Frontschweine. Léon Lancee
das Mädchen, bevor er noch ein paar letzte Worte sprach.
„Kleine Jelena, unsere Begegnung war unerwartet und heftig, aber die Zeit für eine Zukunft war uns nicht gegönnt. Vergessen werde ich dich auf jeden Fall nie mehr. Ruhe in Frieden.“
Er fasste mit einem verbissenen Gesicht seine Pionierschaufel und fing an, das Grab zuzuschütten, wobei die anderen aus der Distanz zusahen, weil er sie gebeten hatte, ihm die Zeit zu geben, das Mädchen selbst zu begraben.
Danach tarnte er die Stelle mit Kiefernnadeln und Blättern.
Unterdessen hatte Helmuth die Erkennungsmarken der toten Russen gesammelt und auch die schwere Nagan Pistole in seinen Rucksack gesteckt.
Der Anblick, den der schwer verstümmelte Körper des Heckenschützen bot, hatte ihn schwer zu schaffen gemacht.
Dass sein Freund zu so was imstande gewesen war, hatte ihn richtig schockiert.
„Komm, wir gehen“, sagte er kurz, als Mannfred fertig war.
Der sah sich noch einmal traurig um, als sie gemeinsam fortmarschierten.
Schweigend gingen die vier deutschen Soldaten hinter einander, gespannt und auf alles vorbereitet.
Aber es geschah überhaupt nichts mehr, bis sie die Rollbahn erreichten.
Neben dem ausgebrannten Wrack eines Lkw ließen sie sich in den Graben neben der Straße fallen, um auf einen vorbeifahrenden deutschen Lkw oder eine Kolonne zu warten.
Es war Mannfred, der nach einer Weile die Stille durchbrach.
„Während der ersten Ruhepause heute Morgen erzählte Jelena mir, dass sie heute Nacht bei mir sein wollte. Und als sie heute Nachmittag im Sterben lag, weinte sie und sie sagte, dass es ihr leid tat, dass sie mich abgewehrt hatte, als ich sie in der vergangenen Nacht beim Kosen besitzen wollte.
Ihre letzten Worte waren: „Ich liebe dich, gib mir noch einen Kuss.“ Und als ich ihr diesen Kuss gab, war sie auf einmal tot. Ohne noch einen Ton von sich zu geben. Ich war verliebt in sie … und sie in mich. Wir wollten in Minsk zusammen ausgehen und zusammen……..
Mannfreds Stimme stockte. Er schlug die Hände vors Gesicht und seine Schultern zuckten. Mit keuchenden Schluchzern brach er in heftige Tränen aus und weinte wie ein Kind.
Wolff setzte sich neben ihn und legte einen Arm um seine Schultern.
Ohne ein Wort zu sagen, wartete er, bis sein stahlharter Kamerad sich ausgeweint hatte.
Nachdem dieser sich beruhigt hatte, zeigte er Wolff seine geöffneten Hände.
„Daran klebt seit heute das Blut unbewaffneter Feinde. Ich war so wütend und so voller Hass, wenn Jelena nicht mehr lebte, wollte ich jeden ermorden. Und das ist denn auch genau das, was ich heute Nachmittag getan habe. Einfach gemordet, es gibt kein anderes Wort dafür. Und da meine ich nicht die, die im Kampf getötet wurden, sondern die Gefangenen und die Verletzten. Und dann erwähne ich nicht mal den Heckenschützen. Den habe ich einfach mit meiner Pionierschaufel in Stücke gehauen. Das ist was vier Wochen Krieg mit einem Menschen machen können. So entstehen die meisten Kriegsverbrechen, aus Wut und Rachsucht, weil deine Kameraden oder Freunde abgeschlachtet werden. Und das lässt uns Soldaten immer weiter töten. Das Schlimmste ist, dass ich es nicht mal wirklich bedaure, obgleich meine Vernunft sagt, dass es total falsch war.“
Wolff wusste nicht, was er hierauf antworten sollte.
„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir nicht fürchterlich erschrocken waren, als du den Gefangenen und den Verletzten den Garaus gemacht hast. Aber vielleicht hätte ich das Gleiche getan, wenn es Cindy passiert wäre. Ich weiß es nicht. Nach mir sollen wir uns in Minsk zunächst mal gut volllaufen lassen und dann mal eine ordentliche Nacht schlafen. Das würde uns allen guttun, denk’ ich so.“
„Meinst du?“ fragte Mannfred, indem er sein Gesicht abwischte.
