Silvia - Folge 1. Jürgen Bruno Greulich
ein Stift zum Schreiben und einige Tampons erschienen ihr doch unentbehrlich. Sie hauchte Wolfgang ein Küsschen auf die Wange, versuchte sich an einem tapferen Lächeln und wandte sich an den geduldig wartenden Chauffeur: „Ich bin so weit. Wir können gehen.“
„Sehr wohl, Madame.“ Würdevoll geleitete er sie hinaus in den Hof. Dort stand eine exklusive schwarze Limousine, die man als Staatskarosse hätte verwenden können. Rote Gardinen hinter den Scheiben des Fonds verwehrten die Sicht nach innen, einladend hielt der Chauffeur die hintere Tür für sie auf. Noch einmal blickte Silvia zu Wolfgang zurück, der reglos an der Haustür stand mit einem unbeteiligten Grinsen, als würde sie nur mal schnell einkaufen gehen. Sie winkte ihm zu, stieg ein – und schreckte verdutzt zurück. Es befand sich bereits jemand im Wagen, eine mondäne attraktive Dame um die vierzig, die entspannt zurückgelehnt und mit übereinandergeschlagenen Beinen in den schwellenden Polstern saß.
„Hallo, Silvia.“ Angenehm rauchig klang ihre Stimme. „Schön, Sie zu sehen.“
Silvia ließ sich ihr gegenüber nieder mit dem Rücken zur Scheibe, die den Fond vom Fahrerplatz trennte, und versuchte sich an einem freundlichen Lächeln. Dass sie es ihrerseits schön fand, diese Frau zu sehen, konnte sie nicht behaupten, zu seltsam waren die Umstände ihrer Begegnung.
„Mein Name ist von Sinnenhof“, stellte sich die Frau vor. Sie hatte dunkles, fast schwarzes Haar, das sie kunstvoll hochgesteckt trug, und dunkle Augen, die selbstsicher und wohlwollend schauten. Hübsch war ihr Gesicht, ernst, aristokratisch, und rot geschminkt waren die elegant geschwungenen vollen Lippen. Auch sie trug ein schwarzes knielanges und hochgeschlossenes Kleid ähnlich dem Silvias, und auch ihre Beine wurden von hauchzarten schwarzen Strümpfen umhüllt. Unwillkürlich fragte sich Silvia, ob auch sie von Strapsen Halt bekamen, dann aber ermahnte sie sich, nicht solch unnützes Zeugs zu denken. Immerhin schien diese Frau nicht die befürchtete knöcherne Gouvernante zu sein, auf den ersten Blick jedenfalls wirkte sie recht umgänglich, fast einnehmend. Der Wagen setzte sich in Bewegung, ohne dass man ein Motorengeräusch hörte, er rollte aus dem Hof und wurde sanft beschleunigt.
Edel und wertvoll, dabei unaufdringlich wirkte der Schmuck der Frau, ein goldenes Ohrgehänge, mit einem rubinroten Stein besetzt, eine Halskette aus lachsfarbenen Perlen und ein goldener breiter Armreif. Dezent duftete sie nach einem blumigen Parfüm. Sie ließ Silvia Zeit, sich einzufinden, während der Wagen einige Male anhielt, an Ampeln wohl, bis er mit mäßiger Geschwindigkeit dahinrollte.
Die Frau schlang beide Hände um ihre Knie und lächelte höflich. „Möchten Sie Ihre Jacke nicht ablegen? Es ist warm hier drinnen.“
Silvia zögerte einen Moment. Auch wenn die Worte wie ein Vorschlag geklungen hatten, beschlich sie doch das Gefühl, einen Befehl erhalten zu haben. Sie aber trotzig anzubehalten, hätte wohl einen sehr seltsamen Eindruck gemacht. Also schälte sie sich heraus und legte sie neben sich auf den Sitz.
„Wie war der Abschied von Ihrem Gatten?“
„Recht kühl, würde ich sagen. Mein Mann war ein bisschen nervös.“
„Und Sie?“
„Ich natürlich auch.“
„Sie haben sich vermutlich Sorgen gemacht, nicht wahr, hatten Zweifel und Bedenken, fragten sich, was Sie erwartet?“
„Natürlich. Das alles ist ja schließlich sehr ungewöhnlich.“
„Allerdings.“ Die erhofften beschwichtigenden Worte, die erklärten, dass es gar zu ungewöhnlich gar nicht sei und es keinen Grund zur Sorge gebe, diese Worte bekam Silvia nicht zu hören. Die Frau schaute ihr direkt in die Augen. „Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, Silvia, wenn ich dich fortan mit Du anspreche?“
„Hm … wenn Sie meinen …?“
„Ja, ich meine. Es ist der Situation angemessen. – Was hat dein Mann dir denn erzählt über die kommende Zeit?“
„So gut wie nichts.“ Verstört zupfte Silvia die neben ihr liegende Jacke zurecht, fühlte sich plötzlich hilflos wie ein Kind vor der Lehrerin.
