Silvia - Folge 1. Jürgen Bruno Greulich

Silvia - Folge 1 - Jürgen Bruno Greulich


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Korb, damit es morgen gewaschen werde, und nahmen eine Dusche. Die Kleidung der Nacht bestand aus einem schwarzen, taillenkurzen, durchsichtigen und spitzenbesetzten Nichts von Hemdchen, in dem sie ähnlich nackt waren wie mit gar nichts an.

      Und nun also wartete die Zelle! Silvia betrat sie wie eine unschuldig Verurteilte, aber sie war nicht unschuldig, denn sie hatte sich zum Aufenthalt in diesem anachronistischen Schloss überreden lassen und begehrte nicht auf, nichts, so musste sie sich eingestehen, geschah gegen ihren Willen. Es gab keine mildernden Umstände, schon gar keinen Freispruch, sie hatte ihn nicht verdient. Auch oben war der Käfig vergittert, als wolle man einen Ausbruchsversuch verhindern.

      Es war, als sei die Luft hier drinnen komprimiert, sie lastete schwer, wie lähmend, reglos blieb Silvia stehen, sanft wurde die Tür hinter ihr zugezogen, mit einem höhnischen Klirren drehte sich der Schlüssel im Schloss, für einen Moment befürchtete sie, dass es sich nie mehr öffnen werde. Sie legte sich auf die Pritsche, deren Matratze weicher war als gedacht, sah die kurzen Ketten, die an jeder Ecke des Rahmens angeschmiedet waren, zog die seidige Decke hoch bis zum Hals und versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht. Wie schön hätte sie sich jetzt zu Hause in ihr Bett legen können an Wolfgangs Seite, um unbelastet von allen Sorgen einem neuen Tag entgegenzuschlafen, der sich von den vielen vergangenen und (vermutlich) noch viel mehr kommenden Tagen nicht unterschieden hätte. Der Gedanke an zu Hause war kein Trost, am besten wäre, sie bräuchte keinen.

      „Gute Nacht. Träumt etwas Schönes“, sagte der Aufseher, als er alle Zellen verschlossen hatte. Das Licht verlosch bis auf eine schwache rötliche Notbeleuchtung, die Tür fiel hinter ihm zu, die Mädchen waren alleine.

      Nichts war zu hören außer dem leisen Summen der Lüftung, dazwischen ein erschöpftes Seufzen, ein murmelnder Laut, ein leises Klirren, als spiele irgendjemand mit einer Kette. Keine sprach ein Wort, als fürchteten sie, dass man sie belausche und des Verstoßes gegen die Regel elf oder zwölf beschuldige, oder war es Regel zehn?

      Silvia wusste es nicht, ihre Tränen aber versiegten wie die eines Kindes, das durch Wichtigeres von seinem Kummer abgelenkt wird. Ihre Hand umfasste einen der Gitterstäbe, als müsse sie sich vergewissern, dass dies alles kein Traum sei, und ohne dass sie es wollte, schweifte ihr Blick im Zwielicht zu diesem obskuren Sammelsurium an Stimulantia, betrachtete fast andächtig den „Freudenslip“ und den noch befremdlicheren „Poformer“. Sie lauerten geduldig auf den rechten Moment wie Belagerer, die wussten, dass sich die Zugänge der verlorenen Burg von ganz alleine öffnen würden. Der Sieg war ihnen gewiss, da unbezwingbare Waffen an ihrer Seite standen, nämlich die Zeit und die Regeln.

      Silvias Augen fielen zu, die Erlösung des Schlafes sank herab, in seiner Begleitung befanden sich Scham und Bangen, dazu ein leises, unbegreifliches, schaurig-wohliges Kribbeln …

      Über die Sensibilität des Kerkermeisters

      Als Silvia wieder erwachte, wusste sie nicht, wie spät es war, ob noch tiefe Nacht oder vielleicht schon früher Morgen. Alles war still um sie herum bis auf ein leises Schnarchen links von ihr und ein schlaftrunkenes Röcheln von gegenüber. Noch immer erhellte nur die Notbeleuchtung dürftig den Raum, was aber nichts besagte, da ja kein Lichtstrahl von draußen hereindringen konnte. Vielleicht wurde die Welt dort draußen, zu der sie nicht mehr gehörte, gerade von der Morgendämmerung erhellt, vielleicht schon von der Sonne beschienen, als sei nichts geschehen.

      Sie warteten noch immer an den Gittern, die Belagerer, die bald Eroberer sein würden, warteten ebenso geduldig wie unerbittlich, verwegen pralle Schemen im roten Licht der künstlichen Nacht. Doch maß Silvia ihnen zu viel Bedeutung bei. Sie waren nicht die Bezwinger, waren keine beseelten Wesen, sondern nur gleichgültige Gegenstände, Werkzeug, das sie vorbereiten würde auf die Wünsche ihres Gebieters und der unbekannten Männer.

