Frontschweine. Léon Lancee
mich als sie starb zum ersten Mal bei meinem Vornamen genannt.
Und dabei hatte ich das Gefühl, dass ich sie wirklich liebte und dass wir Pläne für die Zukunft machen konnten. Diese Dinge miteinander, in Verbindung mit meiner Aversion gegen den Ostmenschen und mit dem, was wir in letzter Zeit bereits durchgemacht haben, haben eine Reaktion hervorgerufen, die ich mir früher niemals hätte vorstellen können. Sie war verdammt erst siebzehn Jahre alt! Aber ich denke nicht, dass so was je wieder geschehen kann. Das will ich doch wirklich nicht hoffen!“
Nach diesen Worten sah er schweigend auf seine Hände, als ob das Blut, das daran klebte, noch sichtbar war.
„Vergiss es“, klang die Stimme von Horst, „Heute Abend legen wir mal richtig los, und morgen sieht die Welt wieder anders aus. Und jetzt will ich endlich kurz meine Augen zumachen, sonst schaffe ich das heute Abend nicht.“
„Straffer Plan“, seufzte Wolff, während auch er seine Augen schloss.
Nur Mannfred blieb noch lange Zeit nachdenklich sitzen, während die anderen längst schliefen.
2
Nachdem sie sich bei ihrer Ankunft gemeldet hatten, bekamen sie vom Quartiermeister zu hören, dass die neulich angekommenen Panzer bereits per Bahn weiter zur Stadt Orscha, die zwischen Minsk und Smolensk lag, transportiert worden waren.
Marschpapiere für den nächsten Tag wurden sofort ausgestellt, sodass aus dem versprochenen Urlaub in der Stadt Minsk nicht viel wurde.
Der erste Abend in Minsk war auch gleich ihr letzter.
Wohl besuchten sie an diesem Abend ein ´Soldatenheim`, sodass die abgesprochene Zecherei doch noch stattfinden konnte.
Obgleich keine rechte Stimmung aufkommen wollte, wurde so viel getrunken, dass sie wankend ihr Nachtquartier aufsuchten.
Am nächsten Morgen stieg die einigermaßen benebelte Gruppe wieder früh in einen Lkw, in dem sie während der Fahrt nach Orscha ihren Rausch ausschlafen konnten.
Dort wurde ihnen auf dem Bahnhof ihr neuer Panzer III übergeben, und gleich danach fuhren sie in einem Konvoi in Richtung Smolensk zurück, wo Helmuth die Besatzung nach einer Übernachtung im offenen Feld, wieder bei Leutnant Mayer zurückmelden konnte.
Der war über die Ereignisse unterwegs im Bilde und sprach im Namen des Majors seine Achtung vor ihrem Verhalten aus.
„Es tut mir für euch leid, dass der Urlaub in Minsk ins Wasser gefallen ist, aber es waren eben die Umstände, und daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern. Ihr bekommt von mir zwei dienstfreie Tage, wobei ich allerdings davon ausgehe, dass ihr euren neuen Panzer so schnell wie möglich für den Einsatz fertigmacht. Vollgetankt, voller Munition und mit der alten Turmnummer! Beim Fourier Quartiermeister bekommt ihr eure Ersatzausrüstung und Kleidung. Der weißt Bescheid. Unser Zug ist wieder der Aufklärungsgruppe von Hauptmann von Löwenburg und Leutnant von Hartenstein zugeordnet. (siehe ´Kanonenfutter`) Ihr wisst, was das bedeutet.“
Der Leutnant zeigte mit einem Lächeln auf ihr Eisernes Kreuz 2. Klasse. „Eine ausgezeichnete Gelegenheit, euch noch mehr Auszeichnungen zu verdienen. Aber genauso wie bei den vorigen Malen wird es kein Ausflug ohne Risiken sein, wie ihr mittlerweile bereits erfahren habt. Ich nehme an, dass ich mich auf euch verlassen kann?“
Helmuth nahm Haltung an: „Natürlich, Herr Leutnant, aber uns fehlt noch immer ein Mann an Bord.“
„Brauchst nicht mehr strammzustehen, Kessler“, lachte der Leutnant, „Ihr neues Besatzungsmitglied habt ihr in Minsk nicht getroffen, aber er ist inzwischen hier angekommen. Ich schicke ihn gleich zu euch. Genießt die Ruhe dieser nächsten zwei Tage, denn dann wird es wieder Ernst.“
Helmuth ging zu den anderen zurück und informierte sie.
