Second Horizon. E.F. v. Hainwald

Second Horizon - E.F. v. Hainwald


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einem Kind die offensichtlichste Sache der Welt erklären.

      Wolfs Augenbrauen zuckten nur, er rührte sich keinen Millimeter. Die Frau stopfte die Waffe in eine Kitteltasche und schlenderte zu dem Gerät an der Wand. Dort angekommen hob sie ihre rechte Hand, ballte sie zur Faust und rammte sie kurzerhand in die durch die Schüsse gesprungene Kunststoffhülle. Sie stopfte ihn bis zur Schulter hinein und plauderte nebenher munter weiter.

      »Hast Glück, dass ich hier gelandet bin. Um diese Uhrzeit ist ja keine Menschenseele hier. Buchstäblich – bist ja auch keiner.«

      Wolf zuckte leicht zusammen. Der letzte Kommentar traf ihn. Er war nicht freiwillig in dieser Form gefangen und kämpfte jeden Tag gegen die Instinkte an, welche ihn überwältigen wollten. Der Inhalt des Automaten, den er so unbedingt haben wollte, war ein Teil dieser inneren Schlacht – wenn auch ein heiß geliebter.

      »Besonders gesprächig bist du nicht, hm?«, meinte sie, kniff ein Auge zusammen und schien an irgendetwas in dem Automaten herumzufummeln. »Ich bin einfach viel zu nett. Du hast mir nach meinem unrühmlichen Absturz nicht mal aufgeholfen. Bist 'n Soziopath? Dachte immer, Hunde sind der beste Freund des Menschen.«

      Wolf ballte seine Hände so stark zu Fäusten, dass seine Unterarme zitterten. Er schluckte die bissige Erwiderung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, denn so oder so war diese seltsame Frau bewaffnet. Außerdem konnte sie problemlos mit dem bloßen Arm in einer cybermagischen Konstruktion herumstochern, ohne durch dessen Rückkopplung gegrillt zu werden.

      Ein Wolf. Kein Hund, dachte er, um sich wenigstens vor sich selbst zu rechtfertigen.

      Auf einmal schoss die Erkenntnis durch sein Hirn und er warf einen hastigen Blick aus dem Augenwinkel zu den herabgefallenen Stahlträgern. Die Person darauf war verschwunden.

      »Bingo!«, rief die Frau und sein Kopf ruckte alarmiert zurück in ihre Richtung.

      »Also, was wolltest du aus dem Ding herauspressen, bevor es alle deine Creds gefressen hat?«, fragte sie ihn, verschwörerisch zwinkernd.

      Er schaute sie stumm an und fragte sich, ob sie einfach nur völlig durchgeknallt war oder das tatsächlich ernst meinte. Wolf musterte ihr Gesicht, doch in den großen, violett-blauen Augen sah er nur reine Neugier.

      Also murmelte er leise, was er haben wollte.

      »Was?«, rief sie. »Ich versteh kein Wort, du musst schon lauter reden und weniger herumknurren.«

      Wolf mahlte mit den Zähnen, schnaubte dann und wiederholte lauter und sorgfältiger formuliert: »Zartbitterschokolade mit Sauerkirschen.«

      Die Frau blinzelte schweigend.

      Einmal.

      Zweimal.

      Schließlich zog sie ganz langsam eine Augenbraue nach oben.

      Wolf stand einfach nur da, sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Er glotzte sie an und versuchte den zutiefst peinlichen Moment zu ertragen. In würdevoller, kraftvoller Haltung war er darum bemüht seine Ehre zu bewahren, obwohl es eigentlich nur eines leisen Kicherns ihrerseits bedurfte, um seinen Stolz buchstäblich zu zermalmen.

      »Tja …«, erwiderte sie dann ernst. »Bin ja mehr der Vollmilchtyp.«

      Daraufhin ertönten ein lautes Klacken und zwei dumpfe Töne. Sie zog ihren Arm aus dem Automaten, griff in die Ausgabe und hielt triumphierend lächelnd zwei längliche Päckchen nach oben. Lässig warf sie ihm eines der beiden zu. Während das kleine Paket durch die Luft flog, begriff er, dass sie ihm tatsächlich die Schokolade besorgt hatte. Mit einem hastigen Griff pflückte er die Süßigkeit aus der Luft, drehte sie zwischen den Klauen vor seinem Gesicht umher und ließ den süßen Duft seine Sinne kitzeln.

      Die Frau riss ihrerseits die Packung auf und steckte sich ein Stück in den Mund. Kauend lehnte sie sich mit der Schulter an den arg in Mitleidenschaft gezogenen Automaten und musterte Wolf.

