Frontschweine. Léon Lancee
gewesen, von dort wegzukommen. Ihr habt ein Risiko genommen, indem ihr mich den Weg zeigen liest, aber vergesst nicht, dass ich mein ganzes Leben einem Haufen fremder Soldaten habe anvertrauen müssen, also ist es nicht so überraschend, dass ich Angst bekam, als du mit deinem Messer meinen Rock abschneiden wolltest. Eigentlich bin ich euch mehr oder weniger ausgeliefert, denn ihr seid vier Kerle und ich bin nur ein einsames Mädchen.“
Das Mädchen sah ihn im Halbdunkel an.
Mannfred lachte freudlos: „So hatte ich das nicht gesehen. Aber das mit diesen Kerls ist wirklich nicht so schlimm, weißt du. Ich bin erst achtzehn Jahre und die anderen sind fast alle gleich alt. Fast Jungen noch also, aber ich habe innerhalb von drei Tagen mit meinen eigenen Händen bereits vier Menschen getötet. Nur, um zusammen mit meinen Freunden überleben zu können. Und einer von uns ist vor wenigen Tagen gefallen, wir waren eigentlich immer zu fünft.
Mach´ dir also keine Sorgen wegen uns, niemand von uns wird dir etwas antun.“
Mannfred sah sie an und fragte dann: „Aber findest du es nicht schlimm, dass du keinen Abschied von deinem Vater nehmen konntest? Ich hatte dir doch gesagt, dass du ihn vermutlich nie mehr wiedersehen würdest.“
Das Mädchen gab ihm keine Antwort. In der Stille, die eintrat, hörte er sie leise weinen.
Einen kurzen Augenblick lang wusste er nicht, wie er reagieren sollte, aber aus einem unerwarteten Gefühl des Mitleids schob er sich ohne Nachdenken näher an das Mädchen heran und legte seinen Arm um ihre Schultern.
Diese kleine menschliche Gebärde machte es nur noch schlimmer, und er spürte, wie ihr Körper von heftigem Weinen geschüttelt wurde.
Mannfred zog sie an sich, und das Mädchen begrub ihr Gesicht in seiner Uniformjacke, um das Schluchzen zu dämpfen.
Mit seiner freien Hand strich er über ihre Haare, und wiederholte unterdessen immer wieder, dass alles gut werden würde.
Nach einer Weile wurde das Mädchen wieder etwas ruhiger und löste sich von ihm.
„Versuche etwas zu schlafen“, riet er ihr, „Ich muss noch ein paar Stunden Wache halten, und morgen wird wieder ein schwerer Tag.“
Das Mädchen nickte schweigend und legte sich auf den Boden mit ihrem Rucksack als Kissen.
Mannfred stand auf und ging zu den anderen, um seine Maschinenpistole an sich zu nehmen, wonach er sich dann mit seinem Rücken an einem Baum ganze nahe zu ihr setzte, um wache zu halten.
Er lauschte den Geräuschen der Natur und roch den Duft des Walds.
Unterdessen über alles nachdenkend, was geschehen war, über ihre Chancen und über sein Mitleid mit dem Mädchen, das zu der Art gehörte, die er immer als “Ostmenschen“ bezeichnet hatte, und die er doch eigentlich hasste.
Nach wenigen Stunden wurde es durch den niederschlagenden Tau kühler und feuchter im Wald.
Er fröstelte, obgleich es nicht wirklich kalt war.
Etwas später stand er auf, zog seine Uniformjacke aus und legte diese als Decke über das Mädchen.
Mannfred fühlte sich überhaupt noch nicht schläfrig und hielt Wache, bis es fast wieder hell wurde.
Erst dann weckte er Helmuth, sodass er selbst auch noch einige Zeit ruhen konnte.
Nachdem dieser schläfrig aufgestanden war, legte Mannfred sich nahe zum Mädchen ins Gras und schlief gleich darauf wie ein Klotz.
Es war schon ziemlich hell, als Helmuth aufstand, um Wolff und Horst zu wecken. Hierdurch erwachte das Mädchen auch.
Sie entdeckte die Uniformjacke, mit der sie zugedeckt worden war und sah den Russisch sprechenden deutschen Soldaten ganz nahe neben ihr liegen. Sie streckte sich aus und richtete sich auf.
Bevor sie aufstand, legte sie vorsichtig die Uniformjacke über den schlafenden Soldaten neben ihr.
Helmuth sah ihr zu und gebärdete ihr, zu den anderen zu kommen, um zu essen.