„Ha“, lachte Wolff zu Mannfred. „Das werden wieder erschöpfende, aber auch spannende Tage mit dem von Hartenstein. Ideal für Grübler wie du zurzeit einer bist. Hübsch ein paar Tage durchs Land ziehen und die Jünger von Onkelchen Josef Stalin ein bisschen auf Trab bringen. So erholst du dich wohl am schnellsten.“
Mannfred grinste wie ehedem: „Hör’ zu, du mobiler Fressladen. Mein größtes Problem ist, dass ich dich nicht mehr als Kindervergewaltiger beschimpfen kann, weil meine Freundin noch jünger war als deine Cindy. Aber der Gedanke, wieder zusammen mit dir in der eisernen Kaffeemühle eingesperrt zu sein und dein Quatschen anhören zu müssen, ohne sofort aussteigen zu können, ist eine totale Katastrophe.“
Wolff pfiff lange durch die Zähne.
„Aber nein, das Kind ist dabei, wieder normal zu werden. Ich habe mich in den letzten Tagen nicht getraut, dir aufgrund von Verführungsversuchen bei sehr jungen Mädchen komische Neigungen anzuhängen, aber diese Schwelle gibt es für mich jetzt natürlich nicht mehr. Nach allem, was ich wegen meiner Beziehung zu einem Mädchen von achtzehn Jahren habe hinunterschlucken müssen, kannst du dich auf einiges gefasst machen, Schätzchen. Wenn bei der russischen Propaganda bekannt geworden wäre, womit du beschäftigt warst, wäre die ruhmreiche deutsche Wehrmacht sofort als ein Verein uniformierter Kinderverführer plakatiert worden.“
Helmuth und Horst sahen gespannt zu, wie Mannfred auf dieses peinliche Thema reagieren würde.
Zur Erleichterung aller höhnte er nur: „Kannst du vergessen, Kindervergewaltiger! Denn ich habe mich auf jeden Fall wie ein Gentleman benommen und meine Freundin nicht sofort vier Wochen in Angst versetzt, ob sie schwanger ist. Und wo wir nun doch gerade davon sprechen, hast du schon eine Nachricht aus der Heimat bekommen, dass die Luft rein ist und dass du nicht Vater wirst? Also nein, umso mehr Grund dafür, dass du auf jeden Fall niemandem etwas vorwerfen kannst.“
Helmuth stöhnte quasi verzweifelt, aber unterdessen erleichtert: „Es ist wieder soweit, Mann. Die zwei haben sich wieder erholt und sind wieder gesund, also können wir uns die ewige Quengelei dieser Halbidioten wieder anhören.“
Wolff schaute bedenklich drein: „Hm, eigentlich wird es tatsächlich Zeit, dass wir endlich mal etwas Post bekommen. Das wäre eine Erleichterung.“
Er schlug seinem Kameraden klatschend auf die Schulter. „Aber ich habe noch eine Überraschung für dich, du Trottel. Ein Geschenk von Peter Zimmermann, dem Kommandanten des ´244`. Er hat gehört, was wir erlebt haben, und schenkte mir spontan die Hälfte seines Zigarrenvorrats, mit der Mitteilung, dass ich sie dir geben sollte.“
Wolff übergab eine kleine Holzschachtel mit einem Feuerzeug.
Mannfred reagierte freudig überrascht: „Jesus, das ist noch mal ein netter Mensch. Eine ganze Schachtel kleine Zigarren! Und noch ein sehr hübsches Feuerzeug dazu, das sieht ja aus wie echtes Gold. Davon werden wir uns nach dem Essen mal eine genehmigen. Und jetzt noch ein Akkordeon, und ich wäre wieder fast ganz auf dem Damm. Was für ein Glück! Ich meine, ich soll mal wieder einen leckeren Kaffee kochen.“
„Natürlich“, bemerkte Helmut, „Aber dann werden du und dein streitsuchender Freund doch zuerst mal zur Intendanz laufen müssen, um unsere Sachen abzuholen. In der Zwischenzeit sorgen Horst und ich für die Munition und den Sprit, und sobald ihr zurück seid, werden wir unsere Sachen auffischen. Dann kannst du den Kaffee fertig haben, wenn wir zurückkommen.“
Mannfred versteckte seinen kostbaren kleinen Zigarren im Panzer und machte sich zusammen mit Wolff auf den Weg.
Horst schaute nachdenklich drein: „Mannfred scheint wohl sehr schnell über den Tod des Mädchens hinweg zu sein. Das kann nicht stimmen, sein Kummer war echt, also spielt er uns in diesem Moment etwas vor, meine ich.“
„Das denk’ ich auch“, erwiderte Helmuth, „Oder so scheint es, aber es könnte natürlich auch sein, dass er es einfach verdrängt. Vergesst nicht, dass dieser Bursche wirklich knallhart sein kann. Es würde mich nicht wundern, wenn dieser Typ seinen Kummer kurz äußert und dann die Sache einfach wegsteckt. Wir merken es. Wir kümmern uns einfach ein bisschen um ihn, wenn es wieder schwierig wird.“
Horst lachte: „Soweit ich weiß, ist er doch derjenige, der sich ein bisschen um uns kümmert, wenn es echt schwierig