Eilandfluch. Marie Kastner
nächsten Monate zu einem steinernen Schmuckstück, und wenn das neue Portal nur halbwegs läuft, habe ich gewonnen. Basta.
Das Tolle daran ist, dass ich dort endlich meine Ruhe haben werde. Niemand kann die Insel betreten, ohne dass ich es weiß und möchte. Sie ist wie eine Burg, verstehst du? Da nehme ich ein paar Unbequemlichkeiten gerne in Kauf.
Falls ich Villa und Insel im Alter wieder veräußern will, wird der Fluch bis dahin längst vergessen und die Liegenschaft mindestens das Dreifache wert sein. Und da fragst du noch allen Ernstes, wieso ich zugeschlagen habe?«
*
Andrea Frantini kippte den Inhalt seiner Schubkarre auf eine für Bauschutt vorgesehene Halde, die am Rande des Plateaus langsam aber stetig emporwuchs. Der Job auf dieser winzigen Insel bedeutete pure Knochenarbeit, da man keine Kräne oder Lastwagen einsetzen konnte. Sein Polier bei der Baufirma hatte diese Tatsache am vergangenen Montag mit den Worten: Ist doch eine schöne Abwechslung. So seht ihr mal, wie die Leute früher schuften mussten und lernt die gute, alte Handarbeit vielleicht sogar schätzen quittiert.
Mit einem süffisanten Lächeln um die Mundwinkel war er pfeifend davon geschlendert. Andrea hätte diesem arroganten Großmaul am liebsten eine reingehauen. Leider brauchte er den Arbeitsplatz, um seine Frau und vier Kinder durchzufüttern.
Seit dreieinhalb Tagen beschäftigte sich der Fünfundvierzigjährige nun mit dieser sogenannten guten, alten Handarbeit, die er selbst allerdings eher als unterbezahlte Sklavenmaloche bezeichnet hätte. Seine Laune war inzwischen nicht besser geworden, ganz im Gegenteil. Der kühlfeuchte Westwind, der im Spätherbst unablässig welkes Laub über das Eiland fegte, ließ einen trotz körperlicher Arbeit bis auf die Knochen frieren.
Zum Glück hatte der neue Eigentümer der stark verfallenen Villa bislang nur eine Grundrenovierung in Auftrag gegeben, die es erlauben sollte, das Inselgelände samt Gebäude ohne Gefahr für Leib und Leben zu betreten. Zudem musste selbstverständlich der herumliegende Schutt entsorgt werden, genau wie das meterhoch wuchernde Unkraut. Er tröstete sich einstweilen mit der Aussicht, dass diese Aufträge voraussichtlich innerhalb weniger Monate erledigt sein dürften.
»Mann … dass mich der Alte ausgerechnet auf diese Baustelle schicken musste! Ich hätte viel lieber an der Renovierung in der Via Arpino mitgearbeitet. Dort in der Nähe gibt es eine klasse Imbissbude, und ich hätte nicht weit nach Hause gehabt. Aber hier? Keine Straße, keine Brücke. Man braucht ein verdammtes Boot, um zum Festland zu gelangen. Wetten, dass wir am Ende den Schutt in unzähligen Eimern mit dem Flaschenzug runterschaffen und verladen dürfen?
Ganz schön blöd und vor allem schade für uns, dass so ein stinkreicher Fatzke aus bella Germania die Insel gekauft hat und im nächsten Sommer mit Sack und Pack in diese Einöde ziehen will. Der weiß ja wahrscheinlich nicht einmal, worauf er sich da einlässt!«, moserte Andrea, temperamentvoll mit Händen und Füßen gestikulierend.
»Was meinst du denn damit?«, hakte der um drei Jahre ältere Bertoldo Cattabiani nach, der ebenfalls gerade eine Fuhre ablud. Der aufsteigende Baustaub ließ beide Männer husten und fluchen. Ein jäher Windstoß aus westlichen Richtungen fegte die weißliche Staubwolke im Nullkommanichts davon.
»Dieser Typ soll mehrere Millionen im Internet gemacht haben. Der wird sich hier draußen wohl kaum einsam fühlen, sondern ständig mit der Nase am Bildschirm kleben. Man munkelt, dass er eventuell wieder eine Seilbahn bauen lassen will, wie sie hier schon früher einer der Vorbesitzer installieren hatte lassen. Vielleicht besitzt er sogar einen Hubschrauber. Bei solchen Typen spielt Geld doch keine Rolle.«
»Ach was! Es ist mir doch vollkommen egal, ob dieser tedesco hier glücklich wird oder eines Tages womöglich dem berüchtigten Inselfluch zum Opfer fällt. Aber was mich angeht – ich will so schnell wie möglich wieder weg sein«, knurrte Andrea übellaunig. Er verschränkte seine Arme vor der breiten Brust.
