Eilandfluch. Marie Kastner
jedenfalls noch reichlich vorhanden. Wir planen die Präsentation erst im Frühsommer des kommenden Jahres«, gab er zu bedenken.
»Wir haben alle Eventualitäten vor dieser Besprechung bei uns im Hause bereits hinreichend diskutiert. Unser Entschluss steht fest – es bleibt bei einem Nein. Wir werden uns wegen diesem verdammten Inselchen in keiner Weise in die Nesseln setzen. Wenn Ihr Partner dort feiern will, muss er uns La Gaiola schon abkaufen. Selbstverständlich wären in diesem Fall bei der Renovierung der Villa eine Menge denkmalschutzrechtlicher Bestimmungen zu beachten, schließlich gilt sie als historisch wertvoll«, konstatierte der Beamte kühl.
Fünfzehn Minuten später stand Enzo Battaglia draußen auf der Straße, fieselte fahrig sein Smartphone aus der Innentasche seines Kaschmirsakkos und versuchte, Thorsten Sasse telefonisch zu erreichen. Er konnte mit Niederlagen schlecht umgehen, fühlte sich regelrecht gedemütigt.
In knappen Sätzen schilderte er, was er in der Liegenschaftsbehörde zu hören bekommen hatte und schlug vor, gemeinsam über eine andere Location für den wichtigen Event nachzudenken. Die Herren Beamten seien leider zu borniert und unflexibel, um eine stinknormale Vermietung in die Wege zu leiten. Es tue ihm außerordentlich leid, er habe alles in seiner Macht stehende versucht. Leider sei es heutzutage auch wegen diverser Anti-Korruptionsgesetze nicht mehr so einfach wie früher, Beamte zu schmieren.
»Merda«, fluchte Thorsten frustriert. »War das wirklich deren letztes Wort? La Gaiola ist unter keinen Umständen zu haben?«
»Oh doch! Aber man müsste es kaufen«, merkte Battaglia sarkastisch an.
Sasse erwiderte darauf nichts, gespannte Stille entstand.
»Bist du noch da?«, vergewisserte sich der Italiener.
»Klar! Ich muss über all das nachdenken. In dieser Angelegenheit ist das letzte Wort garantiert noch nicht gesprochen. Ich melde mich wieder bei dir.«
»Halt, warte! Du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach, die Insel des Grauens zu kaufen?!«
»Selbstverständlich nicht um jeden Preis, aber Durchdenken könnte man die Option durchaus. Ich bräuchte ohnehin endlich einen standesgemäßen Wohnsitz. Und Gedankenspiele kosten ja nichts, oder? Besser noch … ich könnte hinfliegen, mir vor Ort ein Bild machen und Mona mitnehmen. Die liegt mir schon die ganze Zeit in den Ohren, dass sie gerne mal wieder wenigstens einen Kurztrip mit mir unternehmen möchte, wenn ich schon keine Zeit für Urlaubsreisen habe.
Außerdem, hör mir doch mit diesem albernen Fluch auf. Bestimmt gibt es für all die Katastrophen eine rationelle Erklärung, und man ist nur noch nicht draufgekommen. Shit happens.
Zugegeben – ich habe auch erst geglaubt, es könnte in den alten Horrorgeschichten ein Körnchen Wahrheit stecken. Aber bitte … wir sind doch schließlich wissenschaftlich aufgeklärte Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert! Schon seit Jahrzehnten ist auf La Gaiola Ruhe eingekehrt. Wann war überhaupt das letzte Ereignis, das man dem angeblichen Fluch zuschrieb? In den Achtzigern oder so?«
Er wurde eines Besseren belehrt.
2009
Der Gärtner ist immer der Mörder … oder?
»In früheren Zeiten gehörte zur Doppelinsel La Gaiola noch ein großes Stück Land am direkt gegenüber liegenden Kap, weswegen manche Leute steif und fest behaupten, dass der angebliche Inselfluch sich sogar bis dort hinüber auswirke. Einem wirksamen Fluch, der an ein bestimmtes Stückchen Grund und Boden gebunden sei, könne es quasi egal sein, ob das Land in späteren Jahren auf unterschiedliche Eigentümer und in mehrere Parzellen aufgeteilt werde. Einmal verflucht – immer verflucht. Das ist die landläufige Meinung.
Ob man das nun zu Recht glaubt oder nicht, es scheinen sich immer dieselben Muster zu wiederholen. Reiche Besitzer – und manchmal auch deren Gäste – gehen nach großen geschäftlichen Erfolgen entweder mit Pauken und Trompeten in die Pleite, werden verrückt oder sterben.
