Second Horizon. E.F. v. Hainwald
sofort weiter – seine Intuition hatte ihn nicht getäuscht, sie war in der Defensive.
»Ein ziemlich gut bezahltes Abenteuer«, erwiderte sie, schließlich lächelte sie. »Also gefährlich und ich weiß, du würdest es auch ohne Moneten machen.«
»Hey! Runter vom Tisch!«, brüllte die Kellner-Illusion, woraufhin Wolf Babe losließ, vom Tisch sprang und sich sein Getränk schnappte.
»Warum dann diese Geheimniskrämerei?«, fragte er und kippte es komplett in seinen Rachen.
»Och …«, sie legte die Hände hinter ihren Rücken, beugte sich wie ein kleines Mädchen spielerisch nach vorne und schürzte die Lippen.
Wolfs Nackenhaare stellten sich auf und sein Schwanz erstarrte. Fluchtinstinkte regten sich.
»Der Auftraggeber gehört zu einem Wolfsrudel«, sprach sie weiter und klimperte unschuldig mit ihren Augen.
»Bin weg«, schnappte Wolf, drehte sich auf dem Absatz um und lief Richtung Tür. »Du bezahlst die Drinks.«
Babe eilte ihm hinterher, griff nach seinem Hosenbund und hielt ihn fest. Wolf schlug noch im Gehen mit der Pranke nach hinten und damit ihren Arm beiseite. Sie stopfte ihre Hände in die Hosentasche und schniefte abschätzig.
»Du hast dich sogar von deinem Namen gelöst. Was soll nun das Getue mit der Verwandtschaft?«, rief sie ihm abfällig hinterher.
»Hä?!« Wolf wirbelte herum und Wut blitzte in seinen Augen auf. »Verwandtschaft? Nur weil‘s Wölfe sind, heißt das nicht, dass sie zur Familie gehören. Bist du automatisch mit jemanden verwandt, sobald er schwarze Haare hat?«
Sie spitzte ihre Lippen und pfiff erstaunt.
»Entspann dich. Okay, war ein blöder Spruch von mir«, erwiderte sie einsichtig und trat näher an ihn heran. »Tut mir ehrlich leid.«
Babe legte eine Hand auf seine Wange und strich ihm über die Schnauze. Ihre Mundwinkel zuckten, sie presste ihre Lider zusammen und quietschte: »Engelverdammt, so flauschig!«
Wolf sprang zurück und knurrte sie wütend an. Sein Körper war gebeugt, sein Schweif peitschte erregt hin und her.
»Jetzt denk doch mal nach. Du bist meinetwegen nicht verwandt, verstehst aber durchaus seine Denkweise. Das wäre ein super Vorteil. Abgesehen von der guten Bezahlung, sind für dich auch noch Insiderinformationen drin – das Menschsein als Wolf, du verstehst?«, versuchte sie es nun ernsthaft.
»Ich weiß genug darüber«, presste er zwischen den Zähnen hervor, schwer bemüht um eine klare Aussprache. »Ich wurde schließlich nie verstoßen, sondern habe meine Freiheit selbst gewählt.«
Ich möchte das wirklich nicht gern tun, sinnierte Babe wehmütig. Aber es muss sein.
»Damit kommen wir zum spannenden Teil der Sache«, sprach sie ruhig weiter. »Was genau wir tun sollen.«
»Was tun, zum bleichen Engelsarsch noch mal?!«, blaffte Wolf ungehalten.
»Nun …«, flüsterte sie, wandte sich ab und ging zum Billardtisch. »Hör es dir einfach an. Schlaf mal eine Nacht drüber.«
Wolf wischte verärgert mit der Hand durch die Luft, als würde er einen Vorhang beiseiteschieben.
»Ich zahl die Drinks«, rief Babe und nahm sich einen Queue.
Er schnaubte, drehte sich um und stampfte aus der Bar. Babe legte den Stab an und zielte. Als Wolf die Tür ins Schloss krachte, machte sie ihren Spielzug. Alle restlichen Kugeln rollten mit einem Stoß in die Löcher.
Sie lächelte zufrieden.
Rissiger Beton. Abgestandene Luft, die nach Staub schmeckte. Zähe Dunkelheit. Nur die alten Stahlgleise glänzten im Schein der Kenaz-Rune.
Der kleine Lichtball schwebte über Babes Kopf, als wäre sie durch einen unsichtbaren Faden mit ihrem Schädel verbunden. Den fleischigen Kern, auf dem sich die magische Rune befand, konnte man in ihrem Leuchten nicht erkennen.
