Unterwegs mit dir. Sharon Garlough Brown
Tisch in der hinteren Ecke in der Nähe eines künstlichen Ficus und einer Tür an. Sie fragte sich, ob wohl jemand bemerkt hatte, wie ihre Hand zitterte, als sie auf der Namensliste unterschrieb.
Ihr war übel. Was um alles in der Welt hatte sie sich nur dabei gedacht, dass sie sich für diesen Kurs angemeldet hatte? Sie hätte sich lieber einer Frauenbibelgruppe in ihrer Kirche anschließen sollen. Dann hätte sie die Teilnehmer wenigstens gekannt. Aber das hier … Wenn sie es nicht ihrem Pastor und seiner Frau unbedingt hätte recht machen wollen, dann wäre sie nicht gekommen. Meg wusste nicht, was schmerzlicher war: sie zu enttäuschen oder sich selbst ein Magengeschwür zu verpassen. Sie griff nach ihrer Tasche und wollte gerade aufstehen, als eine andere Frau an den Tisch trat und ihr den Fluchtweg versperrte.
„Wäre es okay, wenn ich mich zu Ihnen setze? Ich mag die hinteren Ecken auch lieber.“ Die ziemlich korpulente Frau zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Von hier habe ich alles besser im Blick.“
Und ich kann leichter zur Toilette verschwinden, falls ich mich übergeben muss, antwortete Meg. Aber nur still für sich. Sie zwang ein wackeliges Lächeln auf ihr Gesicht und deutete einladend auf den leeren Platz neben sich.
„Danke“, sagte die Frau, stellte ihren Kaffeebecher ab und legte ein Brötchen und ihre große bestickte Tasche auf den Tisch. Mit dem schreienden Blumenmuster auf ihrer Kleidung und den auffälligen, klimpernden Accessoires machte sie auf Meg den Eindruck einer freigeistigen Nonkonformistin. Selbst ihre kurzen Locken waren bunt: rotbraun mit frechen kupferfarbenen Strähnchen. Ich wünschte, ich hätte das Selbstbewusstsein, solche Farben zu tragen, dachte Meg mit einem Blick auf ihren langweiligen braunen Rock.
Die Frau atmete langsam aus, während sie ihren massigen Körper in den Stuhl zwängte. „Diese Stühle sind nicht für ausladende Hintern gedacht“, bemerkte sie trocken, während sie ihren Blick über Megs zierlichen Körper wandern ließ. „Nicht, dass Sie dieses Problem hätten.“ Sie reichte ihr die Hand. „Ich bin Mara Garrison.“
„Meg. Meg Crane. Entschuldigen Sie die kalten Hände.“ Megs Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
„Dafür haben Sie bestimmt ein warmes Herz“, meinte Mara und spielte mit ihren bunten Ketten mit den großen Perlen. War das ein Tattoo an ihrem Handgelenk? Meg wollte nicht allzu auffällig hinschauen. „Also, Meg – sind Sie bereit für diese ‚geistliche Reise‘?“
Meg zuckte die Achseln und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Ich weiß es auch nicht so genau“, fuhr Mara fort und griff in ihre Handtasche. „Aber eine Freundin meinte, dieser Kurs wäre gut für mich, und darum bin ich hier. Wie steht’s mit Ihnen? Wie haben Sie davon erfahren?“
„Ich … äh …“ Meg spürte, wie sie wieder errötete. Wenn sie nur einen Rollkragenpullover angezogen hätte! Aber es war noch viel zu warm für Rollkragen. „Die Frau meines Pastors hat mir diesen Kurs empfohlen. Sie sagte, er hätte ihr nach dem Tod ihrer Mutter sehr geholfen. Und da meine Mutter auch gestorben ist …“ Zu viel. Sie hatte zu viel gesagt. Sie hatte doch nicht vorgehabt, sich zu öffnen, und jetzt würde sie gleich losheulen. Sie biss sich auf die Lippen und drängte die Tränen zurück.
Mara, die gerade dabei war, ihren knallroten Lippenstift nachzuziehen, hielt inne und blickte von ihrem Taschenspiegel hoch. „Oh, das tut mir leid“, sagte sie und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, der Megs bereits angespanntem Nervenkostüm den Rest gab.
„Entschuldigen Sie mich“, murmelte Meg. Sie schnappte sich ihre Tasche und schlüpfte schnell zur Tür hinaus. Ihre Bibel blieb auf dem Tisch liegen.
Mara war nicht sicher, ob Meg nur kurz auf die Toilette gegangen war oder ob sie die Absicht hatte, nach Hause zu fahren. Armes Ding. Meg wirkte nach außen genauso ängstlich, wie Mara sich innerlich fühlte. Sie entschied sich dagegen, Meg die Bibel hinterherzutragen, denn es war ja nur gut, wenn Meg einen Grund hatte, noch einmal zurückzukommen. Um ihretwillen.
