Eilandfluch. Marie Kastner
Äußerlich betrachtet, passten sie hervorragend zueinander. Er, der blonde, hochgewachsene Sohn eines wohlhabenden Investmentbankers, der praktisch mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden war – und sie, das erfolgreiche, rassige Dessous Model. Sie waren beide daran gewöhnt, dass man sich auf der Straße nach ihnen umdrehte, erst recht, wenn sie im Doppelpack auftraten.
Für ihn erbrachte die komplizierte Beziehung mit Mona sowieso einen zusätzlichen Mehrwert, den er ihr gegenüber aber besser nicht erwähnte. Er musste rein schon aus Prestigegründen eine tolle Frau an seiner Seite haben. Erfolgreiche Männer besaßen seit jeher die Schönsten der Schönen, dies war ein ungeschriebenes Gesetz. In der Welt der kühlen Kalkulation kannte er sich dank seines Vaters bestens aus. Ergo – Augen zu und durch.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar Schlucken Kaffee schenkte ihm Mona ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Wie gesagt, die Herren Moretti, d’ Angelo und Battaglia haben einen Investment Case in meinem Vorhaben gesehen. Und glaube mir, die finanzieren beileibe nicht alles! Wenn diese Haie bereit sind, so viel Kapital in meine Firma zu stecken, wittern sie fette Gewinne. Sie haben nur eine einzige Bedingung gestellt: Ich soll zur Einführung eine groß angelegte Präsentation bieten und dazu möglichst viele potentielle Affiliate Marketing Kunden und Presseleute einladen.«
»Das freut mich für dich, Schatz. Aber ich habe immer noch nicht begriffen, wieso du dich nicht mit deinem bestens laufenden Vergleichsportal für Urlaubsreisen zufrieden gibst. Davon kannst du doch prima leben. Wie das neue Projekt funktionieren soll, müsstest du mir sowieso noch erklären. Und wieso hast du dir ausgerechnet drei Italiener ins Boot geholt, anstatt deinen alten Herrn nach dem Investment zu fragen? Wer garantiert dir, dass die Typen nicht der Mafia angehören?«
Thorsten konnte deutlich heraushören, dass sie das Interesse nur ihm zuliebe vorgab. In Wirklichkeit langweilte sie Geschäftliches. Womit er seinen aufwändigen Lebensstil verdiente, war ihr im Grunde egal. Sie verfügte über eigenes Einkommen.
»Wir reden heute Abend drüber, ja? Komm du erst einmal in die Gänge, frühstücke in aller Ruhe. Nur so viel noch: Battaglia hat mir einen Vorschlag für die Location der Präsentation unterbreitet. Da unser Portal europaweit aktiv sein soll, können wir diesen Event genauso gut in Italien durchziehen.
Im Golf von Neapel soll es eine kleine Insel geben, auf der eine alte Villa steht. Das wäre die passende Kulisse für Investoren, Firmenbosse und uns, man könnte sich dort fulminant in Szene setzen. Zumal in der Region Neapel alles, was auf dieser Insel geschieht, ganz automatisch von Interesse ist. Man munkelt dort, dass sie verflucht sein soll.«
»Eine verfluchte Insel im Mittelmeer als schräge Kulisse für deine Geschäfte? Na, wenn das mal keine Aufmerksamkeit erregt. Davon abgesehen … dieser außergewöhnliche Ort würde sich wahrscheinlich auch für eine Catwalk Show der neuesten Kollektion von Versace eignen, oder?«, lachte Mona.
Sie räusperte sich schuldbewusst. Sobald es um seine Entscheidungen ging, duldete ihr Freund keine Späße. Er konnte dann schnell ekelhaft werden.
»Gut, dann also bis heute Abend. Holst du mich ab?«
»Pünktlich wie immer, ich warte aber im Auto. Sonst würde ich auf der Suche nach einem freien Parkplatz vermutlich wieder eine halbe Stunde lang um den Block kurven müssen.«
Nachdem er das Gespräch nach ein paar Küsschen beendet hatte, googelte Thorsten Sasse sich auf der Suche nach besagter Insel kreuz und quer durch das Internet. Was er dabei zu sehen und lesen bekam, bestärkte ihn fest in der Annahme, dass Enzo Battaglia mit seinem Vorschlag einen Volltreffer gelandet hatte. Er musste diese pittoreske Doppelinsel einfach für seine Präsentation mieten!
*
Der feuerrote Jaguar xe samt Fahrer wartete, mit laufendem Motor und halb auf dem Gehweg stehend, vor dem Apartmenthaus, in dem Mona sich vor einem halben Jahr eine Eigentumswohnung gekauft hatte. Sie lag im obersten Stock eines Wohnund Geschäftshauses am Kleinen Hirschgraben.
