Second Horizon. E.F. v. Hainwald
zu der Gruppe geworfen. Doch als der Schläger zu ihr ging und sich mit der Hüfte neben sie an den Tisch lehnte, warf sie ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu.
»Na, wie sieht's aus. Wie wär's mit einem Drink bei uns? Wir können das mit dem Spiel auch direkt überspringen«, grinste er.
»Erstens«, Babe hob ihren Zeigefinger, »würde ich dich im Billard fertigmachen. Zweitens«, sie hob dazu ihren Mittelfinger, »würde ich dich unter den Tisch saufen. Drittens«, es folgte der Ringfinger, »kannst du nicht mit Wolf mithalten.«
»Ha!«, lachte der Kerl auf und schlug sich mit der Faust gegen seine breite Brust. »Ich werde in allen Punkten gewinnen.«
Er packte Babe an der Hüfte und zerrte sie an sich. Im selben Moment zog sie blitzschnell ihre Pistole und presste ihm deren Lauf unter das Kinn.
»Loslassen.« Ein Wort wie ein Peitschenhieb.
»Wieso sollte ich?«, entgegnete er und leckte sich über die Lippen. »Die Wilden sind mir die Liebsten. Hab dich wohl richtig eingeschätzt.«
»Auch das noch. Ein Maso«, seufzte Babe und rollte mit ihren Augen.
Die Runen in ihren Knochen flammten auf. Innerhalb eines Wimpernschlages hatte sie mit der anderen Hand sein Kinn gepackt und mit purer Gewalt das Gesicht auf den Tisch geschlagen. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt sie zu Wolf und hakte sich an seinen Arm unter. Er brummte genervt und wusste schon, was nun kommen würde. Sie kuschelte ihre Wange an seinen Arm, ließ einen Finger durch sein Fell kreisen und spielte mit der Waffe in ihrer Hand.
»Viertens: Wir würden euch alle den Engeln zum Fraß vorwerfen«, flüsterte sie sehr sanft.
Der Typ schüttelte die Benommenheit aus seinem Schädel und verzog wütend das Gesicht. Wolf griff zum Schwertgriff und zog den Säbel aus der Scheide. Die Transformatorkanäle auf der Klinge pulsierten weiß und die Luft um das Metall begann zu flimmern. Er fletschte die Zähne. Babe aktivierte nochmals ihre Runen, sodass ihre Haut punktuell blau leuchtete. Der Lichtschein tauchte die beiden in ein seltsames Zwielicht.
»Also wir gehen lieber was trinken«, meinte einer der anderen und hob beschwichtigend die Hände.
Nacheinander suchte die Gang das Weite, bis nur noch der Anführer übrig geblieben war. Er starrte die beiden an und wog seine Gewinnchancen ab. Als Babe schließlich erneut ihre Uzi auf ihn richtete, schien er sich entschieden zu haben – er schnaubte und verdrückte sich.
»Seine magische Energie war verdammt übel«, flüsterte Babe und Wolfs linkes Ohr zuckte.
»Die hätten uns fertiggemacht«, zischte Wolf.
»Weiß ja niemand, dass wir keine Superhelden sind«, kicherte sie und schmiegte erneut ihr Gesicht in sein Fell.
»Und dass wir kein verdammtes Pärchen sind«, knurrte er und schüttelte sich, damit sie ihn endlich wieder losließ.
»Spielverderber. Selbst schuld, wenn du so kuschelig bist«, grinste sie schulterzuckend.
Mit einem Rufen wurde Bescheid gegeben, dass ihre Getränke an der Bar abholbereit waren. Babe schlenderte hinüber, während Wolf seine Waffe wieder verstaute. Babe zog jedes Mal diese Die-Schöne-und-das-Viech-Pärchen-Masche ab, um etwaige Gefahrensituationen abzufangen. Seltsamerweise klappte das meist recht gut – vielleicht auch nur, weil es die Leute irritierte und von einer Einschätzung ihrer Kampffertigkeiten ablenkte. Wolf nervte dieser Gedanke. Zum einen, weil er dieses aufgesetzte Geturtel hasste, und zum anderen, weil er über ihren Köpfen beinahe Gedankenbläschen sehen konnte, in denen sie sich Mensch-Bestien-Sexpraktiken ausmalten.
»Engel im Himmel – du bist schrecklich prüde«, riss ihn Babe aus den Gedanken und drückte ihm sein Glas in die Hand. »Deinen drolligen Gesichtsausdruck kann ich sogar durch das Fell lesen.«
»Hat doch damit nichts zu tun«, murrte er und nahm einen Schluck – das Getränk brannte sich seine Kehle hinunter. »Menschen nerven.«
»Jo!«, antwortete sie und schnippte ihm gegen die Brust.
