Frontschweine. Léon Lancee
seinen Kopf schüttelte und etwas Unverständliches zum Führer sagte.
Dieser brüllte einen kurzen Befehl, wonach der Russe aufstand und sein Gewehr mit beiden Hände ergriff.
Er schwenkte die Waffe hoch und rammte sie mit voller Wucht hinunter, mitten ins Gesicht des verletzten Fahrers.
Die Knochen krachten, und seine Nase und sein Unterkiefer zersplitterten.
Der Fahrer fing in Todesnot zu schreien an und versuchte mit seinen Armen sein Gesicht zu schützen.
Das Gewehr kam wieder hoch und beim zweiten Schlag verschwand das untere Ende des Gewehrkolbens wirklich im Gesicht des Fahrers.
Blutspritzer flogen umher und das Schreien des Mannes verstummte zu einem dumpfen Röcheln und zum Blasen von Blutbläschen aus dem formlosen Klumpen Fleisch, der gerade noch sein Mund war.
Zwei weitere Schläge zerschmetterten das ganze Gesicht des unglückseligen Fahrers.
Die ganze Vorderseite seines Kopfes wurde zerschlagen und nach einigen leichten Zuckungen bewegte er sich nicht mehr.
Die anderen mussten ängstlich und erschüttert zusehen, wie die Leiche des Fahrers vollständig ausgeplündert wurde.
Hiernach wurden sie selbst von den Russen auf grobe Weise der Pistolen entledigt, die sie an ihren Koppelriemen trugen, wie auch von ihren Uhren und vom allem, was auch nur den geringsten Wert hatte.
Wolff protestierte, als einer der Russen seine Brieftasche mit den Fotos seines Mädchens darin wegnahm, hielt aber dann klugerweise den Mund, als der Russe ihm mit vor Hass flimmernden Augen ein Bajonett an seine Kehle drückte.
Mannfred warnte: „Schnauze, Wolff, sonst bist du tot!“
Der Führer verbot ihnen, noch etwas zu sagen und ließ ihre Hände fesseln.
Nachdem der Lkw durchsucht worden war, wurde ihnen mittels einiger Stöße mit den Gewehrkolben klargemacht, dass sie zwischen den russischen Soldaten mitgehen mussten.
Die schlechte Sicht in der Dunkelheit sorgte dafür, dass die gefangen genommenen deutschen Soldaten regelmäßig stolperten. Nur weil ihre Hände vor dem Körper und nicht hinter dem Rücken gefesselt waren, war es möglich, dass sie sich selbst aufrappeln konnten.
Die Angst, totgeschlagen zu werden, wenn sie sich nicht aufrappeln, trieb sie weiter.
Die Russen zogen in einen Wald und nach mehreren Stunden erreichten sie einige Holzhütten, mitten in einem dichten Waldstück.
Nachdem sie in eine Scheune geworfen worden waren, konnten sie sich endlich ein wenig vom erschöpfenden Fußmarsch erholen.
„Was für ein verdammtes Elend“, keuchte Wolff, „Ich bin kaputt und sterbe vor Durst“
„Nicht nur du, auch ich“, stöhnte Horst, „Ich bin erschöpft und konnte fast keinen Schritt mehr gehen.“
„Lasst uns zuerst unsere Hände mal losbinden“, brummte Mannfred.
„Helmuth, binde meine Hände los, dann kann ich deine losbinden. Wir müssen versuchen hier wegzukommen denn diese Burschen bringen uns gleich genauso um wie sie das mit dem Fahrer gemacht haben.“
Wolff schauderte: „Mein Gott, was war das für ein grässlicher Anblick. Das werde ich den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen. Und dabei hatte ich mir gedacht, dass all diese Geschichten über die schrecklichen Metzeleien bei Kriegsgefangenen nichts als Propaganda waren.“
„Vergiss es“, antwortete Mannfred, „Russen können genauso Grausam sein wie gastfreundlich. Das ist eben nicht vorhersehbar. Diesen Buschen lebendig in die Hände fallen, war das Schlimmste was uns passieren konnte.“
Während des Losbindens fragte Helmuth Mannfred, wieso er Russisch sprach.