Mittels Gebärden, als ob er mit seiner Waffe Wache stand und auf die Sonne und seinen schlafenden Kameraden zeigend, versuchte er ihr klarzumachen, dass Mannfred die ganze Nacht Wache gehalten hatte.
Wolff reichte ihr sein Messer, sodass sie ihr Brot und ihren Speck schneiden konnte.
Während sie aßen, versuchten sie mittels Gebärden und einiger Worte mit ihr zu kommunizieren.
Jeder bemühte sich, sich freundlich zu benehmen. Das Mädchen schien auf jeden Fall zu verstehen, dass sie willkommen war.
„Es ist nicht leicht, mit Russen zu kommunizieren“, lachte Wolff, „Nur ein Glück, dass dieser schlafende Busenfreund gut Russisch spricht. Sonst hätten wir noch viel tiefer in der Patsche gesteckt.“
Horst brach in Lachen aus: „Wenn ich ihm gleich sage, dass du deinen Busenfreund einen Rohling nennst, habt ihr heute auf jeden Fall wieder genug Stoff, untereinander zu meckern.“
Helmuth machte eine abwehrende Gebärde: „Um Himmels willen, Horst. Ich hab’ wenig Lust, mir das Gezänk der beiden hier mitten in feindlichem Gebiet anzuhören. Schlafende Hunde soll man nicht wecken und halt’ deine Schnauze.“
„Haha“, lachte Wolff, „Das werde ich Mannfred erzählen. Jetzt bist du auch mal dran, Freundchen! Hält der arme Junge die ganze Nacht Wache für euch, und dann nennst du ihn einen Hund, während er brav schläft. Nein, das ist erst recht eine Gemeinheit.“
Die Besatzung fiel wieder in ihre alte Umgangsgewohnheit zurück, und das war ein Zeichen, dass die Spannungen des Abgeschnittenseins nachließen.
Das Mädchen sah interessiert zu, und trotz des Umstands, dass sie kein Wort verstehen konnte, erkannte sie, dass diese Soldaten auch Freunde waren und dass die Spannungen und die Rivalität, die immer im Partisanenlager hingen, hier im Umgang miteinander keine Rolle spielten.
In diesem Moment sahen sie eher wie ausgelassene Jungen als faschistische deutsche Mörder aus, wie sie in der russischen Propaganda jedes Mal genannt wurden.
Sie lachte denn auch heiter mit, als Helmuth einen Schuss Wasser aus seiner Feldflasche über den schlafenden Mannfred klatschen ließ.
Der schoss mit vorgehaltener Maschinenpistole hoch, während seine Kameraden schallend lachten.
Wild schmiss er die Waffe von sich.
„Scheiße, sogar mitten zwischen diesen verdammten Russen müssen sie diese blöden Kasernenwitze noch reißen.“
Quasi wütend schüttelte er seine Faust in Richtung der anderen.
„Verdammt! Ich mach noch mal so ‘n Betriebsausflug mit euch!“
Als er das Lächeln des Mädchens sah, senkte er überrascht seine Fäuste.
Ein breites Grinsen zog über sein Gesicht, als er auf Russisch sagte: „Das ist nun die furchterregende deutsche Armee. Man kann jetzt mit eigenen Augen sehen, dass es nicht mehr als eine Bande debiler Kinder sind. Und davor hast du Angst gehabt. Es ist einfach ein Kindergarten, der sich auf einem Schulausflug verirrt hat.“
Heiter reagierte sie: „Wir wussten nicht mal, dass ihr Deutsche lachen könnt. Aber ich muss gestehen, dass ich mich jetzt ein Stück weniger bedroht fühle, da ich dies gesehen habe.“
„He, du Schleimer“, kam Wolff dazwischen, „Lasst uns auch mal eure intime Konversation mitgenießen. Dein Ausflug ins Kosakenland sieht so nach und nach dem Trip von Untersturmführer von Losswitz ähnlich. (siehe “Kanonenfutter“) Für mich ist nichts so schlimm wie ausgegrenzt zu werden, während ich umringt von feindseligen Sowjets herumrennen muss und mein bester Freund klammheimlich ein bisschen mit dem Feind anbändelt.“
„Wo du das so sagst“, lachte Horst, „Ich bekam auch so das Gefühl, dass unser Draufgänger ein wenig aufzutauen anfängt, weil er entdeckt hat, dass die Partisanenjungfrau weniger hässlich ist als wir alle meinten.“
Er