Silvia - Folge 1. Jürgen Bruno Greulich

Silvia - Folge 1 - Jürgen Bruno Greulich


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…“

      „Um Himmels willen, was ist nur mit dir los?“

      „Ich versuche unserer Ehe ein paar neue Impulse zu geben, mehr nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so störrisch bist.“ Er ging in sein Arbeitszimmer und schloss sanft die Tür hinter sich.

      Auch in dieser Nacht läuteten nicht die Glocken der Liebe, woran auch nichts änderte, dass Wolfgang sich nur für kurze Zeit an den Computer setzte und den Rest des Abends mit ihr auf dem blauen Ledersofa verbrachte, whiskeytrinkend, aber in Maßen, wie es sich gehörte für einen Mann in seiner Position. Wieder trug sie beim Zubettgehen einen dicken Pyjama und wieder schliefen sie Rücken an Rücken. Als sein Fuß aber nach Nähe suchend ihre Wade berührte, zog sie das Bein nicht weg. Gar so schrecklich war Wolfgang nun doch nicht, kein Ungeheuer, das es zu meiden galt, nur ein typischer Mann eben. Ob seine Drohung, sich mit anderen Frauen einzulassen, ernst gemeint war? Für ausgeschlossen hielt sie es nicht. Vielleicht sollte sie ihm doch ein bisschen entgegenkommen, soweit ihr möglich eben …

      Überredungskünste

      Als sie am Morgen erwachte, hatte Wolfgang das Haus bereits verlassen, der Frühaufsteher, der es sich nicht nehmen ließ, einer der Ersten in der Firma zu sein. Sie setzte einen Kaffee auf und ging mit der Tasse in der Hand ins Wohnzimmer zu ihrem antiken Sekretär. Sie saß gerne an ihm, schrieb ihre Briefe hier und ihr Tagebuch, genoss den Blick durch das große Fenster hinaus in ihren gepflegten, weitläufigen Garten. Ein Blatt Papier begrüßte sie, ein sorgfältig entworfener Computerausdruck mit fein geschwungener Schrift, darauf lag ein „Mon Chéri“. Verwundert las sie den Text:

      Allerliebste Silvia, warum machst du es mir so schwer? Ist mein Wunsch so schrecklich? Warum können wir uns nicht an Dingen erfreuen, vor denen andere nicht zurückscheuen? (Ich denke an Herrn Wohlgemach und Claudia, wie du ja weißt.) Nichts Unmögliches verlange ich von dir, nur ein kleines kribbelndes Spiel, an dem du nicht weniger deine Freude finden wirst als ich. Das Leben hat so viel Reizvolles zu bieten, lass es uns auskosten, ehe es zu spät ist. Wenn du mich glücklich sehen willst, dann mache ein Kreuz an der vorgegebenen Stelle und schreibe deinen Namen darunter. Du wirst eine neue Welt entdecken und deine Zusage nicht bereuen. Dein dich liebender Wolfgang.

      Darunter war ein Kreis gedruckt mit den groß geschriebenen Worten daneben: Ja, ich will! Und eine Linie von Punkten mit ihrem Namen darunter war der Platz für ihre Unterschrift. Sie las den Brief ein zweites Mal, schüttelte ungläubig den Kopf, zerriss ihn sorgfältig in viele kleine Schnipsel und warf ihn in den Papierkorb.

      Am Abend, als Wolfgang nach Hause kam, schielte er verstohlen zum Sekretär hinüber, sah die Praline unberührt darauf liegen und den Brief verschwunden, sagte kein Wort dazu. Am folgenden Morgen lag ein neues Schreiben auf dem Sekretär, dieses Mal garniert mit einem goldenen Ring, den ein herzförmiger Rubin schmückte.

      Liebste Silvia, ich überlege und überlege und weiß nicht, wie ich dich überzeugen kann. Fällt es dir so schwer, Ja zu sagen? Kannst du dich nicht einfach mal fallenlassen und die Dinge nehmen, wie sie kommen? Hast du denn kein Vertrauen zu mir? Glaubst du wirklich, ich würde etwas von dir verlangen, das deine Ehre verletzt? Traust du mir so etwas zu? Soll ich dich auf den Knien darum bitten, meinen Wunsch zu erfüllen? Wenn dem so ist, dann sage es mir. Ich würde es tun. In Liebe, Wolfgang.

      Diese Zeilen las sie nicht ein zweites Mal, diese zerriss sie sogleich. Und mochte der Ring ihr auch ausnehmend gut gefallen, so rührte sie ihn doch nicht an. Sie war nicht käuflich und dachte nicht daran, sich weichkochen zu lassen!

      Ein schwerer Seufzer entrang sich Wolfgangs Lippen beim abendlichen Blick auf den Sekretär und wieder lagen sie Rücken an Rücken im Bett. Der Brief, den sie am Morgen vorfand, entstammte nicht dem Computer, sondern war mit der Hand geschrieben:

      Liebe Silvia, wie sehr würde ich mich freuen, wenn du mir vertrauen und Ja sagen würdest. Dein Wolfgang.

