Silvia - Folge 1. Jürgen Bruno Greulich
Silvia?“
Silvia fühlte sich wie in Watte gepackt. Die Worte vernahm sie wohl, ihren Sinn zu begreifen aber weigerte sich ihr Geist. Nein, sie war keine Sklavin, spielte sie vielleicht für einige Zeit, weil ihr keine andere Wahl blieb, das war alles. Doch war nicht der rechte Moment für eine solche Erklärung. „Ja, meine Herrin, ich habe verstanden.“
„Und was hast du verstanden?“
„Dass ich von nun an … Eure … Sklavin bin.“
„Nicht nur meine, sondern auch und vor allem die deines Gebieters. Denn um dir das begreiflich zu machen, bist du hier. Es wäre gut für dich, das niemals zu vergessen.“ Während ihrer Worte klappte der Blonde das größte der Bänder auf und legte es um Silvias Hals, kühles Metall, das sie frösteln ließ. Silberhell rastete das winzige Schloss ein, war ohne Schlüssel nicht mehr zu öffnen. Auch die Hand- und Fußgelenke wurden umschlossen, reglos ließ sie es geschehen, wie gelähmt. Das also war das alles, für das Wolfgang ihre Maße genommen hatte. Wolfgang! Wenn er sie jetzt sehen könnte, was er wohl empfinden würde, ob ihm ihre Unterwerfung peinlich wäre oder er sich über ihren Anblick freuen würde? Beides wohl und Letzteres vermutlich ein bisschen mehr, denn er war ja nur ein Mann. Und ihr „Gebieter“ von jetzt an? Aber es war doch nur ein Spiel, so hatte er versichert. War es das wirklich? Spielte sie die Sklavin tatsächlich nur oder wurde sie nicht doch zu einer, ob sie wollte oder nicht? War die stille Fügsamkeit der Mädchen nicht ebenso echt wie die Anwesenheit der Aufseher und der mächtige Zauber der Herrin? Sehr real waren auch die metallenen Bänder. Sie passten genau, wie angemessen, sie saßen weder zu locker noch zu eng, sie scheuerten nicht, rutschten nicht, schnitten nicht in die Haut, waren fast nicht zu spüren, lasteten aber tonnenschwer auf der Seele.
Der dunkelhaarige Aufseher brachte ihr ein weißes Gewand, sie streifte es wie ein Büßerhemd über und schlang mit zaghaften Fingern die weißen Bänder zu Schlaufen, die es vorn herab verschlossen. Sie war damit noch nackter als mit gar nichts an, denn es offenbarte ihre Hilflosigkeit, machte sie zu einem der artigen Mädchen. Sie musste ihre schwarzen Schuhe mit den halbhohen Absätzen gegen weiße Stöckelschuhe tauschen und war dann von den anderen nicht mehr zu unterscheiden.
„Und nun das Wichtigste“, sagte die Herrin (die Silvias Geist nun ohne Anführungszeichen so nannte). Sie hielt ein dünnes großformatiges Buch in Händen, das in Leder gebunden war und der Speisekarte eines Restaurants ähnelte. „Das Buch der Regeln.“ Sie überreichte es Silvia so feierlich, als handele es sich um die Zehn Gebote. „Beschäftige dich damit. Ich erwarte von dir, dass du Regel zwanzig ab Donnerstagmorgen befolgen kannst. Hast du verstanden, Silvia?“
„Ja, meine Herrin …“
„Maria, zitiere Regel zwanzig, damit Silvia begreift, worum es geht.“
Maria war eine schlanke, kleinbusige Frau mit brünettem, halblangem Haar, braunen großen Augen und zartem, sensiblem Gesicht. Sie zögerte, schien sich ihrer Sache nicht sicher, musste überlegen und hob mit nervöser Stimme zu sprechen an: „Regel zwanzig: Die Mädchen müssen in der Lage sein, alle aufgeführten Regeln einschließlich der Ausnahmen und Unterregeln … ähm, auswendig zu können … und sie sollen …“
„Genug“, unterbrach die Herrin. „Du kannst es nicht. – Du weißt, was das bedeutet?“
„Ja, meine Herrin, ich weiß.“ Betreten senkte Maria den Blick.
„Zur Strafe erhältst du zehn Peitschenhiebe, morgen zur üblichen Zeit am üblichen Ort.“
„Ja, meine Herrin.“ Furchtsam bebten Marias Lippen.
So also brachte man den Mädchen Gehorsam bei! Eine kalte Hand umfasste Silvias Herz. Die Herrin bedachte Maria mit einem bedauernden Blick, als würde die Unvermeidlichkeit des Urteils ihr selbst leidtun, und wandte sich an die Größte der vier, ein blondhaariges Mädchen mit üppigen Brüsten und einem Gesicht, das mit den vollen Wangen, der Stupsnase und den blauen Augen an eine Puppe erinnerte: „Isabel! Wie lautet Regel zwanzig?“
„Die Mädchen müssen in der Lage sein, alle aufgeführten Regeln einschließlich des Vorworts, der Anmerkung sowie der Ausnahmen und Unterregeln wortwörtlich ohne Zögern und ohne Stocken aufzusagen.“ Ohne Zögern und Stocken hatte Isabel die Regel aufgesagt mit heller, aber fester und erstaunlich selbstbewusster Stimme.
