Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross
das Ganze total. Ursula verließ erregt den Raum, Attila war sauer. Er merkte wütend an, er werde jetzt diese Arbeit zu Ende machen, dann werde er hier verschwinden und in einer Pension übernachten, von wo aus er dann direkt nach Hause fliege. Nun platzte aber mir fast der Kragen!
Was sollte das nun wieder? Herrgott nochmal, wo war eigentlich das Problem? Als Ursula und Stefan zurückkehrten, redeten wir noch einmal über die Sache und das Missverständnis löste sich weitgehend auf. Egal was Ingrid als Geschenk im Sinn hätte, es würde bestimmt nichts mit Attilas erledigten Voreinstellungen zu tun haben, somit auch nicht zum Streitfall werden.
Puh, das ging noch mal gut! Attila schlief nämlich doch nicht in der Pension, sondern ruhig an meiner Seite ein.
Dann nahte der Heilige Abend. Ingrid kam vorbei, schwang nicht ganz logische Reden über ihren Job und ihre Kündigungsabsicht. Teilweise provozierte sie hierbei absichtlich ihre Mutter, wollte nach ein paar Wortgeplänkeln auch vorzeitig beleidigt abhauen, was wir mittels Besänftigung verhindern konnten. Aber wenigstens hatte sie Felix zu Hause in seinem Bett gelassen, damit er sich auskurieren konnte und niemanden ansteckte.
Bezüglich des Weihnachtsgeschenkes gab es zum Glück Entwarnung. Ingrid schenkte ihren Eltern einen Prepaid-Stick, mit dem sie im Internet surfen konnten, und eine Anleitung für die Programme auf dem Computer. Attila und sein Vater bekamen von Ursula und mir das gleiche Geschenk, und das ohne vorherige Absprache: das vieldiskutierte Buch von Thilo Sarrazin, in welchem dieser die These vertrat, dass Deutschland mit Hochdruck dabei sei, sich selber abzuschaffen. Ich bekam auch ein nettes Buch von einem Autor, den ich gerne lesen mochte; und Attila schenkte mir ein Teil von Thomas Sabo, eine silberne Badesandale am lilafarbenen Satinband. Die passte natürlich hervorragend nach Spanien und auch zu meiner Garderobe.
Wir beschlossen diesen Abend harmonisch und Attila zeigte seiner Mutter noch die Bedienung des Email-Programmes. Nun würden wir auch auf diesem Weg miteinander über die 2.000 km hinweg kommunizieren können. Ausprobiert wurde das Mailschreiben gleich einmal mit Bekannten der Szábos, die sich über das Lebenszeichen der beiden sehr freuten und gleich mehrere Mails an sie abschickten.
Erst als wir zu Bett gingen erzählte mir Attila, dass er vorhin eine SMS seiner Tochter Solveig erhalten habe. Eine recht ekelhafte und undankbare Mitteilung. Sie hatte sich darüber beschwert, was ihrem Vater eigentlich einfiele, ihr eine CD mit einem halbnackten Mann auf dem Cover zu schicken. Attila schrieb zurück, dass dieser Sänger hier in Spanien »in« sei. Woraufhin sie zurückschrieb, das sei ihr vollkommen egal, was in Spanien sei. Sie werde die CD zurücksenden, sie wolle sie nicht haben, eigentlich gar kein Geschenk von ihm.
Dieses Weib, es war ja nicht zu fassen! Der Sänger zeigte auf dem Cover einen nackten Oberkörper, wie jeder zweite Deutsche, wenn er samstags sein Auto wäscht. Solveig und daran Anstoß nehmen, dass ich nicht lache! Sie war schließlich jemand, der sogar im Schüler-CC schon wegen obszöner Äußerungen mehrfach verwarnt worden war.
Nein, die pubertierende Göre wollte vielmehr wieder einmal absichtlich ihren Vater vor den Kopf stoßen. Die Äußerung klang außerdem doch recht typisch nach der Prüderie ihrer Mutter. Klar! Wenn man gegen Attila Front machen konnte, so waren sich auch Uschi und Solveig trotz aller Differenzen temporär und zweckgerichtet wieder einig.
Am nächsten Morgen schickte Attila eine Antwort-SMS an Solveig ab. Wenn sie schon kein Geschenk von ihm wolle, dann solle sie konsequenterweise auch das mitgeschickte Bargeld an ihre Geschwister verteilen. Darauf kam erwartungsgemäß keine Antwort mehr. Selbstverständlich kam auch die CD nie zurück.
Mit Sorge hatten Attila und ich die Wetternachrichten verfolgt, die speziell für Südbayern neue ergiebige Schneefälle ankündigten. Wir wollten am ersten Weihnachtsfeiertag mittags von München aus zurück nach Spanien fliegen und hatten nun Angst, der Flieger könne womöglich nicht starten. Solche Szenarien hatten sich in Deutschland in den letzten Wochen andauernd abgespielt, mal war kein Streusalz auf den Flughäfen vorhanden, mal fehlte es an Enteisungsmittel für die Flugzeuge. Vorsichtig lugten wir am 25.12. durch die Gardine, um das Ausmaß der Katastrophe zu eruieren. Aber wir hatten Glück, der Schneefall hatte sich entgegen der Meldungen in erträglichen Grenzen gehalten.