      Ob er das wusste, ihr liebender Gatte, der ihr, wie sie annahm, einen Seitensprung nie und nimmer verziehen hätte? Aber sicherlich hatte die Herrin ihm nicht verheimlicht, dass man sein Weib zu prostituieren gedachte, unmöglich, so etwas ohne sein Einverständnis zu tun. Weshalb ließ er das zu? Weil es nicht ihrem Privatvergnügen diente, sondern ihrer „Erziehung“, und weil sie es nicht aus eigenem Antrieb tat, sondern auf Befehl, in seinem Auftrag sozusagen, womit es ihn nicht herabsetzte, nicht schmähte, ihn ganz im Gegenteil zu ihrem Herrn erhob, der über sie nach Belieben bestimmte?

      Ein harmloses Spiel, wie von ihm behauptet, war das jedenfalls nicht, mit klammen Herzen musste sie begreifen, dass er sie tatsächlich und allen Ernstes zu seiner Sklavin abrichten ließ, vielleicht für immer und alle Zeiten, unwiderruflich? Aber war sie nicht die ganze Zeit schon von ihm abhängig gewesen, angewiesen auf sein Geld und seiner Dominanz unterworfen, hatte er nicht die Entscheidungen getroffen und sie sich gefügt, von Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten abgesehen? Wurde nun das heimlich Vorhandene so unverschleiert wie ihr Körper gezeigt? Es wird dir nichts geschehen, was du dir nicht im Grunde deines Herzens wünschst. Sollte diese Behauptung etwa noch viel wahrer sein, als sie ahnte?

      Die schwere Eingangstür wurde geöffnet, langsam, als leiste sie Widerstand, und müde Schritte schlurften herein. Im nächsten Moment ging die gelbe Sonne der Deckenbeleuchtung auf, wurde es Tag von einer Sekunde auf die anderen. Der dunkelhaarige Aufseher stand im Raum, bekleidet mit der Kluft von gestern.

      „Hallo, Mädchen, aufwachen“, sagte er mit brüchiger Stimme, konnte lauter mit dem Schlüsselbund klappern als sprechen. Entweder hatte er eine harte Nacht gehabt oder klang seine Stimme von Natur aus wie die eines verkaterten Trinkers, auch das sollte es ja geben, sinnierte Silvia, während er eine Zellentür nach der andern aufschloss. Dann stand er vor ihrem Käfig und blickte erstaunt in ihre klaren Augen. „Ach, du bist schon wach?“

      „Ja. Schon eine ganze Zeit.“

      Er schaute sie tadelnd an, als habe er sie bei einem unverzeihlichen Vergehen ertappt, gleich aber winkte er ab, als fehle ihm die Kraft für einen Verweis oder Schlimmeres. „Na ja, du bist neu hier … aber du weißt, wie die richtige Antwort lautet?“

      „Oh, ich hatte vergessen“, hauchte sie betreten.

      „Das nächste Mal lasse ich es dir nicht mehr durchgehen, merk dir das!“ Natürlich war er mahnend erhoben, der Zeigefinger.

      „Ja, mein Behüter, ich merke es mir.“ Das war nun endlich die richtige Sprache, sie brachte ihr ein lobendes Nicken ein. Der Aufseher steckte den Schlüssel ins Schloss ihrer Zellentür und drehte ihn mit sanfter Hand. Ob er in diesem Moment das Gleiche wie Silvia dachte? Sie schämte sich ihrer obszönen Fantasie, begegnete seinem dunklen Blick, senkte die Lider und hörte sein verwirrtes Räuspern, dann ging er weiter.

      Verschlafen trotteten die Mädchen aus ihren Käfigen. Isabel rieb sich die Augen wie ein müdes Kind, Claudia gähnte mit offenem Mund, Maria seufzte schwer, da ihr anscheinend einfiel, was dieser Tag ihr bringen würde, und Jasmin, die noch gar nichts sah, hätte um ein Haar mit dem Ellbogen den Poformer von der Ablage gewischt. Ganz am Rande der kleinen Plattform kam er zum Stehen und vorsichtig rückte sie ihn zurecht. Nur Silvia befand sich im Vollbesitz der Sinne, was kein Vorteil war.

      Sie gingen zur Toilette, ließen sich auf den Bidets nieder, nahmen eine Dusche. Die Hemdchen landeten im Wäschekorb und einer der beiden Jungs für alles verteilte frische Kleidung. Es waren keine langen Gewänder, sondern … Silvia wusste nicht, wie sie diese spitzenbesetzte Nichtigkeit nennen sollte, die dunkelblau war und natürlich durchsichtig. Sie reichte knapp bis zur Taille, ein Träger schlang sich um den Nacken und zwei Bänder wurden am unverhüllten Rücken zu einer Schlaufe gebunden. Eine Art Schürze war es wohl, aber eine, die man nirgendwo anders als hier tragen konnte. Durch die großen Maschen des Netzgewebes lugten die Knospen hindurch. Zum Glück verbreitete die Bodenheizung angenehme Wärme, ein Frösteln gab es nicht auf der Haut, nur in der Seele.

      Zum dunklen Blau der Schürze wurden schwarze Stöckelschuhe getragen. Diese gab es im Mädchenraum in der schwarzen Kommode, die sich als Schuhschrank entpuppte. Auch sie war in sechs Fächer unterteilt und hielt für jedes Mädchen weiße, schwarze und rote Schuhe bereit, alle mit hohen dünnen Absätzen.

      Es duftete nach Kaffee und frischen Brötchen, der Tisch war reichlich


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