Lucy fällt. Gaby Mrosek

Lucy fällt - Gaby Mrosek


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hast du aber die Idee, lieber viele kleine Kuchen backen zu wollen. Du füllst den Teig - der ja ein Ganzes ist – separat in Muffinförmchen und backst ihn. Das könnten wir tun.

      Wenn du die Küchlein aus dem Ofen holst und betrachtest, sehen sie alle noch ziemlich gleich aus, und dennoch hast du sie durch den Backvorgang schon separiert.

      Das genügt dir aber noch nicht – nein. Also beginnst du, alles schön zu verzieren. Du benutzt ganz unterschiedliches Dekor. Ein paar deiner Muffins bekommen eine nette Sahnehaube, ein paar andere eine Zitronen- oder Schokoglasur, die nächsten einen Überzug aus Buttercreme. Zusätzlich verwendest du noch Lebensmittelfarben in allen Tönen, Zuckerstreusel, Liebesperlen, Fondantblümchen und vieles mehr. Du setzt deiner Fantasie keine Grenzen. Zum Schluss betrachtest du dein Werk und stellst fest, dass jedes Teilchen anders aussieht. Die Täuschung der Individualität ist perfekt. Und obwohl sich jedes vom anderen unterscheidet, ist dir klar, dass der Kuchenteig unter all der Verzierung ein und derselbe ist. Du weißt das, aber du denkst nicht mehr daran. Wieso solltest du auch? Viel zu schön und auffällig ist der Überbau darüber. Klar, der eine Muffin ist dir scheinbar besser gelungen als ein anderer. Vielleicht ist sogar einer dabei, dessen Häubchen zerdrückt ist, die Zuckerperlen verrutscht und die Farbzusammenstellung gar nicht appetitlich ausschaut. Aber nach Entfernen des Gusses stellst du fest, der Geschmack ist identisch mit allen anderen - sogar mit dem schönsten deiner Törtchen.

      Sicherlich ist dir sonnenklar, worauf ich hinaus möchte. Es ist jetzt auch an der Zeit, dieses Kuchengleichnis zu verlassen. Schauen wir uns lieber unseren vollständigen und heiligen Geist an: Dieser eine Geist, eine liebevolle Ausdehnung unseres Schöpfers, ihm total gleich, kam auf die wahnsinnige Idee, aus dem kompletten Ganzen, viele kleine Teile zu separieren. Frage nicht warum. Warum-Fragen bringen uns hier nicht weiter. Das Gegenteil ist der Fall – sie führen dich tiefer in den Traum von Trennung. Akzeptiere einfach, dass du einen idiotischen Wunsch nach Einzigartigkeit gehegt hast. Eine Einzigartigkeit, die dich nicht nur besonders machen sollte, sondern als Konsequenz auch die totale Trennung von Gott und ein Aufsplittern deines Selbst in unzählige Teile nach sich zog. Aber – und jetzt kommt das Wichtige, das es zu wissen gilt – da du bist wie dein Schöpfer, sein Ebenbild, konntest du dich nicht wirklich zerteilen und abgrenzen. Eine wahrhaftige Einheit bleibt eine wahrhaftige Einheit. Da gibt es nichts dran zu rütteln. All das ist nur in einer Wahnidee möglich. In einem Traum. Du allmächtiges Kind, eines allmächtigen Vaters, wolltest eine Trennungserfahrung und nichts und niemand konnte dich aufhalten. Wie gut, dass wir aus der Liebe kommen, die kein Gegenteil hat. Und so hat die Liebe unseres Lebens - das ist tatsächlich keine Wortspielerei, sondern wortwörtlich zu nehmen – uns eine grandiose Kommunikationsverbindung gegeben. Diese Kommunikationsverbindung ist der Heilige Geist, und er reicht in unseren Traum der Dualität und Trennung. Er ist sozusagen der Wecker Gottes. Denn ansonsten würden wir Runde um Runde einfach weiterpennen und träumen, dass wir reich sind und arm, verletzt wurden und alles verloren haben und plötzlich der Kaiser von China sind. So und so fortlaufend, ohne die Möglichkeit unseren verrückten Film zu stoppen. Doch wie schon gesagt, unser Schöpfer ist heil und ganz und einfach nur Liebe. Er kennt davon kein Gegenteil. So hat er das Heilmittel für unsere Fieberträume sogleich in unseren schlafenden Geist gelegt – das ist der Heilige Geist. Jeder einzelne kann ihn hören und hat ihn auch schon gehört, ohne das zu bemerken oder gar zu wissen. Diejenigen, denen das Traumspiel langsam dämmert, beginnen, ihn hören zu wollen.

      Oder, um noch einmal auf unser Kuchengleichnis zurückzukommen, sie beginnen unter ihre Glasur, die hier unser Ego darstellt, zu schauen. Noch können sie all das Zuckerzeug nicht komplett entfernen, aber sie betrachten es schon mal. Und nach und nach nehmen sie eine Perle nach der anderen herunter, ebenso die Blümchen und die Sahne. Das machen sie solange bis sie erkennen, dass sie genau dasselbe sind, wie das Törtchen neben sich. Dann können sie noch eine Zeitlang so nebeneinander stehen, ganz bewusst, wer sie sind. Zwei, die eigentlich ein Ganzes darstellen sollten…

      Und das ist letztlich deine Aufgabe: entferne deinen Überbau. Vergib dir selbst, was du nicht bist!“

      Lucy trägt noch immer den Teig in ihren Händen. Mittlerweile umgreift sie ihn, wie einen prallen Ball. Ganz still steht sie da und schaut mit ihren grünen Augen auf die Masse. Josua lächelt schlicht, dreht sich um und kocht noch einmal einen Tee.