Die Herrin nickte zufrieden und ihr Blick richtete sich auf Silvia. „Du siehst also, weshalb das Lernen der Regeln notwendig ist. Sie zu beherrschen liegt in deinem eigenen Interesse.“ Entspannt wurde ihre Miene und ihr Blick schweifte über die Mädchen hinweg. „Ihr könnte ins Kaminzimmer gehen. Seid nett zu Silvia und nehmt sie unter die Fittiche, damit sie sich schnell eingewöhnt. – Ich wünsche euch einen schönen Abend.“
Die Mädchen bedankten sich mit einem ergebenen Knicks und folgten dem blondhaarigen Aufseher in ordentlicher Reihe nach draußen, mit Silvia im Schlepptau, die das Regelbuch an sich presste, als fände sie daran Halt.
Das Kaminzimmer befand sich gleich nebenan und war etwas wohnlicher eingerichtet als der Blaue Salon. Hier gab es einige lederne Sessel und mehrere Sofas, auch diese aus dunklem Leder, dazwischen runde kleine Tische. Seinen Namen erhielt der Raum von einem offenen, fast frauhohen Kamin, in dem man ein Feuer von den Ausmaßen eines Großbrandes entfachen und halbe Wälder verbrennen konnte, wenn man wollte. Aber natürlich wollte das niemand an einem lauen Frühsommerabend wie diesem, an dem eine Bodenheizung zur Schaffung angenehmer Temperaturen durchaus genügte. Eine edle Wanduhr verbreitete mit ihrem rhythmischen Ticktack und dem gelassenen Hin und Her des Pendels eine entspannte Atmosphäre und eine Regalwand, mit Büchern reich gefüllt, erstreckte sich links der Tür bis hoch zur Decke und fast über die gesamte Breite des Raumes. Rechts der Tür stand ein großer schwarzer Barockschrank und auch von hier aus sah man durch hohe Fenster in den prächtigen Park.
Der blonde Aufseher ließ sich in der Nähe der Tür auf einem Sessel nieder, während Silvia von den Mädchen umringt wurde. Freier wirkten sie nun, nicht mehr in Reih und Glied aufgestellt und keinem Zeremoniell unterworfen.
Wie von der Herrin verlangt, wurde Silvia gut von den Mädchen aufgenommen. Isabel lächelte ihr freundlich zu und Jasmin, die Kleinste von ihnen, erklärte in sächsischem Akzent, dass Entspannung angesagt sei und es heute nichts mehr zu tun gebe. Sie war nicht nur klein, sondern auch zierlich und jung. Ihre handfüllenden Brüste waren tropfenförmig und sehr schön, wie Silvia fand. Dann aber merkte sie, dass sie dabei war, die Stielaugen eines Mannes zu bekommen, und riss den Blick verwirrt wieder los.
Verlegen klang Claudias Gemurmel. „Tja, so sieht man sich also wieder.“ Schön sah sie aus. Anmutig sanft war das Gesicht, lockig das braune Haar, üppig der Körper mit den runden Brüsten, die Silvia noch nicht gesehen hatte, natürlich nicht. Auch von diesen musste sie den Blick erst wieder losreißen. Was war nur los mit ihr?
Hüstelnd rettete sie sich auf unverfänglicheres Gebiet. „Hast du gewusst, dass ich komme?“
„Woher denn? Diese Überraschung ist wirklich gelungen.“
„Ihr kennt euch?“, fragte Isabel verwundert.
„Ja. Unsere werten Gatten … nein, unsere Gebieter natürlich … Sie arbeiten in der gleichen Firma“, erklärte Claudia.
„Oh, das ist ja pikant.“
War es das? Pikant? Reizvoll, schlüpfrig? Eher weniger. Eher war es prekär, misslich, schwierig … Silvias Blick schweift zu Claudias Schoß. Deutlich sah man den dunklen Flaum des Haares unter dem dünnen Gewand, das aber auch wirklich gar nichts verhüllte. Claudias Hände versuchten die Blöße nicht zu verbergen, strichen über ihre Schenkel, vermutlich ohne dass sie es bemerkte, blutrote lange Fingernägel auf dem weißen Hauch von Stoff.
Wieder riss Silvia den Blick von ihr los. Anscheinend wurde das zu ihrer Hauptbeschäftigung. „Ich habe Wolfgang nicht geglaubt, dass du wirklich hier bist.“
Röte puderte Claudias Gesicht. „Dann konnte mein Gebieter das Geheimnis also doch nicht für sich behalten. – Na ja, nun sind wir also beide hier. Machen wir das Beste draus.“
Was