      Diesen Brief zerriss sie nicht, war ja doch sinnlos. Wie es aussah, ließ er nicht locker, auch wenn ihm allmählich die Worte auszugehen schienen, ihrem armen Gatten. Und die einzige rote Rose, die in einer schlanken hohen Vase daneben stand, betrachtete sie mit einem fast wehmütigen Gefühl. Eigentlich war er rührend, ihr Wolfgang, fast wie ein Kind. Wie sehr er sich ihr „Ja“ doch wünschte, wie glücklich sie ihn offenbar machen würde … Aber sie selbst, würde sie damit auch glücklich werden? Das war nicht anzunehmen.

      Ihr Blick fiel aufs Regal und dort auf Claudias Buch. Bis ungefähr zur Hälfte war Silvia gekommen. Diese O wurde gepeitscht, vergewaltigt, prostituiert, und je schrecklicher man sie behandelte, desto tiefer wurde ihre Liebe zu dem Mann, der sie all den Torturen aussetzte. – Silvia nahm es zur Hand, schlug es weiter hinten auf, wo sie noch nicht gelesen hatte, überflog einige Zeilen. Es war von einem jungen Mädchen die Rede, das die O bewunderte und wie sie sein wollte, das zuschaute, wie sich die O, an ein Holzgeländer gebunden, unter der Reitpeitsche wand und wie sie, auf den Knien liegend, das „mächtige aufgerichtete“ Glied ihres Herrn im Mund empfing.

      Silvia klappte das Buch wieder zu. Unmöglich, das alles! Ihr Blick schweifte in den Garten, der trostlos unter dem grauen Himmel lag. Welch eine ungeheuerliche Vorstellung, irgendwo angebunden zu werden wie die O, hilflos der Peitsche dargeboten oder einen Penis in den Mund gesteckt zu bekommen, ob man das wollte oder nicht. Das ließ doch keine Frau mit sich machen! Es sei denn, sie fand ihren Reiz daran … Schon in Jugendzeiten hatte es in Silvia Unterwerfungsfantasien gegeben, stets gleich wieder verdrängt, da sie nicht passten zum Bild der emanzipierten Frau, die sie doch sein wollte. Nur reizvoll waren solche Vorstellungen halt doch …

      Verstört stellte sie das Buch aufs Regal zurück und machte sich an die Hausarbeit, um auf andere Gedanken zu kommen. Dieses Bild der Fantasie begleitete sie durch den ganzen Tag, tauchte immer wieder vor ihrem Auge auf und mit ihm das warme Gefühl, das anscheinend mit dazugehörte.

      Am Abend erwartete sie Wolfgang nicht im unförmigsten Pullover, sondern in einem, der ein bisschen knapper saß, und in einer engen Jeans. Er kam nur eine halbe Stunde zu spät und begrüßte sie mit einem flüchtigen Küsschen. Bevor er sich an den Tisch setzte, lugte er ins Wohnzimmer zum Sekretär und ein Fünkchen Hoffnung glomm in seinen Augen, da er seinen Brief dort liegen sah, zwar ohne Kreuzchen und Unterschrift, aber immerhin unversehrt. Doch sagte er nichts dazu. Dafür lobte er gebührend die gut gelungene Lasagne, bei deren Zubereitung sie sich viel Mühe gegeben hatte.

      Nach dem Essen zog er sich nicht in sein Arbeitszimmer zurück wie sonst üblich, sondern lud sie zum roten Wein in ihr Lieblingsbistro ein, das sich in der größeren Stadt befand, zehn Kilometer von ihrer Kleinstadt entfernt. Das hatte er schon lange nicht mehr getan und natürlich war sie gerne damit einverstanden. Sie packte das Geschirr in die Spülmaschine, legte ein dezentes Make-up auf, verzichtete darauf, sich etwas Eleganteres anzuziehen, und sie fuhren los. Einer der kleinen runden Tische beim großen Fenster war noch frei, man konnte auf die Fußgängerzone schauen, auf die Schaufenster einer Kunstgalerie, einer exklusiven Boutique mit horrenden Preisen und einer Buchhandlung. Fröstelnd gingen die Passanten draußen vorbei, es war ein kühler Abend, nichts zu merken von lauer Frühsommerluft.

      Silvia bestellte beim südländischen Kellner mit dem schwarzen, dichten, ölglänzenden Haar einen trockenen französischen Rotwein, Wolfgang nahm einen Riesling wie immer. Sie prosteten sich zu und er erzählte kleine Geschichten aus der Firma, berichtete von den Aktienkursen, die endlich mal wieder stiegen, und von einer Urlaubsreise, die sie unternehmen sollten, sobald er mal Zeit dafür fände. Sie plauderten so unbeschwert wie schon lange nicht mehr, oder er plauderte jedenfalls, während sie nur wenig sprach, da mit den Gedanken ganz woanders. Warum nur schnitt er nicht das Thema an, das ihm die letzten Tage so wichtig gewesen war?

      Seine Hand legte sich auf die ihre und liebevoll lächelte er sie an. „Es ist gut, dass wir wieder mal zusammen ausgehen.“

      „Ja, das ist es. – Aber sag mal, Wolfgang, gibt es dieses merkwürdige Schloss tatsächlich?“

      „Natürlich gibt es das.“

      „Wieso natürlich? Weshalb bist du dir so sicher? Hast du es gesehen?“

      „Wie sollte ich?


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