Second Horizon. E.F. v. Hainwald
zwischen Natur und Mensch verehrt worden. Dann waren sie als Bestien verschrien gewesen. Eine Weile hatte man auch gemeinsam gelebt. Irgendwann waren sie zu Märchengestalten geworden. Sie waren gut darin, sich anzupassen. Das war ihre Grundessenz. Vielleicht lagen ihnen deswegen die biomagischen Energien so sehr im Blut, dass sie Facetten von Tieren annehmen konnten.
Doch Menschen wollten schon immer die Magie bändigen. Werwesen waren gewiss keine Schoßtierchen. Daher hatte man Reservate für sie eingerichtet. Damit lenkte man erneut den Input für den Schwarm in sichere Bahnen und die Werwesen hatten ihre Ruhe. So war zumindest der Plan gewesen.
»Es geht dich nichts an, warum ich selbst hier bin«, brummte der Besucher. »Dein Auftrag ist es, meiner Sippe Informationen über das Reservat aus dem Technokratiezentrum von Technolyse zu beschaffen.«
Babe pfiff laut aus. Sie hatte zwar gewusst, worum es ging, aber Technolyse war eine der größten Kombinatsfirmen der Welt. Sie hielt ebenso Anteile am Raumfahrtprogramm, wie sie auch Terraformingprozesse erforschte und nutzbar machte. Ihr Netzwerk war gigantisch – und verdammt gut gesichert.
»Du bist allein«, stellte Wania trocken fest, woraufhin Babe ein wenig den Kopf einzog.
»Es sollte jemanden geben, der bei der Informationseingrenzung helfen kann«, knurrte der Wolfsmann. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie riesig die Datenmenge ist? Es ist keine Zeit für …«
»Jetzt entspannt euch mal«, seufzte Babe und hob beide Hände. »Er ist doch hier. Also kommt wieder runter.«
Wania stampfte erneut mit der Stahlsohle auf und schnaubte. Sie glaubte ihr nicht. Babe grinste jedoch breit, denn sie war sich sicher, auch wenn sie keinen Beweis dafür vorlegen konnte.
Und sie hatte recht.
Wolf hockte mehrere Gangwindungen weiter und schmunzelte ertappt, als er Babes Worte vernahm. Seine Augen waren geschlossen und seine Ohren hoch aufgestellt. Er regte keinen Muskel und hörte aufmerksam hin. An dieser Stelle war der Schall aus dem Besprechungsraum am besten wahrzunehmen – er verstand mit seinem ausgeprägten Gehörsinn jedes Wort.
Sie kennt mich einfach zu gut, dachte er. Babe wusste, dass ich neugierig werde und es mir nicht verkneifen kann, ihr nachzuschleichen, wenn sie mir die Koordinaten zusendet.
Er konnte das Werwesen gut riechen. Der Mann hatte Genkombinationen ähnlich denen eines Wolfes in sich und seine Pheromone hafteten an jeder Ecke. Er war mehrfach hier gewesen, vermutlich zu Besprechungen des Plans. Der würzige Duft weckte unangenehme Erinnerungen in Wolf. Auch wenn er sein zuhause freiwillig verlassen hatte, war da eine Wunde zurückgeblieben. Obwohl er, außer wölfischen Zügen, nichts mit dem anderen gemein hatte, war er ein Zerrbild seines eigenen Seins.
Babe hatte es geahnt. Wolf hatte den Köder geschluckt und erkannte nun die Fessel, welche ihn noch immer knebelte.
»Wie soll das möglich sein?«, fragte der Wermann barsch. »Ich rieche hier keine Magie, außer eure Runen. Dieser Ort wurde gewählt, weil es hier nichts dergleichen gibt und man uns somit nicht unbemerkt magisch ausspionieren kann. Wer soll sich hier vor mir verstecken können?«
»Hmmmm, er hat große, hübsche Äuglein«, begann Babe mit zuckersüßer Stimme und formte mit den Zeigefingern zwei Ringe um die Augen. »Dazu kräftige Patschehändchen«, fuhr sie fort und hielt sich ihre Hände mit wackelnden Fingern vor das Gesicht. »Und sooo große Flauscheöhrchen«, schloss sie mit den Händen am Hinterkopf.
»Was soll das heißen?«, zischte der Kerl ungehalten.
»Oh, ich hab das Wichtigste vergessen!« Sie kicherte, drehte sich um und deutete mit ihren Daumen auf ihr Hinterteil. »Den verräterischen Schwanz.«
Wolf versuchte sein raues Lachen zu unterdrücken. Er konnte ihre Worte zwar nur hören, doch vor seinem geistigen Auge sah er sie in ihrer typischen Manier gestikulieren.