Dieser zuckte die Achseln: „Ihr wisst, dass ich aus dem Grenzgebiet stamme, das nach dem Ersten Weltkrieg Polen zugewiesen wurde, und dort lernte man die slawischen Sprachen ein wenig, wenn man überleben wollte.“
„Warum hast du nie etwas darüber gesagt? So wie du übrigens nie viel über dein Privatleben loswerden möchtest. Wir nehmen alle an, dass du keine Verwandten mehr hast und dass etwas geschehen sein muss, weshalb du uns nie etwas erzählen willst.“
Mannfred blickte auf die Striemen an seinen Handgelenken und versuchte genauso wie die anderen seinen Kreislauf wieder ein wenig in Gang zu setzen.
„Diese Annahme stimmt haargenau, aber das ist jetzt nicht interessant. Und ich habe meine Russischkenntnisse immer für mich behalten, weil man mich sonst zu einer Aufklärungseinheit eingeteilt hätte, und ich wollte unbedingt einer Panzerdivision und einem Panzer zugeordnet werden. Lasst uns jetzt zuerst mal überlegen, wie wir hier wegkommen können, denn diese Burschen bringen uns in einer unangenehmen Weise um, wenn es uns nicht schnell gelingt, hier zu entkommen.“
Die hölzerne Scheune war, wie sich nach einer Untersuchung herausstellte, so solide gebaut, dass Entkommen unmöglich war. Es drangen absolut keine Geräusche von draußen in die Scheune.
„Ohne Waffen erreichen wir sowieso nichts“, legte Wolff vor.
„Wir werden wie Kaninchen auf der Flucht gehetzt und abgeknallt werden. Es wird uns nichts Anderes übrigbleiben als der Versuch, die Bewacher zu überrumpeln, wenn sie hereinkommen.“
Sie kamen zu dem Schluss, dass es keine andere Möglichkeit gab.
Abgesprochen wurde, dass sie sich schlafend stellen würden.
Drei Mann würden sich bei der Rückwand hinlegen, und Mannfred etwas näher bei der Tür an der Seitenwand in der Hoffnung die Russen überraschen zu können, sobald sich eine Gelegenheit ergab.
Es wurde beschlossen, dass sie nicht zulassen würden, dass einer von ihnen mitgenommen werden würde, weil dieser dann vermutlich nicht mehr lebendig zurückkommen würde.
Nur als Gruppe hatten sie noch eine kleine Chance, zu überleben.
Alle vier wussten sie, dass es ein Verzweiflungsversuch sein würde.
Es gab nichts zu planen. Es ging um alles oder nichts, denn es gab nicht die geringste Alternative.
Zur Überraschung der anderen holte Mannfred ein dünnes Kampfmesser aus dem Schaft seines linken Stiefels hervor.
Das gleiche Kampfmesser, mit dem er vor zwei Tagen die russische Schildwache getötet hatte, als sie in feindlichem Gebiet eine von den Russen bewachte Brücke überqueren mussten. (siehe “Kanonenfutter“)
Auch zeigte er mit einem breiten Grinsen seinen goldenen Siegelring, bevor er diesen wieder in seinem Stiefel versteckte.
Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, fing das gespannte Warten auf die Dinge an, die kommen sollten.
Nerven und Angst. Alle Vier spürten Nerven und Angst.
Bei Horst machte es sich dadurch bemerkbar, dass er zitterte, als ob er in dem Moment fröstelte. Er versuchte, es zu unterdrücken, aber das gelang ihm nicht.
Helmuth versuchte den anderen Mut zuzusprechen.
„Ruhig bleiben, Jungs, und nicht zögern, wenn Mannfred sich aufrichtet. Solange er liegen bleibt oder sitzt, passiert nichts, merkt euch das! Wir versuchen auf unserer Seite sehr vorsichtig und vor allem ruhig die Aufmerksamkeit der Wachen festzuhalten. Sobald er sich aufrichtet, ist das für uns das Zeichen, anzugreifen. Vor allem schnell und, wenn es geht, möglichst geräuschlos, aber auf jeden Fall alle zugleich, denn nur dann haben wir eine Chance. Alles klar soweit?“
Die anderen brummten zustimmend.
Danach hüllte jeder sich in Schweigen.
Es schien stundenlang zu dauern, bis sie hörten, dass am Schloss an der Tür gerappelt wurde.
„Achtung“, zischte Helmuth, „Da kommt einer.“
Die Tür wurde krachend aufgerissen und ein Streifen Tageslicht fiel durch