DIE RITTER DES VATIKAN. Rick Jones
auch die großen Philosophen von Aristoteles bis Epikur, mit besonderem Schwerpunkt auf den Lehren von Thomas von Aquin. Auch die Künste fanden Einzug in ihre Ausbildung. So entwickelten sie ein Verständnis für die Feinheiten und den Symbolismus von Da Vinci und Michelangelo. Für einen Ritter des Vatikans wurde das Formen des Geistes mindestens ebenso wichtig genommen wie das des Körpers.
Unter Kimballs Führung waren sie bereits in den Dschungeln der Philippinen und in Südamerika im Einsatz gewesen, um das Leben von als Geiseln gehaltener Missionare zu retten. Bei anderen Gelegenheiten waren sie in östliche Blockstaaten gereist, um dort Priester vor gefährlichen Dissidenten zu beschützen. Und nicht selten wurden sie in blutige Auseinandersetzungen zwischen gegnerischen religiösen Fraktionen in Nationen der Dritten Welt entsandt.
Doch jene Kräfte, die das Sicherheitsteam des Präsidenten überwältigt hatten, taten dies mit einer solch tödlichen Präzision und Perfektion, die an die Fertigkeiten der Ritter des Vatikan heranreichten.
Abgesehen von Kimball Hayden selbst war Leviticus der kampferprobteste Mann unter ihnen, der in mehr Krisensituationen als jeder andere Ritter im Einsatz war und dessen zahllose Narben von seinen Kreuzzügen zeugten.
Micah, Nehemiah und Jesaja waren weniger vom Kampf gezeichnet, doch trotz ihrer jugendlich wirkenden Gesichter nicht weniger tödlich. Mit den von ihnen erworbenen Fähigkeiten gehörten sie zu den ernst zu nehmendsten Kämpfern dieser Welt. Micah war Experte im Umgang mit zweischneidigen Waffen, Nehemiah und Jesaja Meister darin, jemanden lautlos zu töten. Doch zusammen ergänzten sich diese Männer wie die Teile eines Puzzles.
Spirituell war niemand tiefer mit seinem Glauben verbunden als sie. Mental gab es kein anderes Team, welches sich mehr dem Kampf für das Gute verpflichtet sah. Und mit ihrer körperlichen Verfassung stellten sie die Speerspitze dessen dar, was sich ein Kommandant nur wünschen konnte. Kimball war davon überzeugt, dass sie die Besten der Welt waren. Nicht nur als Soldaten, sondern gerade auch als Männer.
Er war stolz auf sein Team.
Eilig folgte Kimball dem Pfad, der durch den alten vatikanischen Garten verlief, bis er das Divinity House erreichte, die Garnison der Vatikanritter – ein auf keiner Karte verzeichnetes Gebäude, welche sich zwischen der Santa-Marta-Kapelle und dem päpstlichen äthiopischen Kolleg befand, etwa zweihundert Meter westlich des Petersdoms. Das Gebäude selbst war einfach und unauffällig gehalten, um so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu erregen.
Das Innere der Garnison war aus Steinen und Felsschindeln errichtet. Entlang der Wände, wo früher einmal Fackeln gebrannt hatten, waren nun elektrische Leuchter angebracht. Durch die Buntglasfenster, die den Kreuzweg symbolisierten, fiel Tageslicht herein. Das Zentrum des Gebäudes bildete die Rotunda, eine kreisförmige Kammer, die das Haus in zwei voneinander abgegrenzte Bereiche unterteilte. Hier wurden Zeremonien abgehalten, Männer zu Rittern des Vatikans ernannt oder Totenfeiern für im Kampf gefallene Ritter abgehalten.
Der Boden bestand aus einem majestätischen Mosaik, ein von Meisterhand gefertigtes Fliesenmuster, welches das Wappen der Ritter des Vatikans zeigte – ein silbernes Tatzenkreuz auf blauem Grund. Diese Farben waren nicht willkürlich gewählt. Silber repräsentierte Frieden und Aufrichtigkeit, Blau die Wahrheit und die Treue. Das dazugehörige Schild wurde von zwei heraldischen, aufrecht stehenden Löwen gehalten. Diese symbolisierten Mut, Stärke, Heldenhaftigkeit und Wildheit.
Jenes Wahrzeichen fand sich an mehreren Orten innerhalb des Divinity House wieder. Außerdem prangte das Wappen als Markenzeichen auf ihren Uniformen und Baretts. Und selbst in den Steinwänden über den Türen zu ihren Wohnquartieren war es zu finden.
Zu dieser Zeit war es still in der Garnison. Die Ritter befanden sich entweder bei der Andacht oder meditierten. Kimball stand nach keinem von beiden der Sinn, haderte er doch mit seinem Glauben. In ihm floss das Blut eines Kriegers und er war ein Patriot. Doch als Kind Gottes fand er sich ständig in einem inneren Widerstreit. Das Gefühl wahren Friedens entzog sich ihm immer wieder, so wie eine flüchtige Wahrnehmung im Winkel des Auges – nah und doch unerreichbar. Was er suchte, ließ sich nicht vor dem Altar oder in der Enge eines Beichtstuhls finden. Was Kimball wirklich wollte, war mehr zu sein als das, was er im Kern war – ein Mörder.