„Hast du ihn denn nicht nach Einzelheiten gefragt?“
„Doch, natürlich. Aber er gab keine richtige Antwort, sagte nur, dass er selbst nichts Genaues wisse.“
„Das stimmt, Genaues weiß er tatsächlich nicht. Was glaubst du, was er von dieser Zeit erwartet, oder von dir, um präziser zu sein?“
„Schwer zu sagen … vermutlich hofft er darauf, dass ich ihm den einen oder anderen Wunsch erfülle.“
„Den einen oder anderen Wunsch …“ Die Frau lächelte, als hätte Silvia einen wenig gelungenen Scherz gemacht. „Ein bisschen mehr wird er schon erwarten, denke ich mal. Aber darüber unterhalten wir uns später. – Und du, was erwartest du?“
„Ich weiß nicht … ich habe mir darüber kaum Gedanken gemacht. Eigentlich gab ich meine Zustimmung nur, um meinem Mann einen Gefallen zu tun.“
„So groß ist die Liebe?“ Die Frau wirkte amüsiert. Unvermittelt aber wurde ihre Stimme kühl, der Blick gebieterisch. „Du hast deine Zustimmung nicht nur ihm zuliebe gegeben. Würdest du es nicht wollen, wärst du nicht hier. Du erwartest dir sehr wohl etwas, auch wenn du es nicht eingestehen willst, mir nicht und dir selbst auch nicht, weil du dich schämst. Habe ich recht, Silvia?“
Silvia senkte die Lider, konnte diesen Blick nicht mehr ertragen, der viel zu tief schaute. Schnell fuhr der Wagen inzwischen, schnell und mit gleichmäßiger Geschwindigkeit, als befände er sich auf einer Autobahn.
Die Frau lächelte nachsichtig. „Du musst dich nicht genieren. Viele fühlen wie du, haben Lust daran, sich fallenzulassen, die Last der Verantwortung abzuschütteln, gehorsam zu sein. Das ist kein Makel, das ist Teil des menschlichen Wesens, ebenso elementar wie Kraft, Stärke, Widerspenstigkeit. Lass einfach los und tu, was von dir verlangt wird, es wird dir guttun und wir beide werden miteinander auskommen. Das willst du doch, dass wir uns verstehen, nicht wahr, Silvia?“
Silvia nickte, eher halbherzig denn überzeugt.
Noch ein bisschen höher hob die Frau den Kopf und legte ihn ein klein wenig schräg. „Hast du einen Slip an?“
„Bitte?“
„Ob du einen Slip anhast. Du kannst es auch Höschen nennen, wenn dir das lieber ist.“
„Ja, natürlich.“
„Was, ja, natürlich?“
„Ich habe ein Höschen an.“
„So natürlich ist das nicht. Aber wie sieht es aus? Beschreibe es mir!“
„Möchten Sie das wirklich wissen?“
„Würde ich dich danach fragen, wenn ich es nicht wissen wollte?“
Wieder wich Silvia dem Blick der Frau aus. Zögernd kamen die Worte von ihren Lippen. „Es ist schwarz. Schwarz und klein.“
„Beschreib es genauer!“
„Nun ja … es ist ein String. Die Säume sind mit Rüschen besetzt, vorn ist er halb durchsichtig. Mein Mann hat ihn mir geschenkt.“
„Wie nett von ihm. – Zieh es aus!“ War diese Frau etwa lesbisch, war das ein Annäherungsversuch? Eher wohl eine Vergewaltigung, wenn keine physische, dann eine der Seele. „Zieh es aus! Zier dich nicht! Gewöhne dich daran, den Anweisungen zu folgen!“
Der Imperativ, ausgesprochen mit suggestiver Kraft, Silvia konnte sich nicht widersetzen. Wie mechanisch, als würden sie von einem fremden Antrieb bewegt und nicht mehr ihrem eigenen Willen gehorchen, lösten sich ihre Beine voneinander. Ihre Hände glitten unter das Kleid, sie stemmte sich hoch und zog das Höschen über die Schenkel, streifte es über die seidigen Strümpfe und zupfte es mit fahrigen Fingern über die hohen Absätze der Schuhe. Ratlos hielt sie es in der Hand.
„Du brauchst es nicht mehr. Wirf es aus dem Fenster.“
Silvia