Gut gelaunt fuhren wir zum Flughafen, nachdem wir eine herzliche Verabschiedung bei Szábos erfahren hatten. Das Flugzeug startete pünktlich und wir freuten uns schon mächtig auf unsere neue Heimat. Dort würden die Temperaturen wieder viel erträglicher sein, außerdem würden wir überhaupt keinen Schnee mehr sehen müssen. Nach der Zwischenlandung in Madrid war es soweit: wir steuerten die Küste an und fühlten uns prima.
Daheim war alles in Ordnung, kein Einbrecher hatte das Haus angetastet. Wir hatten schon Bedenken bekommen, weil die von Ausländern bewohnten Siedlungen über Weihnachten alle nahezu verwaist dalagen. Die Bewohner weilten ja überwiegend in ihren Herkunftsländern. Außerdem hatte jemand kurz vor unserem Abflug den Sattel meines Fahrrades von unserer Terrasse geklaut, trotz des abgesperrten Eisentors.
Einen Wermutstropfen gab es an diesem Abend dennoch zu verarbeiten: einen neuerlichen Stressanruf von Ronja. Irgendetwas mit »ich kann im Zimmer nicht fernsehen, weil irgendwas mit dem Receiver ist und Mama das nicht behebt.« Was weiß ich, es spielte auch keine Rolle. Der Anruf warf für uns lediglich die Frage auf, ob nun vielleicht schon jedes Kind eine eigene Glotze im Zimmer stehen hatte. Wenigstens gelang es Attila, Ronja zu beruhigen und auf ihre Mutter zu verweisen. Receiver-Probleme lösten sich von Spanien aus schlecht, vor allem dann, wenn man selbst gar nicht glücklich darüber war, dass Kinder Fernseher im Zimmer stehen hatten. Wahrscheinlich wieder einmal, damit vor dem Familienfernseher nur ja keine Konflikte entstanden, um die Uschi sich hätte kümmern müssen.
Es lebe die Erziehungsfähigkeit!
Am Sonntag nach der Rückkehr fing ein harmonisches, ruhiges Leben für uns beide an. Attila wollte in den nächsten Tagen mit der Arbeit etwas langsamer treten, wir schliefen aus und gingen einkaufen. Ansonsten kümmerten wir uns um das neue Haus im Residencial Ambra, welches wir für den Umzug herrichten wollten, und packten Kartons. Ich stellte meinen neuen Roman fertig und schickte meiner Freundin Meike und Attilas Mitarbeiter und Freund Michl je ein Exemplar zum Probelesen. Man kann sagen, es ging uns für einige Tage lang richtig prima.
An Silvester waren wir bei unserem kolumbianischen Freund Juan eingeladen. Dort ging es gewohnt kolumbianisch-temperamentvoll zu. Wir lernten die Zubereitung von Natilla, einer Süßspeise vom Blech, und weiteren Köstlichkeiten. In Kolumbien werden diese Speisen an Silvester traditionell auf der Straße gegessen, lange Tische säumen dann die Straßen. Dazwischen tanzen fröhliche Leute ausgelassen Salsa.
Ja, es gibt zweifelsfrei Völker, die das Leben viel mehr zu genießen wissen als der Durchschnittsdeutsche. Prompt bekamen wir ein Video zu sehen, das einen Querschnitt durch die vielfältigen Landschaften von Juans alter Heimat zeigte; auch den Schauplatz, an dem das Land dereinst wegen einer Blumenvase einen Krieg führte. Die »Florero-Affäre« quasi.
Kurz bevor wir einen grausamen Übersättigungstod starben, legte Claudia eine neue CD ein; es folgte ein weiterer kolumbianischer Brauch, der einmal mehr zeigte, wie emotional dieses Volk lebte. Ein mit weinerlicher Stimme in Spanisch vorgetragenes Lied über einen Mann, der es nicht schaffte, rechtzeitig zu Weihnachten und Silvester bei seiner Familie zu sein. Das Lied war mit infernalischem Glockengeläut im Hintergrund untermalt. Dieses musste dann in voller Lautstärke abgespielt werden, was immer die Boxen der Stereoanlage hergaben. In Kolumbien heulen dabei alle wie Schlosshunde und rennen mit Glocken durch die Gegend, erzählte Juan mit einem Augenzwinkern. Eine endlose Viertelstunde lang, bis Mitternacht.
Dann wurde, wie überall auf der Welt, auf das neue Jahr angestoßen und Feuerwerk gezündet, auch wenn dies in weiten Teilen Spaniens mittlerweile verboten war, weil es wohl übertrieben wurde. Gleichwohl hielten speziell die chinesischen Pyrotechniker ein breites Angebot bereit. Man nahm es hier nicht so genau mit derartigen Vorschriften. Bei jedem Knall flüchtete Claudia, die offenbar einen Heidenrespekt vor Feuerwerkskörpern hatte, erschrocken in Richtung des Hauseingangs.
Dann war natürlich wieder Salsa-Tanzen angesagt. Juan räumte die Wohnzimmereinrichtung beiseite – und schon schwangen er und Claudia strahlend das Tanzbein. Dieses Mal weigerte