Wolf ging zum Tisch und machte den Anstoß. Er lochte ein paar Kugeln ein. Als Babe nach einem Fehlschlag ihre eigene anvisierte, entschied er sich, wie so oft, für Direktheit:
»Also, was heckst du wieder für eine Scheiße aus?«
Babe hob fragend ihre Augenbrauen, ohne die Position zu verändern.
»Komm schon. Schon das fünfte Spiel und die obligatorischen Gehirnverbrannten haben uns auch schon angepöbelt. Zeit für Klartext«, setzt er nach und umfasste seinen Queue mit beiden Pranken.
Sie machte ihren Zug und lochte direkt drei Kugeln ein. Wolfs rechtes Auge zuckte verärgert.
»Sag mal – wie gefällt dir dein Leben so?«, fragte Babe, während sie sich aufrichtete. Ihr Blick blieb gesenkt.
»Der ganze Ärger für ein bisschen Philosophie?«, schmunzelte Wolf, sein Schwanz peitschte ungeduldig herum. »Was soll diese Frage? Wir Indies leben unser Leben, wie wir wollen. Wir versuchen uns bestmöglich zu erkennen und wir selbst zu sein. Ich bin frei.«
»Frei«, wiederholte Babe und schaute ihn nun direkt an – ihr Blick war seltsam. »Du suchst etwas.«
»Das tun doch alle.« Er breitete grinsend seine Arme aus.
»In der Tat«, sich nickte bestätigend. »Was ist es bei dir? Deine Menschlichkeit? Eine Befreiung vom Wolf in dir?«
»Vielleicht ist der Weg das Ziel«, wich er aus, sein Schweif hing nun schlaff an ihm hinab.
Die beiden sprachen selten über ihre tieferen Beweggründe. Babe erzählte nichts aus ihrer Vergangenheit. Wolf schwieg ebenfalls darüber. Das waren ihre eigenen Angelegenheiten. So etwas zu teilen sorgte für eine Verkettung ihrer Leben, für ungewollte Verbundenheit, für Einschränkungen.
Es konnte verschiedene Gründe haben, warum Wolf war, was er war. Genetischer Fehlschlag? Magisches Experiment? War er ein vermenschlichtes Tier oder ein tierischer Mensch? Hat er seinen Körper so gewählt und die Kontrolle verloren, oder ist er dazu gezwungen worden? Er sprach nie darüber – und Babe nicht, warum sie plötzlich vom Himmel gefallen war.
»Du versucht deine Menschlichkeit zu fördern und den Wolf zu unterdrücken«, stellte sie fest, ließ ihren Blick kurz über seine Umrisse fahren und widmete sich wieder dem Spiel. »Das geht mehr schlecht als recht, du hast deine Grenzen erreicht. Man weiß nie, was die Jahre bringen – ob du dich verlieren und irgendwann mit sabbernden Lefzen jemanden auf offener Straße verspeisen wirst.«
Wolf verspannte sich bei diesen Worten. Direktheit war seine Art, normalerweise umschiffte Babe heikle Themen.
Sie hat etwas vor, erkannte er. Etwas Gefährliches. Sie will mich unbedingt überzeugen.
»Ideal wäre Hochwissen in Magie und Wissenschaft. Viel zu teuer, unerreichbar«, schloss sie, machte ihren Spielzug und – schoss daneben. »Deine Chance! Verballer‘s nicht!«
Wolf legte seinen Oberkörper beinahe auf die Platte und stützte sich mit den Ellbogen ab. Er visierte die Kugel an. Im letzten Moment verzog er den Stab und schnitt sie unten an. Sie hob ab und schoss direkt auf Babe zu. Sie schnappte sie gerade noch mit einer Hand vor ihrem Gesicht. In diesem Moment stieß sich Wolf vom Boden ab, verlagerte sein Gewicht auf seine Pranken und schoss über den Billardtisch auf sie zu. Er schloss seine Finger fest um ihr Handgelenk, hockte auf der Tischkante und zog sie rabiat zu sich. Babe blinzelte überrascht, als sie ihm direkt aus nächster Nähe in die Augen schaute.
»Die Kugel hat mein Sichtfeld eingeengt und meinen Fokus verschoben. Du hast verdammt gut gezielt. Warum nicht beim Spiel?«, hauchte sie.
Seine Augen verengten sich, die grünblauen Iriden weiteten sich. Sie fühlte die Hitze seines Atems auf ihren Wangen. Seine Ohren stellten sich auf und sein Kiefer mahlte. Die von ihm selbst gewählte, sonst so ungeliebte, Nähe irritierte sie.
»Was hast du vor?«, knurrte er leise.
»Ich