Und nicht, weil Harlan sich ihm ständig verweigert hat, auch wenn das sicher nicht hilfreich gewesen ist.
Es liegt an Lacroix.
Avery wirft einen Arm nach oben und legt ihn sich über die Augen. Seine Atemzüge sind langsam, er berührt sich mit lockerem Griff und versucht, an irgendetwas anderes zu denken, an irgendjemanden – sogar an Brandon Thomas, verdammt noch mal –, was ihn wütend machen sollte. Aber stattdessen denkt er an Blowjobs für fünfundzwanzig Dollar und den Mann an der Bar. Es vermischt sich alles miteinander, bis das Bild vor seinem geistigen Auge ihn selbst auf den Knien zeigt. Lacroix' Hand liegt schwer auf seiner Schulter, er starrt ihn mit eisigem Blick an und erklärt Avery, wie er seinen Namen auszusprechen hat. Und lässt ihn von Avery wiederholen, bis er es richtig macht.
Und verpasst ihm eine Ohrfeige, wenn er es falsch macht.
Avery stöhnt. Er bewegt seine Hand schneller und zwingt sich aufzuhören. Unkoordiniert streckt er eine Hand nach der Fernbedienung aus, sodass er den Fernseher anschalten und das hier mit dem Gedanken an etwas anderes tun kann, irgendetwas anderem. Was, ist ihm ziemlich egal. Es muss nur besser sein, als sich vorzustellen, seinem Chef einen zu blasen. Das Beste daran, bi zu sein, ist, dass man die doppelte Anzahl von heißen Menschen hat, auf die man sich einen runterholen kann.
Als er den Fernseher allerdings einschaltet, läuft eine Sendung über Messis. Das ist sogar ihm zu seltsam, also schaltet er ihn wieder aus und schließt schwer atmend die Augen. Er versucht, sich an das letzte Mal mit Harlan zu erinnern, oder an die heißen Mädels, mit denen er vor ein paar Wochen einen Wahnsinnsdreier hatte, oder sogar an den Profisportler, dem er mal in einer Bar am Flughafen begegnet ist und schnell einen runtergeholt hat.
Es hilft alles nichts. Jedes Mal, wenn er kurz davor ist, wird er unachtsam und die Person, an die er gerade denkt, verwandelt sich verdammt noch mal in Malin Lacroix. Avery versucht aufzuhören und es ist so frustrierend, dass er schließlich auf die Matratze einschlägt und sich selbst »Na schön, scheiß drauf« zumurmelt. Er ist halb davon überzeugt, dass er sich einfach verrückt macht und das hier nur einmal machen muss, damit alles wieder gut wird.
Ja. Er sollte der Versuchung einmal nachgeben, dann wäre sie verschwunden. Vielleicht vermischt er gerade nur die Arbeit mit allem anderen in seinem Leben. In letzter Zeit hat sie schließlich alles bestimmt. Mehr ist da wahrscheinlich gar nicht dran. Oder? Genau. Und hey, er hat es doch schließlich schon tausendmal gehört: Man soll sich wegen seiner Fantasien nicht schuldig fühlen. Es ist ja nicht so, als wolle man sie in die Tat umsetzen.
Also erlaubt er sich, daran zu denken – was passiert wäre, wenn das in der Bar wirklich Lacroix gewesen wäre. Er wäre vermutlich verärgert gewesen, weil Avery ihn gesehen hatte. Also wäre er aufgestanden und...
»Komm«, sagt Lacroix kurz angebunden, stürzt seinen Drink hinunter und stellt das Glas auf den Tisch. Er sieht sich nicht zu Avery um, aber das muss er auch nicht.
Avery folgt ihm weg von der Bar und in den hinteren Bereich. Dort befindet sich ein Flur, das weiß er, weil er bereits ein paarmal da war.
Dann drückt Lacroix ihn gegen die Wand, baut sich vor ihm auf und stützt seine Hände links und rechts neben seinem Kopf ab. »Du wirst niemandem erzählen, dass du mich hier gesehen hast, nicht wahr?«
Avery lehnt sich gegen die Wand zurück, übermütig wie üblich, und grinst ihn an. »Ich werd's allen sagen. Ich schreib's in den Newsletter der Abteilung. Vielleicht auch auf Facebook. Ich hab's. Ich tweete es. Ich wette, du weißt nicht einmal, was das heißt, oder? Du bist ein Twidiot. Ha.«
»Du hast ein flottes Mundwerk, Avery. Leider bist du sonst eher langsam.«
Avery ist sich ziemlich sicher, diesen Spruch in einem Film gehört oder irgendwo gelesen zu haben, aber er schreibt ja kein verdammtes Drehbuch. Er versucht, sich einen runterzuholen, und egal, ob er sich das ausgedacht oder irgendwo kopiert hat, verpasst Lacroix ihm als Nächstes eine Ohrfeige. Fuck. Warum kommt ihm das immer wieder in den Sinn?