Hier in Frankfurts Innenstadt war jeder verratzt, der sich keinen Tiefgaragenstellplatz mietete. Derjenige seiner Freundin war mit ihrem sonnengelben Mini Cooper belegt. Ansonsten standen rund um diesen Bereich nur Kurzzeitparkplätze und sündhaft teure Parkhäuser zur Verfügung. Viele der Gehsteigflächen waren zudem mit Sicherheitspollern gegen Befahren und Parken gesichert. Nur vor Ausfahrten oder neben Mülltonnen konnte man sich für kurze Zeit verbotswidrig hinstellen.
Genau das tat Sasse soeben, nervös auf die Zeitanzeige am Armaturenbrett schielend. Sie verspätete sich wieder, typisch!
Zehn Minuten später schwebte seine Freundin aus der Haustür. Ihr Outfit passte perfekt zur Wagenfarbe. Heute kombinierte sie ein knapp knielanges, in Taillenhöhe asymmetrisch drapiertes, feuerrotes Shiftkleid mit hauchdünnen schwarzen Feinstrümpfen, hohen Lacksandaletten und einem goldenen Handtäschchen im Clutch-Stil. Dazu trug sie, wie immer und überall, dezenten Goldschmuck. Das lange schwarze Haar hatte sie mit einem Lockenstab bearbeitet, es fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern.
Ihm stockte bei diesem Anblick schier der Atem. Noch immer, obwohl sie bereits seit acht Monaten ein Paar waren.
Eilig begab sich Thorsten auf die Beifahrerseite, um ihr mit eleganten Bewegungen die Wagentür aufzuhalten. Mehrere Passanten gafften neugierig. Mona schmiegte sich gekonnt in die rot-schwarze Lederkomposition des Sitzes, zog ihre langen Beine ins Fahrzeuginnere – und schon röhrte der auf Hochglanz polierte Jaguar davon.
Die Fahrt endete auf dem Parkplatz eines Edel-Italieners, den Thorsten und Mona als Lieblingslokal auserkoren hatten. Pizza und Spaghetti Bolognese suchte man hier vergebens auf der Karte, handelte es sich doch um ein Spezialitäten-Restaurant der gehobenen Kategorie. Entsprechend exklusiv waren auch die Preise. Doch wer hierher ins Positano zum Essen kam, für den spielte Geld höchstens noch eine untergeordnete Rolle.
Kaum sah er seine Stammgäste auf das Gebäude zu kommen, wieselte Inhaber Mario Valluzzi zur Eingangstür, riss diese weit auf. Er geleitete die erlesenen Gäste stets höchstpersönlich zum besten Tisch, den er auch heute für sie reserviert hatte.
Hier, am Platz neben dem weißen Marmorbrunnen, hatten sie sich einst kennengelernt und verliebt. Und hier hatte Thorsten seiner Angebeteten wenige Tage später voller Stolz erzählt, dass er trotz seines jugendlichen Alters bereits mehr als vier Millionen Euro mit einer, durch massive Fernsehwerbung bekannten, Vergleichsplattform für Flüge und Urlaubsreisen sowie einigen lukrativen Investments verdient habe. Er wusste bis heute nicht, ob sein Reichtum der Hauptgrund dafür war, dass Mona ihm seither nicht mehr von der Pelle wich.
Valluzzi stellte eine reich verzierte Platte mit Antipasti, kleinen Töpfchen mit Dips und frischem Weißbrot auf die schneeweiße Tischdecke. Anschließend reichte er seinen Gästen schwungvoll die überdimensionierten, in edles grün-weiß-rotes Kalbsnappaleder gebundenen Speisekarten.
»Nicht nötig«, winkte Thorsten ab. »Ich nehme, wie meistens, deine göttliche Saltimbocca und eine Flasche Amarone. Was darf ich für dich ordern, mein Schatz?«
Mona hasste es eigentlich, wenn er voreilig bestellte und ihr gar keine Zeit gab, selbst in der Karte zu stöbern. Sie schluckte ihren Ärger jedoch hinunter, wollte nicht gleich zu Beginn des Abends Unstimmigkeiten heraufbeschwören.
»Saltimbocca klingt sehr gut! Und zum Wein hätte ich gerne noch ein Pellegrino«, sagte sie lächelnd.
»Sehr wohl, die Herrschaften. Zweimal Saltimbocca, kommt sofort.!«, dienerte der klein gewachsene Italiener routiniert und steuerte schnellen Schrittes die Küche an. Drei Minuten später schimmerte bereits der erlesene Rotwein in den Gläsern, nach dem Thorsten einen Schluck fachmännisch gekostet und diesen Jahrgang für gut befunden hatte.
Beide bedienten sich bei den Antipasti, dann erhob Thorsten sein Glas.
»Trinken wir auf eine erfolgreiche Zukunft, auf die nächsten Millionen!«, deklamierte er feierlich. Das Paar prostete sich zu, und Mona wollte endlich wissen:
»Worauf genau stoßen wir