Silvia - Folge 1. Jürgen Bruno Greulich
Art anzubiedern? Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass er sie so rücksichtslos niedermachte? Ihm schnell einen blasen. Wie kam er nur zu einem solchen Jargon, der doch gar nicht seiner Art entsprach, ob er mit Prostituierten verkehrte? Konnte sie ihm etwa das Begehrte nicht geben, seinen Wünschen nicht gerecht werden? Dabei küsste sie doch gerne seinen Penis, allerdings nicht schnell mal nebenbei und nicht so, als werde einem rolligen Kätzchen ein Leckerli gegönnt, es war Vorspiel, diente der Einstimmung, war kein Selbstzweck und geschah nicht auf Befehl. „Blümchensex“ nannte er so etwas also! Musste er sich das, was ihm gefiel, woanders holen? Ach, sollte er doch! Mit Huren konnte sie natürlich nicht konkurrieren, wie käme sie dazu. Aber so etwas wie heute würde ihr nicht noch einmal passieren, nie wieder sollte er sie so schmählich behandeln können!
Als er spät in der Nacht ins Schlafzimmer kam, lag sie schon im Bett und tat so, als würde sie schlafen. Er rührte sie nicht an, kehrte ihr den Rücken zu, es war, als läge ein Fremder neben ihr, obgleich ein Fremder sie vermutlich begehrt hätte, nein, nur ein Ehemann konnte so schwer wie ein Stein ins Bett sacken. Fast wünschte sich Silvia, dass der Mann neben ihr ein Unbekannter sei, dann könnte sie seine Hände und seine Lippen fühlen, müsste nicht einsam und verstoßen unter der Decke liegen …
Am folgenden Abend empfing sie ihren Gatten bekleidet mit einer Jeans und einem weiten, unförmigen Pullover. Auf dem Herd köchelten Ravioli aus der Dose, ein Gericht, das auch nach längerer Garzeit und zweimaligem Aufwärmen ebenso wenig schmackhaft war wie zuvor. Zu ihrer Überraschung erschien Wolfgang pünktlich und zu ihrer noch größeren Verwunderung schleppte er einen riesigen Strauß roter Rosen herein, dazu blühte in seiner Miene das lange vermisste einnehmende Lächeln. „Silvia, Liebstes, es tut mir leid, wenn ich ein bisschen grob war gestern Abend.“
„Ja, du warst grob.“ Erfreut nahm sie die Blumen entgegen.
„Ich bin untröstlich. Ich hätte mich nicht so ungalant ausdrücken dürfen.“
„Das Problem war weniger die Wahl der Worte als das, was du mit ihnen sagen wolltest.“
„Nun ja. Genau darüber, was ich sagen wollte, sollten wir vielleicht mal reden.“
Misstrauisch schaute sie ihn an. „Was meinst du damit?“
„Gleich. Die Rosen brauchen Wasser und ich habe einen Bärenhunger.“
Silvia setzte sie in die Bodenvase beim Klavier und servierte ihrem Gatten das kärgliche Mahl. Er verlor kein Wort der Kritik, löffelte es schweigend hinunter und beschaute Silvia mit liebevollem Blick. „Na, wie war dein Tag?“
„Wie immer. Es gab nichts Besonderes.“
„Ja, ja, dein Leben ist doch recht eintönig, nicht wahr? Ein bisschen Abwechslung wäre vermutlich ganz gut.“
Irgendetwas war hier faul, das wusste Silvia genau. „Ich finde nicht, dass mein Leben eintönig ist. Und im Herbst suche ich mir sowieso einen Job. Bis dahin weiß ich die freie Zeit durchaus zu genießen.“
Ein Hauch von Missmut erschien in seiner Miene. Sie wusste genau, dass ihm ihre Pläne der Arbeitssuche nicht geheuer waren und er sie lieber als Heimchen am Herd gehabt hätte. Doch verzichtete er heute auf eine solche Diskussion und versuchte sich lieber zuvorkommend zu geben. „Bis zum Herbst ist es noch lange hin, Liebes. Hättest du nicht Lust, vorher noch Urlaub zu machen? Ich wüsste da eine geeignete Adresse.“
„Was für eine Adresse?“
Er legte die Gabel zur Seite, erhob sich und stellte sich hinter sie, legte seine Hände auf ihre Achseln, streichelte zärtlich ihren Hals. „Weißt du, es gibt da Wünsche in mir, Vorstellungen, Träume, die sehr aufregend sind. – Du hättest doch auch gerne, dass unser Leben noch viel reicher wird als bisher, dass wir zusammen glücklich sind, nicht wahr?“