»Sprich nicht, solange ich es dir nicht erlaube, Avery.« Lacroix‘ Blick ist eisig und brutal. Er packt Averys Schultern und drückt – fest –, sodass er ihn mitten im Flur auf die Knie zwingt. »Lass uns herausfinden, ob Thomas auch besser Schwänze lutscht als du.«
Moment, wo kommt das jetzt her? Unter keinen Umständen hat Lacroix etwas mit Brandon Thomas. Er hat das mit den Blowjobs nur gesagt, um ihn aufzustacheln. Es ist nicht echt oder so.
Aber was, wenn es das wäre?, flüstert eine Stimme in seinem Kopf, denn diese hat im Moment die Zügel in der Hand.
Avery neigt seinen Kopf nach oben – als Herausforderung und weil er etwas sagen möchte –, aber er bekommt nie die Gelegenheit dazu. Als er den Mund öffnet, schlägt Lacroix ihm hart ins Gesicht. Mit der anderen Hand widmet er sich seinem Gürtel. »Kein Wort, Avery.«
Avery lässt es über sich ergehen. Der Schlag hallt in seinem Kopf nach. Er verengt die Augen, beobachtet aber Lacroix‘ Finger, als er seinen Gürtel geöffnet hat und sich nach unten zum Knopf und Reißverschluss seiner Hose vorarbeitet.
»Passiert das, wenn ich mich nicht an die Regeln halte? Du scheuerst mir eine?«
»Nein.« Lacroix vergräbt seine Hand in Averys kurzem Haar und zieht seinen Kopf zurück. »Das passiert.« Mit diesen Worten schiebt Lacroix seinen Schwanz in Averys Mund. Zu tief, er muss sofort würgen. Er kann nicht atmen und Lacroix hört nicht auf. Er macht einfach weiter und fickt seinen Mund härter –
Avery kommt, bevor er die kleine Fantasie zu Ende spinnen kann. Als er schließlich wieder zu Atem kommt, kann er sich nicht entscheiden, ob er erleichtert oder enttäuscht sein soll, weil er nicht mehr herausfinden konnte, auf was er sonst noch gekommen wäre.
Kein Wortspiel beabsichtigt.
Er liegt lange so da, spürt, wie sich sein rasender Herzschlag beruhigt, und starrt an die dunkle Decke seines Schlafzimmers. Er sagt sich, dass viele Leute Fantasien von Menschen haben, mit denen sie niemals schlafen würden. Das passiert ständig. Und okay, vielleicht liegt das meistens daran, dass es sich um Promis oder so handelt. Aber hey, das hier muss doch auch dazu zählen, oder?
Eine Stimme versucht ihm einzureden, dass es das ganz und gar nicht tut. Aber Avery hat dieser Stimme lange genug Gehör geschenkt, denn sie hat ihn gerade dazu gebracht, zu kommen, während er sich vorgestellt hat, wie sein Chef ihn herumschubst und ihm seinen Schwanz in den Mund steckt.
»Halt die Klappe«, sagt Avery laut, als würde das etwas helfen. Er erhält keine weiteren hilfreichen Vorschläge seines Unterbewusstseins. Jedes Mal, wenn er daran denkt, wie Lacroix ihn auf die Knie drückt und ihm ins Gesicht schlägt, zwingt er sich, sich jemand – irgendjemand – anderen vorzustellen. Wenn er schon verdammt heißen Fantasiesex hat, dann wird er sich jemand viel besseren als Malin Lacroix aussuchen.
Wie Don Draper. Oder diese heiße Frau, die manchmal mit ihm im Aufzug steht – eine Rothaarige, die winzige Shorts trägt und ein liebenswertes Lächeln hat. Definitiv keinen humorlosen Franzosen mit kalten Augen und einer Stimme, die klingt, als hätte er sich gerade einen Eiswürfel hinten in sein Hemd gesteckt.
Definitiv... nicht.
Ich: hey everett wolltest du schon mal mit deinem chef schlafen?
Everett: was?
Ich: ja also