Second Horizon. E.F. v. Hainwald

Second Horizon - E.F. v. Hainwald


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verbogene Luke öffnete, konnte sie das Keuchen hören. Babe stieß schwungvoll das Metall auf und zog sich mit den Armen nach oben.

      Der Geruch von frischem Schweiß und nassem Hund biss in ihre Nase. Er war zutiefst vertraut. Sofort fiel eine Spannung von ihr, die sie sonst nie bemerkte. Babe richtete sich auf, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute auf die mit farbigen Tüchern verzierte Wand.

      Wolf hing kopfüber. Seine Waden umschlangen dicke Stoffe, welche an der Decke angebracht waren. Immer wieder hob er den Oberkörper und ließ ihn dann wieder hängen, sodass sein Rücken gegen die Wand schlug. Er biss fest die Zähne zusammen und stöhnte bei jeder Bewegung angestrengt. Sein Fell war nassgeschwitzt und dampfte.

      Er war am Limit. Jeder andere würde nun aufhören. Nicht so Wolf. Zitternd kämpfte er sich immer wieder nach oben, die Augenlider fest zusammengepresst.

      Babe sagte nichts, sondern blieb einfach stehen und musterte ihn. Plötzlich hielt er ausgestreckt inne, sodass seine Finger beinahe den Fußboden berührten, und öffnete die Augen. Ein tiefes Knurren verzog sich fragend in eine höhere Tonlage.

      »Jo«, entgegnete Babe nur und legte den Kopf schräg.

      »Was willst du? Ich bin beschäftigt«, murrte er und verschränkte die Arme ebenso wie sie – ein verkehrtes, felliges Spiegelbild.

      Der Bergkristall, welcher sich an einem schwarzen Band um seinem Hals befand, baumelte ihm ketzerisch im Gesicht herum und verdarb damit das coole Gesamterscheinungsbild.

      »Du bist fertig mit dem Training, würde ich sagen. Du stinkst wie 'n Iltis, der Schweiß tropft von deiner Wauzi-Nase und ich höre dich quasi schon jetzt wegen des Muskelkaters rumjaulen«, erklärte sie und stupste sich an ihre eigene Nasenspitze.

      »Wauzi …«, brummte er missbilligend, richtete sich noch einmal auf und löste mit den Pranken überraschend flink den Knoten um seine Waden.

      Als sich die Stoffe lösten, hielt er sich noch kurz daran fest, um den Körper wieder in die korrekte Position zu bringen, und ließ sich dann auf seine Pfoten fallen. Kurz blieb er gebeugt stehen, hob seinen Blick und musterte sie mit einem wilden Blick aus seinen grün-blauen Augen. Dann schien er sich zu fassen, richtete sich auf, senkte die Fersen und stand lässig da.

      Die meisten Menschen assoziierten mit humanoiden Tierwesen muskelbepackte Superhelden. Ein Irrtum.

      Wolfs Schultern waren breit, der Körper jedoch schlank und sehnig. Vor allem Bauch und Rückenmuskulatur waren sehr stark ausgeprägt. Sein dunkles, kurzes Fell konnte diese Definitionen nicht vollkommen kaschieren.

      Er legte besonderes Augenmerk auf diese Partien. Genau genommen trainierte er sie wie ein lebensmüder Wahnsinniger, denn diese ermöglichten es ihm sich gerade zu halten – aufrecht wie ein Mensch. Wolf versuchte die Bestie in sich so gut wie möglich zu verbergen und unterdrückte auch in diesem Moment das Hecheln mit herausgestreckter Zunge, was sein vom Sport erhitzter Körper naturgemäß umzusetzen versuchte. Er schwitzte zwar wie ein Mensch, das Fell vermochte eine Kühlung durch Verdunstung jedoch nur wenig zu gewährleisten. Dennoch schaffte er es mit purer Willensstärke diesen Instinkt zu unterdrücken und nur mit offenem Mund zu atmen, sodass Babe seine spitzen Zähne sehen konnte.

      »Also, weswegen bist du hier?«, fragte Wolf mit tiefer Stimme und legte eine perfekte Aussprache an den Tag. Das Knurrige von eben war gänzlich verschwunden.

      »Darf ich denn nicht meinen Lieblingswolf besuchen?« Babe lächelte süßlich.

      Wolf hob seine Augenbrauen, stellte die kleinen, spitzen Ohren auf und ließ seinen Schweif amüsiert hinter sich hin und her schlagen – das konnte er nur selten kontrollieren und es machte ihn zu einem grauenhaften Lügner, wenn man ihn besser kannte.

      »Okay, fang an.« Wolf winkte mit einer Pranke in Babes Richtung und ging zu der schmalen Pritsche in der Ecke.

