Düsterstrand. Meike Messal

Düsterstrand - Meike Messal


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hatte er das Gefühl, so etwas wie Milde in dem Mönch zu erkennen. »Nun lege sie ordentlich zusammen.«

      Kritisch beäugte der Mönch seine Versuche, gab ihm Anweisungen. Ganz genau gefaltet musste sie sein, Hosenbein auf Hosenbein, glattgestrichen. Endlich war der Mönch zufrieden. Die vor Dreck starrende Hose lag so ordentlich zusammengelegt auf dem Wannenrand, als hätte Mama sie gerade frisch gebügelt.

      »Jetzt steig in die Wanne!«

      Das bisschen Wärme, das er eben glaubte, wahrgenommen zu haben, war wieder verschwunden. Vorsichtig berührte er mit dem Fuß die weiße Schicht. Kleine Körner blieben an seiner Ferse haften. Stirnrunzelnd blickte er darauf. Das war doch Reis!

      »Das ist ungekochter Reis«, erklärte der Mönch nun, als ob er es doch selbst gesehen hätte. »Knie dich hin! Der Po bleibt oben, nicht auf die Fersen setzen!«

      Er ließ sich auf den Reis sinken. Sofort bohrten sich die kleinen Körner in seine nackten Knie. Er biss sich auf die Lippen. Gut, das war nicht schön. Aber es war auch nicht furchtbar. Wenn das seine Strafe war, dann hatte er Glück gehabt.

      Mit gesenktem Kopf kniete er in der Wanne voller Reis.

      »Du bleibst genau so, in dieser Haltung, und denkst über dein Verhalten nach. Wenn du das schaffst, darfst du nachher wieder essen und trinken. Wenn nicht, dann bringe ich dich in den nächsten Raum. Und glaube mir, da ist es noch schlimmer als hier!« Mit diesen Worten verließ der Mönch das Bad, die Tür fiel quietschend hinter ihm ins Schloss.

      Vorsichtig hob er den Kopf. Das Waschbecken! Ob er kurz hinüberschleichen und etwas trinken könnte? Vielleicht funktionierte es ja! Seine schlimmen Krämpfe hatten nachgelassen, aber noch immer rumorte es in seinem Bauch. Und er hatte so fürchterlichen Durst!

      Außerdem fingen seine Knie an, wehzutun. Die Reiskörner bohrten sich wie kleine Nadeln in seine Haut. Er verlagerte das Gewicht und stöhnte vor Schmerzen auf, als neue Stiche in seinen Körper schossen.

      Abermals lugte er zum Waschbecken hinüber. Da sah er es aus dem Augenwinkel. Ein Blinken, rot. Es kam aus der oberen rechten Ecke des Raumes. Seine Augen wanderten die Wand entlang und blieben an der kleinen Kamera haften, die an der Decke angebracht war und genau auf ihn zeigte. Er stöhnte auf. Hatte es die auch in seinem Gefängnis gegeben? Hatte der Mönch ihn die ganze Zeit beobachtet? Er hatte solche Angst und solchen Hunger gehabt, dass er gar nicht darauf geachtet hatte.

      Also kein Wasser. Er würde ausharren müssen. Diesmal würde er es schaffen. Es gibt zu essen und zu trinken, hatte der Mönch gesagt. Er musste nur durchhalten.

      Mit einem tiefen Atemzug verlagert er erneut sein Gewicht. Vorsichtig. Und schrie auf. Denn inzwischen fühlten sich die Reiskörner nicht mehr wie Reiskörner an. Sie stachen in seine Haut, setzten sich fest. Kleine, unzählige Glassplitter, die ihn aufschnitten. Er spürte jedes einzelne von ihnen und die Wunden, die sie in seinen Körper ritzten.

      19

      Nele starrte Wiebke und Laura an, die bei ihr auf dem Sofa saßen. Unter anderen Umständen sah sie bestimmt sehr hübsch aus. Sie war zierlich und schlank, fast zerbrechlich, ihre kurzen dunklen Haare rahmten ein blasses Gesicht ein. Zu bleich war das allerdings und die Augen waren rotunterlaufen. Sie trug einen alten Jogginganzug, der ihr zu groß war und um sie herumschlotterte. Laura hätte sie am liebsten in den Arm genommen, aber Neles Blick sah abweisend aus.

      »Wir wollen wirklich nur helfen«, sagte Wiebke zum wiederholten Male. »Du musst schon zugeben, irgendwie ist es merkwürdig, dass drei Jungen in dem gleichen Alter auf Fehmarn verschwinden.«

      »Bei den letzten beiden ist es aber zehn Jahre her.« Neles Stimme war schrill. »Zehn verdammte Jahre.« Sie griff nach einem Taschentuch, das in ihrem Hosenbund steckte, und putzte sich die Nase. »Tom ist bestimmt einfach nur weggelaufen. Diese ganze Sache mit seinem Diabetes, das war zu viel für ihn. Er hat die Krankheit geleugnet, so getan, als sei er nicht erkrankt.«

      Eindringlich schaute Wiebke ihre Schwiegertochter an. »Du hast sicher Recht, aber er braucht trotzdem Hilfe. Ohne Insulin ist es unmöglich für ihn, zu überleben. Wir müssen ihn finden, Nele!«

