Frontschweine. Léon Lancee
das Mädchen einige Male gestrauchelt war, weil sie mit ihrem langen Bauernkleid an den Sträuchern hängen blieb, fasste Mannfred sie beim Arm.
„So hinterlassen wir zu viele Spuren und wir kommen nicht recht voran“, sagte er.
„Ich werde ein Stück von deinem Rock abschneiden, sodass er etwas kürzer wird, so ‘n knöchellanges Ding ist zu ungeschickt hier im Busch.“
Das Mädchen protestierte, aber Mannfred zog sein Messer.
„Steh´ still, dann kann ich einen geraden Streifen abschneiden, bis gerade unterm Knie. Dann gehst du viel bequemer! Du hast übrigens Stiefel an, also macht das keinen Dreck aus.“
Das Mädchen versuchte ihn wegzuschieben: „Nein, das will ich nicht, geh’ weg!“
Mannfred blickte verärgert und machte kurzen Prozess.
Nach einem klatschenden Schlag ins Gesicht gab sie ihren Wiederstand auf, und er schnitt den Rock gerade bis zum Rand ihrer Stiefel ab.
Horst protestierte gegen Mannfreds rücksichtsloses Vorgehen, aber Helmuth unterbrach ihn: „Halt’ dich da raus, Mensch, denn er hat einfach recht, sie blieb hängen und strauchelte immer mehr. Beeilung und möglichst wenig Spuren zurücklassen, heißt es hier, und das gehört auf jeden Fall dazu. Die Puppe meinte bestimmt, er wollte sich an ihr vergreifen oder so.“
Mannfred hatte sich wiederaufgerichtet: „So wird das ein Stück bessergehen, sagte er. „Und nur das war die Absicht.“
Er übersetzte diese Bemerkung auch ins Russische und fügte hinzu, dass sie weitermussten.
Das Mädchen gab keine Antwort, nahm aber den Stoffstreifen auf und steckte ihn in ihren Rucksack, um dann ohne ein Wort weiterzugehen.
Mannfred ging kurz hinter ihr, und darauf folgten die anderen in einer Reihe.
Ab und zu kontrollierte er auf seinem Kompass, ob das Mädchen die richtige Richtung einhielt, aber sein Misstrauen ihr gegenüber war bereits größtenteils verschwunden.
Allerdings ermahnte er sie ständig, das Tempo so hoch wie möglich zu halten.
Unterdessen behielten sie alle die Gegend scharf im Auge.
Stunde um Stunde marschierte die Gruppe weiter, und erst nachdem die Dämmerung eingefallen war, gab Mannfred ein Zeichen, dass das Mädchen am Ende ihrer Kräfte war, sodass ein Platz zum Übernachten gesucht werden musste.
Ohne Ausnahme reagierten die Anderen erleichtert und stimmten darin überein, worauf sie den Wildpfad verließen und quer durch das Gebüsch weiterzogen, um einen sicheren Schlafplatz zu suchen.
Unter einigen großen Bäumen fanden sie ein mit Gras bewachsenes kleines Grundstück zwischen den Sträuchern, das nach Mannfred ein geeigneter Platz zum Übernachten war.
Die ganze Gruppe ließ sich ins Gras fallen und machte es sich bequem.
Die Reste des Proviants wurden ausgepackt und nach dem Essen war es fast schon dunkel im Wald.
Horst seufzte tief auf: „Nicht zu glauben, was wir hier in wenigen Tagen erleben. Entkommt man gerade aus feindlichem Gebiet, zwei Tage später ist man wieder genauso weit, aber dann ohne Feldwebel Fritsche und seine Männer. Mit ihm dabei hätte ich mich ein Stück wohler gefühlt.
Ich bin geschafft, und für mich ist es ein Wunder, dass diese Puppe so lange durchgehalten hat. Das kannst du ihr auch gerne sagen, Mannfred, es ist auf jeden Fall etwas netter als ein Schlag auf ihren Kopf. Und sei ehrlich, sie hat uns nicht reingelegt und mit allem Wort gehalten. Dass wir jetzt schwer bewaffnet sind, verdanken wir auch ihr.“
Wolff stimmte ein: „Ich muss gestehen, dass Horst recht hat. Und sie scheint mir ein ziemlich junges Ding, also etwas Menschlichkeit ist hier bereits angebracht, meine ich.“
Auch Helmuth, der ausgestreckt auf seinem Rücken lag, mit einem Rucksack als Kissen und die Augen bereits geschlossen hatte, reagierte.