      »Anfangen? Was meinst du?«, säuselte Babe und setzte sich im Schneidersitz auf den kleinen, abgetretenen Teppich in der Raummitte.

      Wolf hielt inne, drehte sich zu ihr um und schnaubte verächtlich. Der messingfarbene Nasenring über seiner kurzen Wolfsschnauze glitzerte im Licht und die Gesichtszüge unter dem grau-schwarz gezeichneten Fell waren unschwer als genervt zu deuten.

      »Komm schon, Babe. Du hast mich Wolf genannt, nicht Hund, Wauzi, Bettvorleger oder Kuschelpelz, deine neuste Absonderlichkeit, genannt. Du hast was vor«, erläuterte er und stopfte seine Hände mürrisch in die Hosentaschen.

      Kuschelpelz war ihr in den Sinn gekommen, als sich die beiden in einem Lagerhaus zwischen Kisten auf engstem Raum vor ein paar übereifrigen Sicherheitsbeamten hatten verstecken müssen. Das längere Fell an Rücken und Armaußenseiten war zwar derb, das kurze der Innenseiten und seines Gesichtes jedoch so samtweich wie ein engelverdammtes Seidentuch! Babes inneres Mädchen war bei diesem wolkigen Flauschgefühl geradezu eskaliert.

      »Ich will nur etwas Zeit mit dem Wesen verbringen, das mich die Bedeutsamkeit der Nicht-Namen lehrte und mir damit ein ganz neues Maß an Freiheit ermöglichte«, erklärte Babe feierlich.

      »Is‘ klar«, erwiderte Wolf und zog kurz die Lefzen auf einer Seite hoch.

      Er wandte sich ab und schnappte sich seine Kleidung. Die breite Linie aus längeren Haaren, welche zwischen den Ohren begann und sich seine Wirbelsäule bis zum wadenlangen Schweif zog, verschwand unter einem navygrünen Shirt. Dessen Ärmel hatte Wolf kurzerhand abgerissen. Als er seinen wuchtigen Plattengürtel durch die Gürtelschlaufen seiner wadenlangen Hose zog und die Gurte der Beintasche festzurrte, versuchte er es erneut.

      »Also?«, fragte er.

      »Lass uns Billard spielen, wie in den alten Zeiten. Bisschen über die Vergangenheit plaudern«, schlug sie vor, während sie mit dem Finger imaginäre Kreise auf den Teppich zeichnete und begann eine Melodie zu summen.

      Wolf war mit den Pfoten in seine großen, schwarzen Stiefel gestiegen und die seitlichen Metallverschlüsse zogen sich mit einem Zischen automatisiert zu. Nachdem er schweigend seine Hände in fingerlose, unterarmlange Handschuhe gesteckt und die drei großen Metallschnallen festgezurrt hatte, trat er geradewegs zu Babe. Sie hörte auf zu summen, blickte auf und lächelte unschuldig. Wolf hockte sich vor sie und berührte fast mit seiner Nase die ihrige.

      »Was. Ist. Los.«, flüsterte er, bekräftigt von einem ungeduldigen Grollen.

      »Schon gut«, seufzte Babe und hob ihre Hände. »Ich erklär‘s dir beim Billard, okay?«

      »Meinetwegen«, stimmte er zu, erhob sich wieder und trat zu einem der Tücher an der Wand.

      Er läuft anders als früher, stellte Babe fest. Seine Haltung ist aufrecht, nicht mehr so, wie ich ihn vor Jahren am Schokoladenautomaten kennengelernt habe.

      »Ich weiß, dass ich dich beim Billard unmöglich schlagen kann. Wir spielen ohne Einsatz«, sprach er und starrte kurz frustriert die Wand an.

      »Sicher!« Babe klatschte erfreut in ihre Hände und sprang auf. »Ich spendiere die Tischmiete und geb‘ einen aus.«

      Wolf griff unter den Dekostoff, packte zu und zog einen langen, gekrümmten Breitsäbel in einer schlichten Synth-Schutzschiene hervor. Er klickte es an die taschenlose Seite seines Gürtels, trottete zum Ausgang und fuhr sich mit der Pranke über seine Stirn, sodass seine Ohren seitlich abstanden.

      »Warum habe ich nur das Gefühl, dass ich heute nicht nur beim Billard verlieren werde …«, raunte er leise vor sich hin.

      Babe hatte sich vornübergebeugt und ließ den Queue probehalber mehrmals zwischen ihren Fingerknöcheln entlanggleiten. Ein Auge war geschlossen, mit dem anderen blickte sie entlang des Stabes. Als sie den Kopf schräg legte, um noch besser sehen zu können, rutschten zwei lange Haarsträhnen über ihre Wange.

      Jetzt, dachte Wolf und hielt die Luft an.

      Das Ende des Stocks hämmerte gegen die Kugel. Kreidestaub wirbelte


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