Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke
und es ist der beste Tag um Alfredos Kontrolleuren nicht zu begegnen. Alfredo, der zwar wusste wie nah wir seinen Appetithappen oft waren, aber uns für alles Horizontale mit ihnen disqualifizierte. Brando hatte den besten Durchblick, was die Läden anging. Aber, in dieser Nacht gab es mehr Außergewöhnlichkeit, wie gedacht. Die Neonlicht Tempel beleuchteten unseren Weg und waren für alle da. Für alle die nachts das Vergnügen suchten, das der Tag so nicht anbot. Für alle, die sich halbwegs benehmen konnten. Die Animiermeile glich einer Freihandelszone, in der Seeräuber ständig plündernd einfallen, um dann wieder Segel zu setzen. Jeder Laden glich einem Dschungel voll mit menschlichen Lianen, Sirenen und Libellen. Ohne Türschwellenschönheiten anzutreffen, welche sich am Eingang der Lokalitäten präsentierten, strömten wir in die bunten Dschungelwelten. Schade, denn es gab bildschöne Geschöpfe unter ihnen. Wer den Laden verlassen oder betreten wollte ging zwangsläufig an einer dieser Auslagen vorbei. Wenn, in besten Zeiten, solche Modelle überhaupt mal frei waren. Heute waren sie das mit Sicherheit nicht.
Von Gott Amor gezeugte Engel für die Nacht. Nichts Genaueres weiß man, aber die Vermutung liegt nahe.
Für jeden Geschmack, jede Vorliebe, in unterschiedlichster Gestalt und Farbe, war gesorgt. Ein teuflisch inszeniertes Himmelreich käuflicher Liebe. Der Kapitän nannte diese fleischgewordene Versuchung respektvoll: Enterhaken. Er sagte auch: >an Land braucht der Seemann etwas scharfes, wie karibische Rum und eine höllisch heiße Frau. Je, schärfer desto besser! Diese "Enterhaken" sendeten aus makellosen Körpern, signalisierender Schminke, kräftigem Parfüm und knapper Kleidung direkt ins Lustzentrum eines Männergehirn. Ihr junges lächeln strahlte und lockte, weil überall auf der Welt für Schönheit bezahlt wird.
Im Angesicht des vom Zweckverband der Rotlichtinnung angebotenen Materials hatten Minderwertigkeits-komplexe der fremden Beutejäger keine Chance sich störend auszuwirken. Begierde nach Sex kann alles hypnotisieren. Mag sein, schöne Körper mit leeren Köpfen. Mag sein, eine Reihe hohler Puppenaugen. Aber genau unser Beuteschema heute Nacht und sie trafen voll unsere Instinkte, mit ihren unmissverständlichen Signalen. Von nah und fern wurde die weibliche Besatzung, vom mystischen Dr. Mabuse, für die Innung und große Teile der westlichen Welt, selektiert und angeheuert. Ich habe diesen Mann sehr selten lachen gesehen. Er besaß eine innere Dunkelheit, weshalb ihn viele Dr. Mabuse nannten, was ihm scheinbar ganz recht war. Am Türschild seiner Praxis, ohne Sprechzeiten, stand Dr. Laffert, oder ähnliches. Er machte immer ein nachdenkliches Gesicht das noch älter war als er. Vielleicht weil ihm nichts mehr fremd war und er alles Mögliche auf der Welt schon gesehen, oder getan hatte. Seine wildeste Zeit war wohl in den vierziger Jahren, wenn ich dem Salonlöwen glauben kann. Mit seiner Loyalität, seinen Fremdsprachenkenntnissen und seiner medizinischen Ausbildung war er der ideale Problemlöser für die Innung. Lange habe ich nicht verstanden wie der Doktor diese schönen Geschöpfe, aus den Hafenstädten dieser Welt an unsere Küste zaubern konnte. Es ist wohl so, dass ein grüner Dollar Daumen, ein vertrauliches Gespräch mit dem Vermittler (was durchaus die Familie sein kann) und rosarote Vorstellungen, diese weite Reise vernünftig erscheinen ließen. Das wichtigste Kriterium bei diesen Anwerber Reisen war sein "Kennerblick". Zu wissen, welches Mädchen sich für den Job, im kalten Europa, eignen wird, für ein paar schnelle Jahre.
Außerdem konnte er jeden, von nah und fern, unter den Tisch trinken, was ihn noch mehr als Großmeister erscheinen ließ. Sicher verfügte der Mann über ein Geheimelixier, wie es der Leinwand Schurke, Dr. Mabuse, für seine Verbrechen erfand. Ein zusätzliches Erkennungsmerkmal waren Jacken, wie sie der damalige Fernsehmoderator Peter Frankenfeld trug. Darin konnten wir Mabuse aus jeder Menge filtern.