„Natürlich!“ kam Helmuth dazwischen. „Das scheint mir ein guter Plan, ich sterbe schon jetzt vor Durst.“
„He Leute, eine Staubwolke“, rief Horst, „Da nähert sich Verkehr!“
Die ganze Gruppe freute sich über die Ablenkung, die sofort für einen Themenwechsel sorgte. Sie sprangen auf die Rollbahn auf und schwenkten ihre Arme. Etwas später hielt eine deutsche Transportkolonne neben ihnen.
Ein Leutnant sprang vom Beifahrersitz aus der Kabine und sah sie erstaunt an.
„Was macht ihr hier so mutterseelenallein in der Wildnis? Ihr seid so staub- und blutverdreckt, dass es den Anschein hat, als ob ihr eine komplette Feldschlacht geliefert habt.“
Helmuth nahm sofort Haltung an und machte Meldung.
Nach ein paar Minuten unterbrach der Leutnant ihn.
Nimm zuerst mal eine bequeme Haltung an und vergiss die Kasernenhaltung. Bring ein paar Feldflaschen Wasser“, brüllte er zum Fahrer. „So, trink’ was und erzähl’ dann ruhig weiter.“
Als Helmuth seine Geschichte kurz erzählt hatte, pfiff der Leutnant durch die Zähne. „Das ist doch mal eine Geschichte! Ihr habt euch tapfer gehalten, Männer. Wie viele Partisanen habt ihr bei dieser letzten Konfrontation getötet?“
„Zwölf, Herr Leutnant“, antwortete Helmuth, während er ihm zwölf russische Erkennungsmarken übergab.
„Alle Achtung“, reagierte dieser, „Das macht zusammen mit den drei im Partisanenlager insgesamt fünfzehn Mann aus einem Lager mit sechzehn. Ihr habt das ganze Lager ausgerottet! Ich werde das alles im meinen Bericht melden. Klettert schnell hinten in den Wagen und macht es euch bequem. Wir haben bereits zu viel Zeit verloren.“
Erschöpft ließen sie sich hinten auf den Boden der Ladefläche des Lkw fallen, wonach der Leutnant mit einer Armgebärde das Abfahrtsignal gab und einstieg.
„Uff, endlich Ruhe“, schnaufte Helmuth. „Aber diesmal ist die Kolonne so groß, dass niemand auf die Idee kommen wird, die Fahrt zu stören. Jetzt können wir endlich ruhig schlafen.“
Mannfred sah ihn zufrieden an: „Danke, dass du die Geschichte erzählt hast, ohne meine Beziehung und ohne meine Rolle zu erwähnen. Das erspart mir eine Menge schwierige Fragen von diesen Bürohengsten in Minsk.“
Helmuth grinste: „Ist doch logisch. Außerdem hätten sie uns deswegen alle verhören wollen, und das hätte bedeutet, dass wir uns heute Abend nicht hätten besaufen können.“
„Herrlich“, stöhnte Horst, „Das ist nun gerade, was ich brauche. Schlafen, viel Alkohol und dann noch mal schlafen. Und dieses Programm kann von mir aus sehr lange fortgesetzt werden!“
„Ha“, lachte Wolff, „Ich garantiere euch, dass ich heute Abend jeden unter den Tisch saufen werde. Dich auch, Mannfred. Es hat in den letzten Tagen Momente gegeben, da ich meinte, dass wir es nicht schaffen würden, vor allem als wir in der Scheune eingesperrt waren. Dass alles gut gegangen ist, haben wir auch zu einem ordentlichen Teil deinem Verhalten zu verdanken. Das darf auch wohl mal gesagt werden. Meinen Dank dafür.
Und es tut uns wirklich leid, dass du wegen des Todes deiner kleinen Freundin am miserabelsten davongekommen bist. Ich werde dir nicht mit dem nutzlosen Unsinn. Du bist noch jung, und es kommen in deinem Leben noch genug Mädchen vorbei“ kommen. Aber die Zeit heilt fast alle Wunden, also auch deine.“
Helmuth stimmte ihm zu: „Da sind Horst und ich uns ganz einig, Mann. Du hast dich wirklich gut gehalten. Aber ich hoffe, dass du nie mehr so ausrastest wie heute Nachmittag. Wenn jeder Sowjetsoldat das auch macht, haben wir, wenn wir gefangen genommen werden, auch nicht die geringste Chance, das zu überleben. Das ist, meine ich, die beste Art, klarzumachen, dass so was nicht zu beschönigen ist, umso mehr, als wir in dem Moment nicht in direkter Gefahr waren. Und bei dem Besäufnis heute Abend bin ich sicher mit von der Partie.“ Mannfred lachte gekünstelt: „Nicht nur du, ganz gewiss auch ich, die Frage ist nur, wer als Erster unterm Tisch liegt. Ich trinke heute Abend, um zu vergessen und hoffe, dass ich sehr schnell unterm Tisch liege. Und mit dem