      Ganz vorsichtig legt sie den Klumpen auf den Tisch, wischt ihre etwas fettigen Hände an der Hose ab und setzt sich auf einen der vier Stühle.

      „Ich bin dieser Teig, ja?“, fragt sie beinahe schüchtern, weil sie es nicht glauben kann.

      „Du bist, metaphorisch gesehen, dieser Teig. Korrekt. Stark vereinfacht und doch so anschaulich. Abgesehen davon ist nichts, was vom Schöpfer kommt, wirklich schwierig. Du bist ein Teil von ihm, und er gibt sich dir ständig zu erkennen. Eins musst du wissen: Er liebt dich unendlich. Du bist sein ganzes Glück. Seine Freude. Niemals ist er fern von dir. Niemals würde er dich irgendwo alleine aussetzen – dich verlassen. Das alles geschieht nur in deinen verrückten Träumen.“

      Josua bringt den Tee an den Tisch, ebenso die Tassen und ein Blech mit noch heißen Keksen, die er soeben aus dem Ofen gezogen hat.

      „Keine Muffins?“, lächelt Lucy mit Anspielung auf seine Schöpfungsgeschichte.

      „Nein“, schmunzelt er, „Vanillekipferl. Das passt in deine Weihnachtszeit, in der du dich gerade zu befinden scheinst. Trink einen Schluck Tee. Das hast du in der Berghütte versäumt.“

      „Wie lange bin ich denn schon hier? Hier in deiner Küche und in der Hütte davor?“, fragt sie, weil sie überhaupt kein Zeitgefühl mehr hat. Es könnten 2 Stunden sein oder 20 Minuten.

      „Hm…“, überlegt er und blickt gespielt nachdenklich an die Decke, „in Anbetracht dessen, dass Zeit nur ein Taschenspielertrick ist, kannst du es dir aussuchen. Aber da du in deinem Traum der Lucy vom Hochhaus fällst und eben nur einen Schlenker im Raum-Zeit-Kontinuum machst, würde ich sagen: 5 Sekunden…“

      Lucy beginnt zu lachen. Zunächst leise und zurückhaltend. Dann kann sie aber nicht mehr an sich halten, und sie lacht laut und schallend. Es tut ihr so gut. Sie lacht einfach all ihre Sorgen davon. Zum ersten Mal seit langer Zeit – wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben – ist sie froh ohne an Vergangenheit oder Zukunft zu denken. Sie ist hier im Jetzt und das ist wunderbar.

      „Liebes, das ist wahrhaftig wunderbar. Manchmal muss man einfach alles davon lachen. Das gelingt dir aber erst, wenn du begreifst, dass alles was du mit menschlichen Augen siehst, nicht die Wahrheit ist. Dann kannst du vor Erleichterung lachen. Und da du in diesem Augenblick wahrlich bereit bist, schauen wir uns noch einmal die Muffins an, und auch den gesamten Teig. Verstehst du in diesem Zusammenhang, dass du nicht getrennt sein kannst von einem anderen? Verstehst du, dass die Trennung in Muffinförmchen nicht einen anderen Teig aus dir macht? Das geschieht nur in Illusionen. In deiner Welt hast du aus dir einen Menschen gemacht. Jemand der abgetrennt ist vom Ganzen. Ebenso abgetrennt wie mittlerweile beinahe 8 Milliarden. Dein Körper soll das Symbol der Trennung sein, die niemals wirklich stattfinden konnte…“

      „Weil der Schöpfer keine Muffins mag, sondern lieber einen ganzen Kuchen“, beendet Lucy den Satz, und Josua grinst breit.

      „Sehr vereinfacht, ja“, erwidert er, „weißt du Lucy, es ist in Wahrheit mehr Einheit da, als einfach nur ein Batzen Teig. Du bist tatsächlich ein Ganzes mit allen 8 Milliarden scheinbaren Teilchen. Und das, obwohl du nur einem winzig kleinen Bruchteil jemals begegnen wirst. Und vergiss nicht unsere Mission: Betrachtung und Heilung deiner Beziehungen zu allen. Zu jedem einzelnen. Zu dir also: Lass uns jetzt beginnen. Mit Raffael. Eine besondere Liebesbeziehung. Für dich sogar eine sehr besondere Liebesbeziehung.“

      „Josua, bitte“, flüstert sie und sticht alle fünf Finger der rechten Hand in den Teigklumpen der noch immer vor ihr liegt. Mit der linken Hand streicht sie eine lange blonde Strähne aus dem Gesicht.

      „Liebes“, raunt er zärtlich, „du hast um ein Wunder gebeten. Das Wunder ist jetzt da. Es ist für dich und nicht gegen dich. Wunder sind eigentlich nichts anderes als korrigierende Brillengläser. Du siehst richtig mit ihnen. Beginnst klar zu sehen. Ein


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