Eilandfluch. Marie Kastner

Eilandfluch - Marie Kastner


Скачать книгу
riss sich zusammen, setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. Sie wusste, was jetzt von ihr erwartet wurde und spulte ein rührseliges Programm ab. Ließ sich einen wuchtigen Diamantring an den Finger stecken, bewunderte ihn artig von allen Seiten. Küsste mehrfach ihren Verlobten, und zwar dermaßen dekorativ, dass die Leute vor Begeisterung klatschten. Streckte, scheinbar überglücklich, ihre Hand mit dem Kavenzmann unter den Ringen in die Luft. Jeder Gast konnte nun sehen, wie das kostspielige Schmuckstück mit dem Sternenhimmel und ihrem weißen, rückenfreien Paillettenkleid um die Wette funkelte.

      Inwendig jedoch breitete sich eine unglaubliche Leere aus. Sie fühlte instinktiv, dass sie soeben einen fatalen Fehler begangen hatte. Natürlich, Thorsten war in finanzieller Hinsicht ein gemachter Mann, verhielt sich ihr gegenüber meistens auch lieb, zuvorkommend und nett. Aber er verbarg eine problematische Persönlichkeit hinter der wohlerzogenen Knigge-Fassade, konnte durchaus als zwanghafter, rücksichtsloser Narzisst gelten.

      Solange sie jedes seiner Vorhaben kritiklos mittrug und ihn für Erreichtes gebührend bewunderte, war alles in bester Ordnung. Leichteste Abweichungen jedoch brachten ihn schnell in Rage. Seine Pläne zu durchkreuzen, grenzte an Majestätsbeleidigung. Sowas durfte niemand wagen, kein Geschäftsmann, kein Untergebener – und erst recht keine Frau. Zudem war er krankhaft eifersüchtig, was naturgemäß schon wegen ihres exhibierenden Berufes zu häufigen Kabbeleien führte.

      Wollte sie mit solch einem schwierigen Menschen wirklich bis ans Ende ihres Lebens zusammenbleiben, gefangen in einem goldenen Käfig, und das auf einer winzigen Insel? So hübsch die Liegenschaft auch war, man konnte La Gaiola in wenigen Minuten umrunden. Im Streitfall wäre es da schwierig bis unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen.

      Sie hatte bis heute nicht herausfinden können, welcher Teil von Thorstens fürsorglichem Gehabe authentisch und welcher meisterlich inszeniert war. Ihre eigene Mutter hatte sie vor diesem Mann eindringlich gewarnt, ihn gar als arroganten Blender bezeichnet. Sie würde über die Neuigkeiten dieses Abends wohl kaum erbaut sein.

      Für solche Überlegungen ist es jetzt ohnehin zu spät. Und letztendlich – eine Verlobung könnte man notfalls wieder lösen, sinnierte Mona Horváth, während sie Dutzende von Händen schüttelte und strahlend die Glückwünsche entgegennahm. Dieser tröstliche Gedankengang war geeignet, ihr aufgewühltes Gemüt halbwegs zu besänftigen. Das hier war wie ein modernes Märchen, und sie spielte darin die Prinzessin wider Willen. Eine tragische, bittersüße Rolle, in der sie sich gleichwohl zu gefallen begann.

      Es gab in diesem Augenblick wohl keine Dame auf diesem Event, die sie nicht glühend um ihr Glück beneidet hätte. Viele verdrückten Tränen der Sentimentalität im Augenwinkel.

      Mit einer Ausnahme, wie sich herausstellte. Die dürre Fledermausfrau tauchte unvermittelt wieder auf und setzte einen makabren Schlussakzent, bevor sie die lange Treppe ansteuerte, die hinunter zum Bootsanlegeplatz führte.

      »Mein aufrichtiges Beileid, Kindchen«, brummte sie im Vorübergehen.

      *

      Seufzend stand die sechzehnjährige Isabella Rossi an der Balustrade ihres geräumigen Balkons und träumte sich auf jene Insel, die sie gerade aus der Ferne betrachtete. Der Anblick war einfach wunderschön. Die bunten Lichter, die auf dem Wasser zu tanzen schienen, darüber Mond und Sterne …

      Fast jeden Abend beobachtete die Schülerin in der wärmeren Jahreszeit von dieser exponierten Stelle aus den Sonnenuntergang, bemerkte fasziniert, wie sehr dieser auf ewig gleiche Vorgang variierte, in immer neuen Farbspektakeln ablief. Ihr Smartphone quoll vor lauter Fotos schon über.

      Das etwas in die Jahre gekommene Familienanwesen der Rossis stand am höchsten Punkt der Steilküste, in einer Seitengasse der Via Marechiaro, die der Insel La Gaiola am Festland etwas versetzt gegenüber lag. Von hier aus konnte man den Blick weit über die Bucht, kleine Sandstrände, Bootsanlegestellen sowie felsige Abhänge mit Pinienbewuchs streifen lassen – und natürlich über die geheimnisvolle Zwillingsinsel. Man durfte sich auf dem Balkon des alten Gemäuers nur nirgends anlehnen, denn die Farbe blätterte an allen Ecken und Enden ab.