„Die Jungs haben recht, Mannfred. Dass du mittlerweile ein erfahrener Schlachter zu werden anfängst, bedeutet nicht, dass du jeden so scharf anzugehen brauchst. Das Kind hat heute sein Bestes getan, und das darf auch wohl mal gesagt werden. Wir wissen nicht mal, wie sie heißt und was sie dort machte.“
Mannfred sah die Gruppe ringsum an und zuckte die Achseln.
„Mir recht, ich wollte nichts Anderes als schneller weiterkommen und ihr das Laufen etwas leichter machen.“
Wolff lachte spottend: „Ja, das glaub’ ich, nur bringst du das so flott, dass so ‘n Kind sofort meint, dass es dran ist. Aber wir können nicht mit ihr quatschen, also ist es deine die Aufgabe, ihre Einsamkeit etwas zu vermindern. Loyalität und Vertrauen kann man nun mal nicht mit Gewalt reinrammen.“
Horst stand mühsam auf, ging auf das Mädchen zu und gab ihr mit einem Lächeln auf dem Gesicht seine Feldflasche.
Das Mädchen saß mit dem Rücken an einem Baum und nahm nach kurzem Zögern die Feldflasche an.
„Ich danke dir für alles, was du heute für uns getan hast. Das werde ich dir sicher niemals vergessen“, sagte er freundlich.
Er ging wieder zu der Stelle zurück, wo sein Rucksack lag, und legte sich wieder hin.
„Übersetz’ das mal, Mannfred.“
Mannfred setzte sich näher zum Mädchen und sagte zu den anderen: „Die Botschaft ist bereits klar, ich werde mal mein Bestes tun. Ich werde dazu auch sofort die ersten Stunden die Wache übernehmen, dann könnt ihr inzwischen etwas Schlaf nachholen. Es wird sowieso die ganze Nacht einer Wache stehen müssen.“
„Da hast du recht“, antwortete Helmuth. ohne die Augen zu öffnen.
„Wenn du das Wacheschieben satt hast, kannst du mich wecken, dann übernehme ich.“
Mannfred richtete seine Aufmerksamkeit auf das Mädchen.
„Meine Kameraden möchten dir für deine Hilfe danken, darüber freuen sie sich sehr, und sie bestehen darauf, dass ich dir das sage. Und das gilt natürlich auch für mich selber. Ich bedaure den Schlag in dein Gesicht, aber ich wollte dir das Laufen durch das Gebüsch nur etwas leichter machen und wollte auch keine Zeit verlieren. Das hätte ich besser anders angehen können, aber nach dem, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, bin ich in meinen Reaktionen ein bisschen kürzer angebunden. Die Kameraden fragten mich auch, wie du eigentlich heißt und was du dort in diesem Partisanenlager gemacht hast. Du sollst keine Angst vor uns haben, wir sind auf der Flucht und wollen nach Minsk oder auf jeden Fall so schnell wie möglich unsere eigenen Truppen erreichen. Und wir sorgen dafür, dass du auch nach Minsk kommst.“
Er unterbrach seine Ausführungen und sah das Mädchen ruhig an, ihre Reaktion abwartend.
Es dauerte eine Weile, bis das Mädchen Antwort gab, aber Mannfred ließ die Stille ruhig andauern, bis sie zu sprechen anfing.
„Mein Name ist Jelena und ich bin siebzehn Jahre alt. Als der Krieg unser Dorf erreichte, bin ich zusammen mit meinem Vater in die Wälder geflüchtet, weil er bei der Miliz war und wir gehört hatten, dass die Deutschen alle Milizmitglieder erschossen hatten. Deshalb hat mein Vater sich den Partisanen angeschlossen, vor allem, weil wir nirgendwo anders hinkonnten. Vorige Woche wurde mein Vater bei einem Überfall auf deutsche Lkw schwer verletzt, und es steht wohl fest, dass er seine Verletzungen nicht überleben wird. Das war auch der Grund, warum ich flüchten wollte. Ich habe bereits erzählt, was dem anderen Mädchen passiert ist, nachdem ihr Vater in einem Kampf mit euch gefallen war. Und unser Führer hatte im Lager schon herumerzählt, dass ich ihm gehören würde, sobald mein Vater nicht mehr da wäre. Meine Mutter ist vor Jahren gestorben, und deshalb wollte ich zu meinen Großeltern in Minsk. Der Führer, Wassily, war ein grausamer und herzloser Mann, ein schlechter Mensch. Ich hatte vom ersten Tag an Angst vor ihm. Er hat auch gesagt, dass ihr heute zu Tode gefoltert werden würdet. Das ist vorher mit zwei gefangenen deutschen Soldaten passiert, und das war grässlich zum Anhören.
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