Im Falle des Francesco ›Franco‹ Ambrosio und seiner Gattin trafen sogar gleich zwei dieser Unglücke ein, und das, obwohl sie gar nicht auf der Insel selbst, sondern am Festland lebten.
Im Jahre 1960 gründete der aus San Gennarello stammende Ambrosio in Neapel die Italgrani, eine Firma für Imund Export von Getreide. Damals war er achtundzwanzig Jahre alt. 1970 wurde aus dem prosperierenden Unternehmen eine HoldingGesellschaft, geschäftlicher Erfolg stellte sich ein.
Weitere zehn Jahre später verpasste man Ambrosio bereits den Spitznamen Getreidekönig. 1985 hatte er sich sogar den größten Marktanteil für Hartweizengries auf dem US-Markt erobert. Von da an ging es mit dem Erfolg, auch wegen juristischer Querelen, allerdings wieder abwärts, bis das Unternehmen 1999 von Konkurs und Schließung bedroht war.
Der Erfolg seiner Firma war nicht Ambrosios einzige Passion. Er sponserte zum Beispiel, von 1977 an, ein Formel 1 Team. Aber auch in dieser Hinsicht erlebte er ein ständiges Auf und Ab. Es wurde nach einer Serie von Misserfolgen versucht, bessere Fahrer für die Rennboliden zu finden. Ambrosios rechtliche und finanzielle Probleme nahmen zur selben Zeit stetig zu, sodass er das Sponsoring schweren Herzens einstellen musste.
Immer noch waren die Ambrosios Eigentümer jener protzigen Villa am Steilhang, die direkt am Fußweg liegt, der hinunter zum kleinen Strand vor der Insel des Grauens führt. Zudem verfügte Francesco trotz aller Einbußen der vergangenen Jahre nach wie vor über ein ansehnliches Privatvermögen, das ihm und seiner Frau Giovanna eigentlich einen sehr angenehmen Lebensabend ermöglichen hätte sollen … wenn, ja wenn er nicht diesen rumänischen Gärtner eingestellt hätte.
Am Morgen des 15. April 2009 wurden die Leichen der Eheleute Ambrosio in ihrer Villa aufgefunden. Es hatte Diebstähle gegeben, alles im Haus war gründlich durchwühlt worden. Man ging schnell von einem missglückten Einbruch aus, der in einen Raubmord an den Multimillionären gemündet war.
Nach erstaunlich kurzer Ermittlungsarbeit nahm die Kriminalpolizei drei rumänische Einwanderer fest, von denen einer auf dem Ambrosio-Anwesen als Gärtner gearbeitet hatte. Der anfängliche Verdacht, die beiden Söhne des Ehepaares könnten die drei Ausländer aus Habgier für die Beseitigung ihrer Eltern angeworben haben, konnte in der gerichtlichen Verhandlung nie bestätigt werden. Bis heute haben sich die genauen Umstände nicht klären lassen.
Für die Zeitungen und die meisten Einwohner von Posillipo stand natürlich sofort fest, wer der eigentliche Mörder gewesen sein musste: la isola maledetta.«
Thorsten beschloss vorsorglich, seiner Freundin diesen jüngsten Teil der bewegten Geschichte La Gaiolas besser vorzuenthalten. Schließlich wollte er möglichst noch am selben Abend die Flugtickets nach Neapel übers Internet ordern.
Wie zu erwarten gewesen war, flippte Mona vor Freude über ein paar entspannte Tage im Sonnenschein schier aus. Ein passender Termin für den Trip war wider Erwarten schnell gefunden, und so konnte der junge Internetmillionär die Flüge nach bella Italia noch am selben Abend buchen. Am Freitag, dem 26. September 2014 sollte es losgehen.
Anschließend wühlte er noch einmal intensiv in den Untiefen des Internets, um vor der Reise möglichst viele Fakten über die böse kleine Doppelinsel zusammenzutragen. Was er hierbei an zusätzlichen Informationen ausgrub, ließ ihn an seiner eigenen Aussage von vorhin ein Stück weit zweifeln.
Die merkwürdige Häufung von Pleiten, anderen Unglücken und Todesfällen war auf La Gaiola tatsächlich exorbitant hoch. Doch je mysteriöser die Sache wurde desto stärker drängte ihn die Neugierde zum Golf von Neapel.
*
Die Maschine der Alitalia landete mit zehn Minuten Verspätung auf dem Flughafen Napoli-Capodichino. In bester Urlaubslaune schlenderten Thorsten und seine schöne Freundin zum Schalter der Mietwagenfirma, um den elektronischen Schlüssel für das vorab gebuchte Mercedes SLK Cabrio in Empfang zu nehmen. Wenn schon, denn schon.
Ein Glück, dass sie sich innerhalb des drei Tage währenden Aufenthalts jede