„Natürlich. Nur fürchte ich, dass es im Augenblick nicht um mich geht, sondern um dich.“
„Es geht auch um dich, glaube mir.“
Sie genoss sein zärtliches Streicheln, spürte seine Hand zu ihrem Busen gleiten, schloss wohlig gurrend halb die Augen. „Was für ein Urlaub soll das sein?“
„Es gibt ein Haus, ein sehr edles, ein Schloss, um genau zu sein. Dort könntest du einige Wochen verbringen.“
„Und was sollte ich dort tun, in diesem Schloss?“
„Lernen.“
„Was denn lernen?“
Kräftig fasste seine Hand zu, entlockte ihr ein leises Seufzen. Sanft klang seine Stimme: „Wünsche erfüllen.“
„Ich soll lernen, Wünsche zu erfüllen? Wessen Wünsche?“
„Meine.“
„Was? Ich verstehe nicht, was du meinst.“
„Na ja, es gibt dort in diesem Haus irgendwelche Regeln, die es zu beachten gilt, und es befinden sich immer einige Mädchen dort, das heißt, Frauen natürlich, die einige Zeit bleiben, um eben zu lernen unter Leitung der Her…, der Madame von Sinnenhof.“
So angenehm Wolfgangs Hand auch war, so konnte sie doch das blinkende Warnlämpchen in Silvias Kopf nicht ausknipsen. „Unter wessen Leitung?“
„Die Madame von Sinnenhof, die Besitzerin des Schlosses.“
„Wolltest du sie nicht Herrin nennen?“
Wolfgang schwieg.
Mädchen und Herrin. Wie seltsam das klang, wie einer längst vergangenen Zeit entstammend oder einer bizarren, verborgenen, dunklen derzeitigen Welt, von der Silvia kaum etwas wusste. Doch gab es dieses Buch, die „Geschichte der O“, die sie neulich von einer Freundin erhalten hatte, von Claudia, mit der wortkargen Empfehlung, es doch mal zu lesen. Was Wolfgang da erzählte, erinnerte ein bisschen daran. „Kann man diese Mädchen dort vielleicht auch Sklavinnen nennen?“
Wolfgang beugte sich zu ihr herab und knabberte zärtlich an ihrem Ohr, tiefer glitt die Hand bis hin zu ihrem Bauch. „Weißt du, es ist nur ein Spiel. Sieh mal: Du könntest eine reizvolle Zeit verbringen, würdest eine außergewöhnlich interessante Frau werden und wir beide wären nach deiner Rückkehr ein ausgesprochen glückliches Paar.“
„Bis an unser Lebensende. – Wie kommst du nur auf eine solche Idee? Und wie kommst du zu einer solchen Adresse?“
„Wie ich zu dieser Adresse komme?“ Ein Lächeln erschien in seiner Miene, als hätte sie ihm einen unüberbietbaren Trumpf in die Hand gespielt: „Sie stammt vom Herrn Wohlgemach. Seine Frau befindet sich seit zwei Wochen dort.“
„Claudia? Ach komm, die ist doch in Urlaub gefahren.“
„Natürlich. Und rate mal, wohin!“
„Das muss ich nicht raten. Ich weiß es doch: Sie ist in der Mongolei.“
„Und das glaubst du?“
Hm. Eigentlich nicht. Mongolei und Claudia passten nicht wirklich zusammen. – Aber klang es plausibler, dass sie sich in einem Schloss befand, in dem sie unter Leitung einer sogenannten Herrin zur Sklavin erzogen wurde? Nein, das war unmöglich. So etwas gab es doch nicht. – Aber das seltsame Buch, das Claudia ihr gegeben hatte, sprach das nicht ein bisschen dafür, dass es doch so sein könnte? Nein, das war Fantasie, keine Wirklichkeit. Eine solche Wirklichkeit gab es nicht. Ratlos zuckte sie mit den Achseln.
Wolfgang lächelte wissend. „Sie ist im Schloss. Du wirst ihr dort begegnen.“
„Nein, ich werde ihr dort nicht begegnen! Denn sie ist nicht dort, und wenn sie es doch wäre … mich bringt niemand dorthin. Aber vermutlich gibt es dieses Schloss nicht einmal. Man hat dir einen Bären aufgebunden.“
Wolfgang richtete sich auf, die Hand ließ von ihr ab. Vorbei war es mit der Zärtlichkeit. „Es gibt das Schloss und Claudia befindet sich dort, ob du das glauben willst oder nicht. – Weißt du, Silvia, es gibt genügend Frauen, mit denen ich meine Wünsche ausleben kann. Aber am liebsten würde ich trotzdem mit dir zusammen sein.“