Eilandfluch. Marie Kastner
vor der Zwillingsinsel konnte man schemenhaft lineare Steinstrukturen erkennen.
»Was ist das? Sieht wie Unterwasserruinen aus«, fragte Mona.
»Gut erkannt. Da unten liegen die Überreste einer römischen Siedlung. Ich habe mir auf You Tube mehrere Videos angesehen. Wenn man hier abtaucht, kann man sogar noch verschnörkelte Bodenfliesen von damals erkennen. Diese reizvolle Gegend war schon immer von reichen Leuten bewohnt«, erklärte Thorsten geduldig.
»Schau, da vorne am Eck wäre noch Platz für unser Handtuch. Wir könnten uns dort niederlassen und die paar Meter zur Insel hinüber schwimmen.«
Mona zeigte sich einverstanden. Sie breitete das Badetuch aus, band ihr Haar zu einem Knoten hoch und streifte Tunika und Sandalen ab.
»Schon fertig! Wegen mir kann es sofort losgehen.« Sie ließ sich bis zum Hals ins lauwarme Wasser gleiten, anmutig wie eine Nixe. Ihr Freund brauchte da etwas länger. In Gewässer, die er nicht kannte, hielt er grundsätzlich erst die große Zehe hinein, bevor langsam der Rest seines durchtrainierten Körpers folgte.
»Jetzt komm endlich! Wovor hast du Schiss? Hier gibt es bestimmt keine Haie. Die haben instinktiv eine Heidenangst vor dem Inselfluch«, lästerte Mona ironisch und planschte derart mit den Füßen, sodass Thorsten von oben bis unten klatschnass wurde. Dann schwamm sie kichernd von dannen, sich dabei immer wieder frech nach ihm umdrehend.
Er ließ sich vollends ins klare Wasser plumpsen.
»Na warte!«, drohte er zum Scherz und folgte ihr. Sie hatte mit wenigen Schwimmzügen bereits mehr als die Hälfte der kurzen Distanz zur Insel zurückgelegt. Am Felsvorsprung vor der Grotte hielt sie jedoch inne.
»Was meinst du, Schatz … kann ich es wirklich wagen, diesen
mit einem Fluch belegten Grund und Boden zu berühren?«
»Aber unbedingt!«
Thorsten zog sich hoch, reichte seiner Begleiterin seine starke Hand, um ihr aus dem Wasser zu helfen. Er war eben durch und durch Kavalier. Nun standen sie unmittelbar vor einer geräumigen Grotte, deren Eingang durch ein rostiges Scherengitter versperrt wurde. Man konnte lediglich zwei, drei Meter weit hineingehen. Dennoch prangte daneben ein weißes Warnschild mit roter Aufschrift an der Felswand:
Attenzione Pericolo! Specchio acqueo area demaniale interdetta, stand da zu lesen. Die Regione Campania hatte es angebracht.
Mona studierte es, konnte sich keinen Reim darauf machen.
»Bei steigendem Wasserspiegel könnte es hier gefährlich werden«, übersetzte Thorsten sinngemäß.
Mona lehnte sich gegen die raue Felswand, hielt ihr Gesicht in die Sonne. Blinzelnd sah sie zur anderen, unbebauten Hälfte der Insel hinüber, musterte skeptisch den schmalen Steinsteg, der die Hälften verband. Er wirkte marode. Nie im Leben würde sie mit ihrer Höhenangst dort hinüber gehen können.
»Mir ist schon ein wenig mulmig zumute, das muss ich zugeben. Wir könnten ebenso gut wieder zum Festland schwimmen, denn die Villa sieht man von hier aus sowieso nicht. Ich würde auch ungern verbotswidrig über die Absperrung klettern, um auf die Treppe zu kommen«, meinte Mona.
»Da hast du Recht. Wäre viel zu gefährlich«, bestätigte Thorsten und ließ sich wieder ins Wasser hinunter. Mona folgte. Gemeinsam steuerten sie schwimmend die Stelle an, an der sie ihre Siebensachen zurückgelassen hatte. Nur dass dort jetzt weder das Handtuch, noch Monas oder Thorstens Klamotten lagen. Nichts als nackter Fels leuchtete ihnen entgegen.
Hatte vielleicht der Wind die Sachen ins Wasser geweht? Sie sahen sich aufmerksam um. Nichts. Nach kurzer Suche war klar, dass hier ein dreister Dieb am Werk gewesen sein musste. Zum Glück bewahrte Thorsten Geld, Kreditkarten und Autoschlüssel traditionell in einer wasserfesten Box auf, die ihm an einer neongrünen Nylonschnur am Hals baumelte. Ansonsten wäre die Sache böse ausgegangen und wahrscheinlich auch der Mietwagen gestohlen worden.