Berto hielt in seiner Bewegung inne, grinste breit.
»Ha ha, daher weht also der Wind! Du hegst Schiss wegen der lächerlichen Ammenmärchen über la isola maledetta, wenn ich nicht irre. Für so abergläubisch hätte ich dich als gläubigen Katholiken gar nicht gehalten«, frotzelte Cattabiani kopfschüttelnd.
»Ich und Angst – vergiss das so schnell, wie es dir eingefallen ist!«, behauptete Andrea großspurig. Er richtete seinen Oberkörper gerade auf und drückte die Knie durch, um trotz seiner bescheidenen Eins zweiundsiebzig größer zu wirken.
»Aber es gibt trotzdem mysteriöse Dinge zwischen Himmel und Erde, die niemand erklären kann. Ich bin einfach nur vorsichtig, schließlich habe ich Familie«, fügte er hinzu.
»Die habe ich ebenfalls, wie du weißt. Meines Erachtens sind die alten Geschichten nichts als dummes Gerede, über Generationen weitergetratscht von unbedarften Weibern. Ach, komm schon, konzentrieren wir uns lieber wieder auf den Job. Je früher wir hier fertig werden desto schneller bist du von der Insel des Grauens runter.«
»Rindvieh, respektloses!«
Das Augenzwinkern verriet Berto, dass sein Freund und Kollege letzteres nicht gar so ernst gemeint hatte. Er knuffte ihn mit seinem rindsledernen Arbeitshandschuh kumpelhaft in die Seite, bevor er seine Schubkarre aufs Neue in Richtung des alten Gemäuers schob. Zum x-ten Male an diesem Tag.
Kurz vor Feierabend erzählte Andrea ihm eine der haarsträubenden Geschichten, die ›man‹ über die Zwillingsinsel so hörte.
1831
Am Rande der Gesellschaft
»La Gaiola ist schon bewohnt gewesen, noch bevor diese Villa erbaut wurde. Während später hauptsächlich feine Pinkel die Insel besaßen, hatte sich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein bettelarmer Einsiedler auf der Insel eingenistet. Er hauste dort ohne Strom und Wasser, das muss man sich mal vorstellen. Der gute Mann konnte sich am Festland nicht mehr blicken lassen, weil die Leute ihn fürchteten.
Man nannte ihn den Hexenmeister, seit er mit seinem Wissen über Kräuter und Tinkturen ein paar Leuten drüben in Posillipo das Leben gerettet hatte. Man begegnete ihm zuerst mit Dankbarkeit, später mit Vorbehalten.
Undank ist der Welt Lohn, wie du weißt. Kaum waren die Kranken gesundet, wurde hinter vorgehaltener Hand Negatives über den Quacksalber getuschelt. Von düsteren Ritualen war die Rede und davon, dass er mit dem Teufel im Bunde stehe. Wahrscheinlich waren aber einfach die ortsansässigen Mediziner sauer, dass ein ungebildeter Handwerker vollbracht hatte, wozu sie nicht fähig waren. Diese Neider müssen es auch gewesen sein, die jene garstigen Gerüchte in Umlauf gebracht haben, welche ihn schließlich vertrieben.
Ein Übriges tat offenbar das Aussehen des ehemaligen Tischlers. Meistens zauselig und ungewaschen, passte er einfach nicht in das Bild eines ehrbaren Bürgers. Er wurde auf offener Straße angespuckt und verspottet, niemand nahm mehr seine Heilkünste in Anspruch oder gab ihm sonstige Arbeit.
Als er nach einem tätlichen Angriff auch noch um sein Leben fürchten musste, schwamm er die paar Meter nach La Gaiola hinüber und lebte fortan dort, allerdings mehr schlecht als recht. Eine kleine Hütte diente ihm als Unterschlupf. Er hatte sie sich aus Treibgut und Müll zusammengeschustert.
Bevor er ging, stieß er vor der am Strand versammelten Bürgerschaft noch eine Drohung aus. Er habe dieser Gesellschaft so viel Gutes getan, und nun müsse sie ihm etwas zurückgeben, wenn sie ihn schon aus ihrer Mitte verstoße. Jeden Tag solle man ihm von nun an Fisch, Brot und Wasser liefern, sodass er auf dem kargen Eiland überleben könne. Falls nicht, werde er von seinen besonderen Kräften Gebrauch machen und schreckliche Rache üben.
Von diesem Tag an brachten ihm die Fischer abwechselnd das Gewünschte, stellten die Almosen schnell auf der kleinen ebenen Fläche vor der Grotte ab – und verschwanden schleunigst wieder. Bald schon kursierten jedoch neue Gerüchte über den Hexenmeister. Von eigenartigen Ritualen am Lagerfeuer war die Rede, von Gemurmel und schauerlichem Geheul. Was immer zu dieser Zeit am benachbarten Festland an Unglücken geschah,