Der endlos wirkende Tunnel war ein angeschnittener, horizontaler Zylinder. Rohre zogen sich an seinem hohen Zenit entlang, wie die Venen an den Beinen einer alten Vettel. Das gleichmäßige Licht bewegte ihre Schatten kaum, sodass es wirkte, als würde Babe trotz ihres eiligen Schrittes überhaupt nicht vorankommen.
Eine Kenaz-Kugel war zwar nichts Besonderes und weit verbreitet – nur ein Zellklumpen, welcher durch die Rune schweben sowie leuchten konnte und dabei die Nähe von Gedanken suchte – dennoch tröstete er sie. Babe war froh über diesen kleinen, magischen Begleiter, denn dieser Ort hatte nichts Magisches an sich. Er fühlte sich gänzlich tot an.
Sämtliche Vorrichtungen waren mechanisch betrieben worden oder hatten Kabel, die nicht in der Lage waren, magische Energien zu leiten. Diese leblose, alte Technik war ein Überbleibsel einer vergangenen Zivilisation, welche kühle Logik über alles gestellt hatte. Eine Herrschaft der Zahlen. Doch wenn Gefühle, Natur und Seele nur noch mathematische Formeln sein sollten, was hatte das Leben dann für einen Wert? Selbstzerstörung war die logische Konsequenz. Nachfolgende Kulturen hatten sich diese Lektion gut gemerkt, denn der Niedergang war katastrophal gewesen – auch wenn manche der Bauwerke die Zeiten lange überdauert hatten. Heutzutage war die Symbiose von Biologie, Physik und magisch-alchimistischem Energiefluss die Grundlage des Fortschritts. Das Leben war schon immer voll von schöpferischem Chaos.
Nur das magische Licht und Babe gaben diesem Ort einen Hauch von echtem Leben. Dennoch umhüllte sie der starre Totenglanz der Vergangenheit wie ein feuchtes, fauliges Tuch. Das Atmen schien schwerer zu fallen und mit jedem Schritt regte sich wispernd der Gedanke, was es überhaupt für einen Sinn machte zu existieren.
In der zermürbenden Gleichförmigkeit tauchte endlich ihr Ziel auf: eine schmale Stahltür. Schnell eilte sie zu dem verheißungsvollen Fleck der Abwechslung und legte ihre Hand auf die rostige Klinke. Ihr Blick huschte über das schmucklose Schild auf dem Türblatt. Der geometrische Text war ihr unverständlich, sie vermutete jedoch, dass es so etwas wie Wartung oder Notausgang bedeuten könnte.
Beherzt drückte sie die Klinke hinunter und schob die Tür auf. Das Quietschen der Angeln zerschnitt die Schwere der Stille. Nie hatte Babe einen süßeren Klang vernommen. Sie trat hindurch und das biomagische Licht kuschelte sich beinahe in ihre Haare, da der Gang dahinter sehr niedrig war.
Über diesem unterirdischen Tunnelsystem befanden sich Tonnen von Stein und Erdreich, dazu eine Stadt, welche hoch in den Himmel ragte. Die Finsternis schien endlos und auf Babes Schultern zu drücken. Der Geruch von altem Metall kroch beißend in ihre Nase. Sie lief immer schneller, bis sie beinahe rannte. Ein Ring aus Stahl schien ihren Brustkorb eingeschnürt zu haben. Babes Atmung ging schnell und rasselnd. Ihre Wirbelsäule kribbelte und schmerzte zugleich.
Schließlich sprintete sie vorwärts. Die Lichtkugel konnte kaum folgen und fiel zurück. Ihr eigener Schatten wurde immer länger und wuchs vor ihr zu einem Monstrum heran.
Du gehörst nicht hierher, hämmerten ihre Gedanken. Dieser Ort ist nicht für deinesgleichen gemacht. Wir können uns nicht ausstrecken!
Ihr Sichtfeld verschwamm. Die Luft um ihre Schläfen begann zu flimmern. Erschrocken bremste sie ab, schlug die Hände vor ihr Gesicht und versuchte sich zu beruhigen.
Halt dich zurück, mahnte sie sich zähneknirschend. Ich kann gehen, wohin ich will, auch in die toten Gänge der Vergangenheit. Auch das bedeutet Freiheit.
Die Dunkelheit vor ihren zusammengepressten Lidern warf Wellen. Sie war anders als die da draußen, war lebendig. Der Raum zwischen Fingern und Gesicht war ihr eigener Schutzbunker. Langsam beruhigten sich ihre Gedanken. Das Kenaz stupste gegen ihren Hinterkopf und sonnte sich in ihren Gedankengängen.
Mit einem Ruck senkte sie ihre Hände, zog die Sonnenbrille aus einer ihrer Hosentaschen und setzte sie auf. Babe schlug ihre Augen auf und lief zügig weiter.
»Genug jetzt«, schimpfte sie sich selbst