Die Augen des Mannes weiteten sich überrascht. Nun reckte er sein Kinn und schnüffelte aufgeregt umher. Er schlug sich die Handflächen gegen die Ohren, um Geräusche auszusperren, und lief vornübergebeugt im Kreis. Schließlich presste er lautstark die Luft zwischen seinen Zähnen hervor.
»Da ist ein Wolf«, flüsterte er.
Er hat mich gerochen, erkannte Wolf alarmiert. Ich habe verdammt gut aufgepasst, als ich diesen Raum umrundet habe. Außerdem sollte er als Werwesen nicht so feine Sinne wie ein echter Wolf haben. Verdammt.
»Ohne Sippe«, zischt er verächtlich. »Sein Geruch ist … anders. Wir werden keinem ehrlosen Streuner vertrauen.«
Wania wollte eben einschreiten, da kam ihr Babe zuvor.
»Du redest von Ehre? Das ist ja herzallerliebst«, sie lachte verächtlich. »Du willst uns einspannen, um eure Arbeit zu machen, weil ihr keine Ahnung habt, wie ihr das selbst bewerkstelligen könnt. Ihr seid nichts weiter als hilflose Bittsteller aus einem realitätsfernen Schutzgehege.«
»Sie hat recht. Ihr könnt nicht auf unsere Hilfe verzichten«, stimmte Wania zu und ihre faltigen Lippen formten ein schmales Lächeln. »Und wir können auf die Hilfe von diesem … Wolf … wen auch immer, wohl auch nicht verzichten. Wir benötigen jemanden, der die Informationen schnell filtern kann.«
»Nicht zwingend. Das Wichtigste ist: Ihr braucht jemanden, der nicht so einfach aufgespürt werden kann«, ergänzte Babe süffisant.
»Jeder ist irgendwie auffindbar«, wandte der Wermann ein. »Eure Bande nur schwer. Deswegen haben wir euch gewählt.«
Wania bleckte ihre schiefen Zähne.
»Babe kann man nur finden, wenn sie es will. Und wenn ich von diesem ominösen Helfer noch nichts weiß, dann gehört er wohl zum gleichen Schlag«, erklärte sie.
Der Mann schaute zwischen Wania und Babe hin und her. Er überlegte, wägte seine Möglichkeiten ab. Letztendlich hatte er jedoch keine andere Wahl, da diese Informationen wirklich wichtig für ihn waren.
»Also gut«, willigte er zerknirscht ein. »Er soll sich zeigen. Verhandeln wir.«
»Vergiss es«, knurrte Wolf leise.
Mir doch egal, fügte er gedanklich hinzu. Kümmert euch um euren engelverdammten Info-Scheiß alleine.
Er erhob sich und eilte durch den finsteren Gang davon.
Die Bewegungen wirkten mechanisch im zuckenden Licht der modifizierten Kenaz. Die leuchtenden Fleischklumpen schwirrten chaotisch zwischen den tanzenden Leibern umher, flackerten in verschiedenen Farben und ließen die Schatten an den Wänden auf gespenstische Weise umherwandern.
Manchmal erhaschte man einen Blick auf die entrückten Gesichter der Gäste. Manche von ihnen hatten die Lider geschlossen und schienen in ihrer ganz eigenen Welt zu sein, andere glotzen mit weit aufgerissenen Augen umher, die Iris glasig vom Rausch aufputschender Runen-Flüche. Am beliebtesten war derzeit Pink-Nightmare. Die Zeichen auf ihren Schläfen glühten feurig, verbrannten die Glückshormone wie ein Hochofen und tauchten die Welt des Verfluchten in einen feuchten Traum voller Monster – das Grauen und dessen ständige Überwindung als Dauerreiz.
Durchhalten war angesagt. Die ganze Nacht, den ganzen Tag tanzen, lachen und feiern – den Rhythmus niemals verlieren, die Magie in den Venen pulsieren lassen, heute ein Held sein.
Dieser Art von Party teleportierte sich ständig chaotisch von Ort zu Ort. Derzeit waren es drei Stockwerke eines Wohnblocks. Die Türen standen alle offen. Die Musik vermischte sich im Treppenhaus miteinander, Beats überlagerten sich und erzeugten ein Wummern, welches die Lunge erzittern ließ. In den Fluren drängte man sich nah zum Gespräch aneinander. Magie- und Drogendealer fand man meistens auf den Toiletten – da konnte der Konsument auch direkt in die Schüssel kotzen, wenn er den ersten Schuss der Energie nicht so gut verkraftete.
Damit die Ordnungshüter des Schwarms die Füße still hielten – schließlich betrieb das Raubbau am menschlichen Organismus – schirmte man solche Veranstaltungen gut