      »Liebes, willst du nicht endlich hereinkommen? Es wird kühl«, fragte eine Stimme liebevoll hinter Isabellas Rücken.

      Sie drehte sich schwungvoll zu ihrer Mutter um.

      »Nur noch ein paar Minuten, mamma. Sieh selbst, in der Dunkelheit leuchtet die Insel fast wie ein Kreuzfahrtschiff. Sie hat jetzt gar nichts Unheimliches mehr an sich. Wie gerne wäre ich dort drüben und würde mitfeiern.«

      Nieves Rossi bekreuzigte sich, drehte die Augäpfel heraus.

      »Auf gar keinen Fall, niemals! Anfangs sieht es immer so aus, als würde einem neuen Besitzer auf La Gaiola mehr Glück beschieden sein als seinen bedauernswerten Vorgängern. Bis eben der Inselfluch wieder zuschlägt. Bleib mir bloß fern von diesem gefährlichen Ort, hörst du?«

      Der Teenager verdrehte die Augen. Nicht schon wieder diese Diskussion! Seit sie laufen konnte, warnte ihre überfürsorgliche Mutter sie nahezu täglich vor der Insel. Wenn ihre Freunde dort schwimmen gingen, durfte sie nie mitkommen.

      Ein paarmal hatte sie sich dem Verbot allerdings widersetzt, war einmal sogar mit ihrer besten Freundin in die kleine Grotte gegangen, die am Fuße der Inselhälfte mit der Villa lag. Man konnte sie leicht vom Bootsanleger aus erreichen. Ein behördliches Schild der Region Kampanien hatte damals davor gewarnt, dass das Betreten der Grotte bei Hochwasser gefährlich werden könnte. Aber als Einheimische wusste sie natürlich, wann mit der Flut zu rechnen war.

      Nichts Ungewöhnliches war bei der kurzen Erkundung passiert, auch wenn den beiden Mädchen ein wenig mulmig zumute gewesen war. Dieselben Felsen wie an der Küste des Festlandes

      – keine Totenköpfe, kein gar nichts. Langweilige Sache. Inzwischen war das Schild verschwunden und ein Gitter versperrte den Zugang zur Treppe, die nach oben zur Villa führte. Auch die Grotte war abgesperrt. Statt des Warnschildes prangte da eine Tafel, die in mehreren Sprachen darauf hinwies, dass die Insel Privatbesitz und Unbefugten das Betreten streng verboten sei. Das gesamte Areal werde von Kameras überwacht und sei mit einer Alarmanlage gesichert. Was also sollte einem dort nun noch geschehen können?

      »Mamma, du bist ein unverbesserlicher Angsthase!«, lachte Isabella und warf ihren Kopf wie ein ungestümes Wildpferd in den Nacken. Dieser Vergleich passte schon wegen ihres kräftigen braunen Haares, das sie zum Pferdeschwanz gebunden trug.

      »Der neue Eigentümer soll Geld wie Heu haben, kann sich bestimmt die aktuelle Sicherheitstechnik leisten. Man sagt doch immer, Licht vertreibe Geister, oder? Dann müssten jene dort drüben in diesem Moment schreiend zurück in die Hölle flüchten. Die Insel ist bis in den letzten Winkel beleuchtet«, kicherte das Mädchen achselzuckend.

      Doch ihre Mutter blieb todernst, bekreuzigte sich wieder.

      »Versündige dich nicht, mein Kind! Das ist übrigens nicht der erste reiche Schnösel, den diese Insel gesehen hat. Leider lebt Opa inzwischen nicht mehr. Der hätte dir so einige Geschichten erzählen können … schließlich hat auch er sein ganzes Leben in diesem Haus hier verbracht. Dein Urgroßvater Fabio hatte es einst mit seinen eigenen Händen erbaut.«

      Isabella war Feuer und Flamme. Sie liebte Gruselgeschichten über alles, und ganz besonders diejenigen über La Gaiola.

      »Och bitte, erzähle mir davon!«, bettelte sie. Nieves seufzte tief, schien nachdenken zu müssen.

      »Es handelt sich um eine alte storia aus den 1950-er Jahren. Mein Vater hat beim Abendessen oft von der Insel berichtet, als ich noch ein Kind war. Ich weiß nicht, ob ich die Ereignisse von damals noch richtig zusammenbekomme, an jedes Detail erinnere ich mich bestimmt nicht mehr. Es ist einfach zu lange her.« Die glänzenden Augen ihrer einzigen Tochter erweichten ihr Herz, und Nieves wurde klar, dass sie ums Erzählen nicht herumkommen würde.

       1959

       Der Exzesse peinliches Ende

      

      »In den 1950-er Jahren


Скачать книгу