      Nele zog die Nase hoch. »Ich weiß, ich weiß«, rief sie. »Was glaubst du denn, was wir hier machen? Die Polizei sucht nach ihm, setzen Hubschrauber ein, Wärmebildkameras, Hunde, alles. Und Thorben und ich sind abwechselnd unterwegs, fahren all seine Lieblingsplätze ab. Die Spielplätze, das Meereszentrum, den Strand, das U-Boot. Aber einer von uns muss immer hier sein, falls er … falls er wiederkommt.«

      Laura bewegte sich unbehaglich auf der Couch. Wenn sie ihn trotz dieses Aufwandes nicht gefunden hatten, dann sprach das nicht gerade dafür, dass er sich irgendwo versteckte. Nein, sie war sicher – auch Tom war entführt worden. Es war da. Real. Es gab das Monster auf Fehmarn, das Kinder stahl.

      Trotzdem versuchte sie, ihrer Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. »Er taucht sicher wieder auf«, sagte sie behutsam. »Wie hoffentlich auch mein Bruder Paul. Er ist ebenfalls verschwunden. Wir wollen sie finden, beide. Bitte helfen Sie mit!« Der letzte Satz hatte einen flehenden Unterton.

      Nele schaute Laura einen Moment regungslos an, dann ließ sie sich mit einem Seufzer in einen der großen Sessel sinken.

      »Ich glaube nicht, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat«, wiederholte sie. »Aber gut, während ich hier warte, kann ich auch mit euch reden.« Sie griff erneut nach ihrem Taschentuch, knetete es allerdings nur in der Hand. »Heute ist es genau sechs Tage her«, fuhr sie fort. »Freitag, die erste Ferienwoche neigte sich gerade dem Ende entgegen. Ich hatte Urlaub, drei Wochen, wir wollten hier auf der Insel bleiben. Thorben hat im Moment ebenfalls frei.« Nun schnäuzte sie sich doch. »Wir waren einkaufen, sind durch Burg gebummelt, Tom sollte ein paar neue Sommersachen bekommen. An dem Kinderladen nahe dem Marktplatz passierte es dann. Ich verlor Tom kurz aus den Augen. Das geschieht schon mal, ich dachte mir nichts dabei und stöberte weiter bei den Schwimmhosen. Bis ich ihn rief und er nicht antwortete. Er war nicht mehr im Laden, er war nirgendwo.« Man sah ihr an, welches Entsetzen allein die Erinnerung an diesen Moment in ihr auslöste.

      »Ist Ihnen da irgendetwas aufgefallen?« Laura beugte sich vor.

      Neles Gesichtsausdruck änderte sich. Mit Geringschätzung sah sie Laura an. »Das haben mich die Polizisten natürlich auch schon gefragt«, sagte sie. »Und nein, mir ist nichts aufgefallen. Niemand, der uns verfolgt oder in der Nähe herumgelungert hat. Alles war so wie immer.«

      »Alles so wie immer.« Laura wiederholte den Satz, doch sie saß nicht mehr in dem Wohnzimmer. Sie befand sich wieder in den sonnigen Gassen von Burg. Lief lachend hinter Paul her. Schnell wischte sie das Bild zur Seite. »Das haben wir auch gedacht, als wir Eis essen waren. Damals, vor zehn Jahren. Ich kann mich noch genau erinnern, denn meine Mutter hat uns drei Eiskugeln erlaubt. Das durften wir sonst nie, höchstens zwei. Aber an dem Tag war sie besonders gut gelaunt. Wir standen in der langen Schlange vor dem Eiscafé. Überall um uns herum Menschen, alle wollten eine Erfrischung. Meine Mutter alberte mit mir herum. Ich weiß nicht mehr genau, was mein Vater machte.« Laura hielt inne und holte Luft. »Ich weiß nur noch, dass wir schließlich an der Reihe waren. Und meine Mutter fragte, was für Kugeln Paul wolle. Und dass Paul nicht da war. Wir riefen, wir suchten, dachten erst, er habe sich versteckt. Aber wir fanden ihn nicht wieder. Er war wie vom Erdboden verschluckt.«

      Nele starrte Laura einen Augenblick an. Dann wandte sie den Blick ab.

      Laura wünschte sich plötzlich, Nele hätte ihnen etwas zu trinken angeboten. Ihr Hals fühlte sich zu trocken an. Sie räusperte sich. »Meiner Mutter ist es dann wieder eingefallen, nicht sofort, aber nach einiger Zeit. Dieser schwarze Opel. Er stand an dem Tag in der Nähe der Eisdiele. Sie konnte sich daran erinnern, weil sie gedacht hatte, dass man in so einem dunklen Wagen bei diesen Temperaturen ganz schön schwitzen müsse. Und weil sie den Wagen schon öfter gesehen hatte. Als wir am Südstrand waren. Und als wir die Galileo Wissenswelt besucht haben.«

      »Na und?«, rief Nele erbost. »Weißt du, wie viele schwarze Opel es auf Fehmarn gibt? Das heißt doch gar nichts!«

      »Es sind etwa zweihundert«,


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