Nein, falsch. Um Maras willen. Denn falls Meg nicht zurückkam, würde Mara ganz allein an dem Tisch in der hinteren Ecke sitzen, und es gab nichts Einsameres, als allein in einem Raum voller Menschen zu sein. Das wusste sie aus Erfahrung.
Sie brach ein Stück von ihrem Rosinenbrötchen ab und kaute langsam, während sie die anderen Gruppenteilnehmer musterte. Das waren also ihre Mitreisenden. Die meisten der rund 30 zukünftigen Pilger waren Frauen. Ein paar Männer in den Zwanzigern standen vorn und plauderten angeregt miteinander. Einige Ehepaare saßen nebeneinander, klar erkennbar an ihrer zugewandten Körpersprache. Mara fragte sich, ob die Männer wohl freiwillig mitgekommen waren. Und ob die Frauen wussten, wie glücklich sie sich schätzen konnten. Oder sahen sie das als Selbstverständlichkeit?
Mara versuchte, das Gefühl der Eifersucht zu unterdrücken, das in ihr aufstieg, aber es gelang ihr nicht. Jahrelang hatte sie sich gewünscht, Tom würde auch nur einen Hauch von Interesse für geistliche Dinge zeigen. Aber je mehr sie sich darum bemühte, desto größer schien seine Ablehnung zu werden. Und so war sie allein auf dem Weg mit Gott. Immer allein.
Oh, jetzt kehrte Meg an den Tisch zurück. Sie wirkte verlegen. Mara war nicht sicher, ob sie zurückgekommen war, um ihre Bibel zu holen, oder um sich wieder hinzusetzen. Meg schien es auch nicht zu wissen. Eine Hand schwebte über der Bibel und die andere lag auf der Rücklehne des Stuhls.
„Willkommen, alle zusammen! Ich bin Katherine Rhodes“, sagte da ihre Kursleiterin.
Meg ließ sich auf ihren Stuhl sinken und drückte ihre Handtasche fest an sich.
„Ich sehe, dass einige Tische noch ein wenig unterbesetzt sind“, fuhr Katherine fort. „Vielleicht könnten einige von Ihnen sich noch an den Tisch in der hinteren Ecke setzen und ein paar andere an den Tisch hier vorn. Alle sollten mit vier bis fünf Personen besetzt sein. Und dann nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um sich vorzustellen und ein bisschen zu erklären, warum Sie hier sind.“
Mara beobachtete, wie zwei Frauen ihren Tisch ansteuerten. Eine war groß und grazil, elegant gekleidet mit einem edlen dunkellila Oberteil, schwarzen Jeans und goldenen Creolen. Sie sah aus, als wäre sie einer Modezeitschrift entstiegen – die Art von Zeitschriften, in denen die makellosen Models Mara mit ihren Tipps verspotteten, wie man seinen Mann mit sexy Unterwäsche beglückt oder mit zehn einfachen Übungen im Alltag schlank und fit bleibt. Mara bevorzugte Zeitschriften, die unvorteilhafte Fotos von Stars mit Cellulitis abbildeten.
Schon lange hatte sie jede Hoffnung aufgegeben, Tom mit irgendetwas zu beglücken oder fit zu werden. Immerhin, ihr Badezimmerschrank war vollgestopft mit faltenglättenden, collagensteigernden und antioxidativen Produkten. Sie war entschlossen, sich den einzigen körperlichen Vorzug zu erhalten, für den sie gelegentlich Komplimente erhielt: Mara hatte schöne Haut. Auch wenn sie wusste, dass das übergewichtigen Frauen gern gesagt wurde, wenn man nichts anderes Positives fand, war Maras Haut tatsächlich frisch und weich und lud zu Spekulationen darüber ein, was ihre Pflegegeheimnisse waren.
Während sie den blitzenden Diamantring und die erstklassig manikürten Fingernägel des „Covergirls“ bewunderte, schämte sich Mara plötzlich für ihre abgekauten Fingernägel. Sie ballte ihre linke Hand zur Faust, um die verräterischen Finger zu verstecken, und versuchte, nicht an die Mädchen zu denken, die ihr das Leben schwer gemacht hatten. Diese reichen, eingebildeten, voreingenommenen–
Hör auf!, befahl sie sich. Du kennst diese Frau doch gar nicht. Sie hat noch kein einziges Wort von sich gegeben, und schon verurteilst du sie.
Warum, warum, warum? Warum wurden nach all diesen Jahren immer noch dieselben Knöpfe bei ihr gedrückt? Sie wünschte, das neunjährige Mädchen, das immer noch in ihrem klimakterischen Körper steckte, würde endlich erwachsen werden.
Mara wandte den Blick von der Schönheit mit der olivfarbenen Haut ab und konzentrierte sich auf die andere Frau. Sie war etwa so groß wie sie selbst und hatte einen unauffälligen Körperbau ohne sichtbare Kurven. Nichts an ihrer Person fiel ins Auge: farblose Kleidung, kein Make-up und außer einer Halskette mit einem Kreuz kein Schmuck. Es erforderte ein gewisses Maß an Mut, ein nicht mehr ganz junges und recht