Doch zurück ins Silvester von 1967: Die Läden platzten in dieser Nacht aus allen Nähten. Viel sichtbares Fleisch tanzt in den Live-Shows. Die verqualmte Luft ist von Raubtiergeruch, Parfüm, Sex und Musik geschwängert. Wir konnten anhand der Zusammenrottung von vergnügungssüchtigen, sittenlosen Gesellen (wenn wir überhaupt eingelassen wurden) feststellen, welche Nationalitäten die Stadt und seine Kneipen belagerten. Die Stimmung war sichtlich am Toben, dass Verlangen hatte bereits zueinander gefunden. Sodass drei Grünschnäbel kein Bein an den Boden bekamen. Außerdem war es voll, brechend voll. Heute wurde nicht nur heftig gefeiert, sondern auch viel Geld wechselte seine Besitzer. Für den einen war es ein teurer Spaß, für den anderen ein billiger. Die Meinungen darüber gingen weit auseinander. Attraktion des Abends war, weit sichtbar, der neu eröffnete "Happy ending Club". Brando meinte, dass Kater Carlo eigentlich einen Club, mit dem Namen "Fuck Inn", aufmachen wollte. Aber dafür bekam er von der Innung und der Stadt kein grünes Licht. So ein “Ending Club“ sei schon grenzwertig und Aussage genug. Kater Carlo, von dem erzählt wurde, er streichle seine Katzen mehr, als seine zu jungen Freundinnen.
Kater Carlo, der seine Bums-Läden auch gerne "die ewigen Jagdgründe" nannte.
Kater Carlo, ein Rummelplatz Artist, der eine Rummelplatz Atmosphäre ausstrahlte.
Kater Carlo, wenn er lächelte zeigte er tadellose Zähne, und er lächelte oft.
Doch bei seinen zweibeinigen Katzen zeigte er eine Angewohnheit die man ihm heutzutage als Schwäche auslegen könnte, damals sich nur als Art Markenzeichen des Katers darstellte und nicht sonderlich beachtet wurde. Er tat es gerne und häufig, wobei die Betroffenen keine Missbilligung zeigten. Nun war es nicht so dass die Mädels deshalb Schlange standen, sondern es ergab sich aus dem Moment heraus, aus Lust und Laune. Ich weiß, heute ist das verdächtig nah an Körperverletzung, mindestens diskriminierend. Doch vor Jahrzehnten kultivierte dieser Rotlichtboss so seine Begeisterung für einen der schönsten Körperteile seiner wichtigsten Aktivposten. Erst rieb er seine Handfläche am wohlgeformten Hintern des Mädchens, über dem Kleid oder Rock, in kreisender Bewegung warm, um spontan mit einem kurzen Klaps seine persönliche Wertschätzung abzuschließen. Seine Art einer Heiligsprechung, wie er es gerne nannte. Ich denke diese Symbiose funktionierte, weil alle was davon hatten. Der Kater machte es fachmännisch und genießerisch, die Mädchen registrierten es als Kompliment und uns Zuschauern gefiel es auch. Gento hat später dieses Kunststück erfolgreich übernommen und weiterentwickelt. Irgendwie hatte jeder der alten Bosse seine Vorlieben im zärtlichen Umgang mit dem weiblichen Personal. Alfredo agierte im klassischen Stil, mit Handkuss und feinen Manieren. Gerne streichelte er die Wangen der Mädchen und küsste danach ihre Stirn. Das war auch sehr beliebt auf beiden Seiten. Abgeklärte Geister, unter den Lesern, haben diese "Sugar Daddy Show" als das enttarnt als das was es war: Billige Tricks um die Sex Maschinen motivierter anschaffen zu lassen. Nur eine Effektivität - Steigerung - Maßnahme. Obwohl die Beteiligten es damals so nicht verstanden haben werden, dazu liefen die Läden zu gut. Siggi Salonlöwe erzählte mir das der Kater, seit einem Vorfall, öfter den Spruch brachte: >Tiere sind doch die besseren Menschen!> Das kam so: Bokassa hatte seinen protzigen Sportwagen in sengender Sonne abgestellt. Samt großem Hund auf dem kleinen Rücksitz und vor Carlos Büro. Was schon provokant genug war. Jener Bokassa, der als "Ramblin Gamblin Man" in der Szene einen zweifelhaften Ruf besaß und seine unmoralische Kundschaft, die mit Wünschen nach speziellen Kindfrauen, mit den wildesten Versprechungen anlockte. Aber “Küken Fleisch“ war tabu und verletzte die Regeln der Innung. Trotzdem soll es Mädchen gegeben haben die Bokassa bis zu fünfzigmal erfolgreich als kindliche Jungfrauen vermarktet haben soll. >Sie dürfen sich bei mir den Babyspeck weg ficken lassen<, war sein derber Kommentar. Er nutze folgende Variante: Die älteren, volljährigen Huren boten den Freiern an ihre sehr junge Schwester mit aufs Zimmer zu nehmen, damit sie zusehen und lernen könne. Eine günstige Gelegenheit, sozusagen, weil er so sympathisch und verständnisvoll wirke. Das geilt die angetrunkenen Kerle zusätzlich auf und der Preis schnellte in die Höhe. Manche haben für Kartenspiele gar nichts übrig, andere werden deshalb sterben. Poker war für den Streuner der Kick, ebenso wie Sex und schnelle Autos. Die Scheine welche seine Zugpferdchen er-vögelten flossen in verrauchten Hinterzimmern schnell wieder in andere Taschen. War ihm aber egal, es kam jeden Tag frisches Geld aus dem "Ponyhof", wie Bokassa sein Etablissement gerne nannte. Als das arme Tier im Auto sichtlich in der Hitze zu leiden begann, ließ der Kater Bokassa suchen. Ohne Erfolg. Der Mädchenhändler blieb wie vom Erdboden verschwunden. Also ließ der Kater die Scheibe einschlagen und das hechelnde Tier retten. So was konnte Carlo sehr, sehr böse machen. Als sich Bokassa dann später blicken ließ und sich zusätzlich noch über die Rettungsaktion beschwerte, fragte der Kater ihn neugierig nach seiner "Lebensberechtigungskarte".