»Verdammte italienische Langfinger! Mein Lacoste-Shirt konnten sie wohl gut gebrauchen. Jetzt dürfen wir nachher halbnackt ins Hotel zurückfahren«, fluchte der blonde Frankfurter.
Mona nickte betroffen. Schade um die schöne Tunika.
»Das stimmt leider, und diese Art von Pech können wir nicht einmal dem Inselfluch zuschreiben. Wenigstens habe ich meine nagelneue Gucci-Sonnenbrille vorhin in weiser Voraussicht im Handschuhfach verstaut.«
Das Paar beschloss, wenigstens das Beste aus der Situation zu machen. Von einer erhöhten Plattform aus, auf der ein größeres Verwaltungsgebäude stand, blickten sie zu La Gaiola hinüber. Von dieser Warte aus konnte man die Bebauung gut erkennen.
»Wer hat denn die herrschaftliche Villa auf der Insel erbaut, und wie alt mag sie sein?«, wollte Mona wissen. Die halb verrotteten Gemäuer hatten sie offenbar in Windeseile in ihren Bann gezogen.
»Ich habe selbstverständlich ein paar Recherchen angestellt, und das nicht nur über diesen vorgeblichen Inselfluch. Obwohl
… irgendwie scheint alles, was auch nur entfernt mit La Gaiola zu tun hat, damit ebenfalls zusammenzuhängen. Ich schildere dir gerne, was ich im Internet über die ersten Besitzer der Insel gefunden habe. Danach kannst du dir ein eigenes Bild machen.
Allerdings wirft die Antwort auf jegliche Frage gleich ein paar neue auf … also ich werde aus der ganzen Geschichte jedenfalls nicht schlau. Wieso diese wunderschön gelegene Villa dermaßen oft den Besitzer gewechselt hat – und das in einem Land des starken Familienzusammenhalts, wo man sein Eigentum traditionell seinen Kindern vererbt – ist mir ein Rätsel.«
»Schluss mit der langatmigen Vorrede, nun lass schon hören!«, quengelte Mona voller Ungeduld.
1874
Klein aber mein
»In etwa um Christi Geburt soll hier ein kleines Heiligtum der Göttin Venus gestanden haben. In späteren Zeiten hat man die Insel als Verteidigungsstützpunkt genutzt, aber etwas Genaueres konnte ich über die graue Vorzeit nicht herausfinden. Im siebzehnten Jahrhundert müssen auf diesen wenigen Quadratmetern verschiedene Fabrikationsstätten existiert haben, und zwar bevor La Gaiola erneut militärischen Zwecken diente.
Als erster Eigentümer der neueren Geschichte ist ein Archäologe namens Guglielmo Bechi dokumentiert, der die Insel 1820 zusammen mit einem Teil der gegenüber liegenden Landzunge kaufte. Es wird vermutet, er habe damit verhindern wollen, dass sich wieder Fabriken oder Militär dort ansiedeln, weil dadurch seine archäologischen Ausgrabungen gestört worden wären.
1874 veräußerte er die Liegenschaften an den Besitzer eines großen Fischereiunternehmens, der kurz nach dem Erwerb auch diese Villa erbaut haben soll. Jener Luigi di Negri muss innerhalb weniger Jahre mit seiner Firma eine gründliche Pleite hingelegt haben, und zwar noch während er auf La Gaiola lebte.
Er verkaufte notgedrungen an einen anderen Unternehmer, der in den Felshöhlen am Fuße der Insel und drüben am Festland angeblich pozzolana, das ist antike Vulkanasche von einem frühen Ausbruch des Vesuv, abbaute. Man kann dieses Material für die Herstellung einer ganz speziellen Betonsorte verwenden. Aber auch dieser Eigentümer kann dort nicht auf Dauer glücklich geworden sein.
Insel, Villa sowie das Grundstück am Kap gingen anschließend komplett in den Besitz der Familie des ehrenwerten Senators Paratore über. Sieh nur mal dort hinüber, Mona. Das ganze Areal, zu dem heute der Parco archeologico und das große Ambrosio-Anwesen gehören, also die riesige Villa dort am Steilhang, zählten damals zur Liegenschaft. Heutzutage wären allein schon die Grundstücke viele Millionen Euro wert.«
»Ein Traum, solche Anwesen zu besitzen«, meinte Mona. Sie beschirmte ihre Augen gegen die Sonne und sah in die angegebene Richtung.
»Stimmt haargenau! Und dennoch wechselte der Besitzer nach erstaunlich kurzer Zeit erneut. Paratore verkaufte alles an den Schriftsteller Norman Douglas, der ein großes Faible für Süditalien hatte. Der taufte