Wonach er suchte, war Erlösung.
Kimball öffnete die Tür zu seinem Quartier. Das Quietschen der Türangeln hallte durch die leeren Gänge des Divinity House. Dann begann er, für seine Reise nach Amerika zu packen.
Sein Raum war klein und enthielt nur das Allernötigste. Außer einem Einzelbett, einem Nachttisch und einem Kleiderschrank gab es darin nur noch ein kleines Podium mit einer ungelesenen Bibel darauf und einen Altar für Gebete, doch die Kerzen waren nie angezündet worden und auch auf das schmale Holzbrett hatte er nie zum Gebet seine Knie gesenkt. Weit über dem Boden sorgte ein Kirchenfenster für das wenige Licht im Raum. Das Buntglasfenster zeigte in leuchtenden Farben die Jungfrau Maria, die ihm ihre Arme entgegenstreckte.
Nachdem er vorsichtig seine klerikalen Hemden zusammengelegt und in den Rucksack gestopft hatte, was an sich schon einer Ehrerbietung ihrer Bedeutung gleichkam, widmete er sich mit der gleichen Vorsicht den blütenweißen Kollaren. Alles, was er und seine Ritter sonst noch benötigten, würden sie von Kardinal Medeiros in Amerika bekommen.
Schließlich zog Kimball den Reißverschluss seines Rucksacks zu und musterte sich im Spiegel, wobei ihm die ersten verräterischen Anzeichen seines Alters nicht entgingen. Nachdem er sein Barett so gerichtet hatte, wie es die militärische Ordnung vorsah, und auch sein Kragen gerade saß, griff Kimball nach seinem Rucksack und machte sich zu seiner nächsten Herausforderung auf. Er fühlte sich so entschlossen, wie er es nicht mehr gewesen war, seit er der US Force Elite diente – einem geheimen Killerkommando, welches zu jener Zeit dem ausdrücklichen Befehl des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika unterstanden hatte.
Kapitel 15
Route 1, Boston, Massachusetts | 23. September, später Morgen
Der Teamführer hatte seine Einheit in zwei Gruppen aufgeteilt: Das Alpha-Team, das aus fünf seiner erfahrensten Kämpfer bestand, und das Omega-Team, welches in D.C. zurückblieb, um dort die politischen Manöver des Weißen Hauses und seiner Sicherheitsorgane zu beäugen.
Um seine Geiseln zu sichern, hatte das Alpha Team sie in einem Militärlaster mit eigens dafür präpariertem doppelten Boden verstaut. Unter der Ladefläche befand sich ein Hohlraum, der bis zu neun Personen eine enge Unterkunft bieten konnte. Damit die Sicherheit der Geiseln während des Transports nicht gefährdet wurde, war das Auspuffsystem so umgebaut, dass die giftigen Abgase die ganze Zeit über von dem Frachtraum weggeleitet wurden. Und da man die Geiseln mit einem Ketamin-Derivat betäubt hatte, war es höchst unwahrscheinlich, dass sie während der Fahrt nach Norden das Bewusstsein wiederlangen würden und in der dunklen Beengtheit in Panik gerieten.
Der Teamführer saß auf dem Beifahrersitz in der Fahrerkabine. Im Radio lief einer der vielen Nachrichtensender, die er während des Transports verfolgte. Scheinbar unbeeindruckt starrte er aus dem Fenster, obwohl er sich der Vorgänge um ihn herum sehr wohl bewusst war.
Wenige Stunden zuvor hatte ein Mitglied seines Omega-Teams von einem leicht nachzuverfolgenden Münztelefon in D.C. aus bei CNN angerufen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich ihr Transporter schon beinahe dreihundert Meilen weiter nördlich und damit außerhalb des Fahndungsradius der Hauptstadt.
Der Zeitpunkt und der Ort, von dem aus der Anruf geführt wurde, dienten als Ablenkungsmanöver. Er wollte, dass man in Washington davon ausging, dass die Soldiers of Islam noch immer in D.C. weilten, damit sich das Hauptaugenmerk ihrer Suche auf einen kleineren Bereich konzentrierte. Doch diese List misslang. Ausgehend von den Nachrichten waren auf allen wichtigen Highways nördlich, westlich und südlich der Hauptstadt und bis nach New York, Florida und Texas Straßensperren errichtet worden.
Obwohl er sein Vorgehen gründlich geplant hatte, machte sich der Teamführer wegen der Straßensperren Sorgen. Bereits zweimal war ihr Militärfahrzeug in New York von Sicherheitskräften angehalten worden. Doch nachdem er ihnen seine gefälschten Papiere ausgehändigt hatte,