      »Gern geschehen«, schmatzte sie. »Wie ist dein Name?«

      Er riss seine Augen von der Schokolade los und überlegte. Schließlich entschied er, dass sie für diese Geste zumindest ein Minimum an Freundlichkeit verdient hatte.

      »Wolf«, antwortete er.

      »Alles klar, kein Hund. Und weiter?«, hakte sie nach.

      »Nichts weiter«, murrte er und verlagerte unsicher sein Gewicht auf den Füßen.

      »Wie ist dein Name?«, wiederholte sie verwirrt.

      »Wolf«, erwiderte er erneut. »So nenne ich mich. Wie heißt du?«

      Ihre dunklen Augenbrauen hoben sich. Sie legte den Kopf schräg und schien zu überlegen. Ihre Lippen öffneten sich für eine Erwiderung, doch sie vernahmen plötzlich Stimmen. Wolf schaute an ihr vorbei und nickte in die entsprechende Richtung. Sie drehte sich um und Wolfs Augen weiteten sich überrascht.

      Ihr Rücken war blutüberströmt. Der zerrissene Stoff bildete mit dem zerfetzten Fleisch eine krustige Einheit. Die Wirbelsäule war teilweise freigelegt. Sie bestand aus Stahl und die typischen, cybermagischen Runen, welche Technik problemlos in biologische Körper integrierten, leuchteten in fahlem Blau. Die Wunde schien jedoch nicht neu, das Blut war längst geronnen. Wolf hatte seit dem Einsturz Blut gerochen, doch es dann als logische Nebensächlichkeit abgetan. Daher hatte er nicht bemerkt, dass sie die direkte Quelle dessen gewesen war.

      »... ach, komm scho‘. Das kann‘nisch dein Ernst sein!«, nuschelte einer der Passanten, welche gerade einen kreuzenden Korridor entlang torkelten – vermutlich betrunken oder auf Drogen. »Komm schon, Babe. Ich hab‘s nicht so gemeint!«

      Die Angesprochene stampfte wütend weiter und würdigte ihn keines Blickes. Die dunklen Silhouetten verschwanden und waren schnell außer Hörweite. Wolfs unerwartete Schokoladenbeschafferin wandte sich ihm erneut zu. Sie lächelte spitzbübisch, legte die schmalen Fingerspitzen auf ihre Brust und sprach:

      »Nenn mich einfach Babe.«

      Der gelangweilte Tritt ließ die verbogene Metallstange klirrend über den Beton rutschen. Sie blieb vor den Füßen eines untersetzten Typen liegen. Seine freiliegende Wadenmuskulatur aus billigem Kunststoff zuckte und die dilettantisch eingravierten Runen seiner stählernen Beinknochen glühten kurz auf – mehr ein klägliches Niesen, als ein Ausdruck der magischen Kraft, welche nötig war, damit sich der Kerl auf den Beinen halten konnte. Er verschränkte die Arme vor seinem metallbeschlagenen Oberkörper und grunzte missbilligend.

      Babe senkte, ohne anzuhalten, nur ein wenig das Kinn, um ihm über den dünnen, silbervioletten Rahmen ihrer schmalen, tiefblau getönten Sonnenbrille ein neckisches Zwinkern zu senden. Ein Lächeln hatte er nicht verdient. Eine Entschuldigung sowieso nicht. Sie hatte ihn schließlich nicht anvisiert. Wäre dem so gewesen, hätte ihm die Stange die Zähne zertrümmert – nicht, dass es bei seiner Visage irgendetwas zum Negativen verändern würde.

      Sie schlenderte gemächlich weiter. Ihre bequemen, quietschbunten Schuhe verursachten mit ihren breiten Sohlen keinen Laut. Der schwarze Synthstoff der weitgeschnittenen Hose raschelte jedoch lautstark und der ganze Kram, welcher ihre Beintaschen füllte, schepperte rhythmisch. Die hinten in den breiten Gürtel gesteckten Pistolen konnte der Typ nicht sehen.

      Vermutlich hatte er sowieso mehr Augen für den breiten Ausschnitt ihres knallpinken Shirts, auf dem in neongelber Schrift On your knees – I‘ll make you famous stand.

      Oder auch nicht.

      Er entblößte zwar ihre fein geschwungenen Schlüsselbeine und die rechte Schulter, aber ihre naturbelassene, dezente Oberweite war den meisten Kerlen … na ja … zu naturbelassen und dezent. Babes Körper war klein und zierlich. Voluminöse Brüste wären nur hinderlich und hatten ihrer Meinung nach höchstens Sinn als Kaschierung von cybermagisch implementierten Waffenarsenalen – von dem kurzzeitigen Ablenkungsfaktor


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