Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff


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Heinrich wollte nicht in die Hölle, aber das bedeutet, dass er Dinge anders tun musste.

      Das war das Schwierigste an der ganzen Sache. Natürlich konnte er beichten, beten und sich vornehmen, ein besserer Mensch zu sein. Doch es dämmerte ihm langsam, dass es damit nicht genug sein würde. Er musste Dinge auch anders tun. Aber wie?

      Heinrich wusste, dass er nicht viel Geduld hatte, und er verstand auch nichts vom Gutsbetrieb. Sollte er sich wirklich damit beschäftigen? Sollte er freundlicher zu seinen Untergebenen sein? Aber dann würden sie ihm auf der Nase rumtanzen. Sein Vater, der lange sein großes Vorbild gewesen war, hatte ihn immer davor gewarnt. Jeder wusste, dass es nicht gut war, zu freundlich zum Gesinde und den leibeigenen Bauern zu sein, denn die würden das sofort ausnutzen. Heinrichs Gedanken drehten sich im Kreis. Er wollte Dinge besser machen, wusste aber nicht, wie er das anstellen sollte.

      Was sein Vater wohl getan hätte? Er wusste es nicht.

      Vielleicht konnte er einfach ein klein wenig freundlicher sein, ein klein wenig gnädiger?

      Eines Tages hatte Heinrich eine großartige Idee und wunderte sich, dass er nicht früher draufgekommen war. Er würde Geld und Wachs für Kerzen an die Kirche stiften. Es gab ja ein Kloster nicht weit weg, es war vor vielen Jahren von einem von Heinrichs Vorfahren gegründet worden. Er würde also diesem Kloster Wachs und Geld stiften und vielleicht noch Grundstücke. Dafür würden die Mönche für ihn beten und er wäre fein raus. Heinrichs Herz wurde etwas leichter. Das war doch schon mal ein Anfang. Der heilkundige Mönch kam ja nach wie vor regelmäßig, da konnte er ihm das gleich sagen, damit die Mönche umgehend mit den Gebeten anfangen konnten.

      Als Bruder Humbert das nächste Mal kam, erzählte Heinrich ihm von den zu erwartenden Spenden. Humbert nahm die gute Nachricht wohlwollend zur Kenntnis und versprach, mit den Brüdern für ihn und sein Seelenheil zu beten. Dann untersuchte er Heinrichs Bein.

      Zum ersten Mal seit Heinrichs Bettlägerigkeit schien der einigermaßen gut gelaunt und gesprächsbereit zu sein, also nutzte Humbert die Gunst der Stunde und unterhielt sich mit seinem Patienten über die Verletzung. Er wusste zwar in groben Zügen, was passiert war, aber er ließ es sich von Heinrich noch einmal erzählen. Heinrich war froh, dass er etwas Abwechslung hatte und berichtete so gut es ging. Humbert war erstaunt: „Der Knecht hat Euere Knochen wieder eingerenkt?“

      „Ja. Er hat gesagt, es würde später noch schmerzhafter werden, wenn alles geschwollen ist.“

      „Da hat er Recht, aber woher kann er das? Ist er ein Bader?“

      Heinrich hatte keine Ahnung, ob Martin ein Bader war. Aber wohl eher nicht, er war ja schon als Kind nach Rabenegg gekommen. Also schüttelte er den Kopf. Humbert fuhr fort. „Er hat seine Sache gut gemacht. Wenn Knochen verschoben sind, dann wachsen sie oft schief wieder zusammen. Ihr habt viel Glück gehabt, dass er dagewesen ist. Er hat Euch aus dem Wasser gezogen, Euch vor dem Verbluten gerettet und das Bein wieder eingerenkt. Es ist gut, wenn man so jemanden im Hause hat.“

      Heinrich wurde ganz still. Er war so mit seiner Erkältung und dann dem Selbstmitleid beschäftigt gewesen, dass er Martin darüber vergessen hatte. Er erinnerte sich, dass er sich vorgenommen hatte, ihm das Hungern am Sonntag erlassen. Das war nun auch schon wieder vier Wochen her. Vier Sonntage ohne etwas zu Essen und mit viel Arbeit. Das musste sich ändern.

      Bruder Humbert meinte weiter, dass Heinrich wieder anfangen müsste, seine Beine zu bewegen und auch das gebrochene Bein zu belasten. Er zeigte ihm Übungen, wie er im Bett die Beine bewegen sollte und erklärte ihm auch, wie er mit Hilfe eines um den Knöchel gebundenen Strickes im Bett das verletzte Bein jeden Tag belasten sollte. Er versprach, dass Heinrich bald aufstehen konnte, wenn er brav seine Übungen machte.

      Das war Heinrich nur recht. Im Bett Herumliegen war nicht seine Erfüllung.

      Der heilkundige Mönch ging wieder und Heinrich war alleine, wie so oft die letzten Wochen, und dachte nach. Er hatte Martin viel zu verdanken, sein Bein, sogar sein Leben. Was würde so schlimm daran sein, ihn besser zu behandeln? Er war der Sohn des Mannes, der Heinrichs Mutter auf dem Gewissen hatte, aber immerhin hatte er Heinrich das Leben gerettet, warum auch immer. Vielleicht war es an der Zeit, den quälenden Hass zu begraben. Vielleicht war es an der Zeit, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen. Heinrich hätte so gerne abgeschlossen, doch da war immer noch die Wut, immer noch die Enttäuschung über sein verlorenes Glück. Würde er seine Mutter verraten, wenn er freundlicher zu Martin war, zum Sohn ihres Vergewaltigers und letztendlich Mörders?

      Als der Verwalter zu seinem täglichen Besuch kam, trug er ihm auf, Martin das Hungern und die Arbeit am Sonntag zu erlassen. Ulrich war sichtlich froh, er meinte: „Gut, ich werde es ihm sagen. Vielen Dank, Heinrich. Er braucht dringend mehr zu Essen und noch dringender Ruhepausen. Es wundert mich eh, dass er solange durchgehalten hat.“

      Heinrich hörte die leise, feine Kritik heraus. Anscheinend verstand Ulrich nicht, warum er das alles getan hatte. Er fragte: „Kann es sein, dass Ihr Mitgefühl mit ihm habt? Wisst Ihr denn nicht, was seine Familie getan hat?“

      Ulrich sah ihn ernst an und entgegnete: „Ganz egal, was sein Vater getan hat, er kann absolut nichts dafür. Er musste für etwas büßen, was nicht seine Schuld war. Der Junge hatte so ein hartes Leben hier und es ist an der Zeit, dass sich das ändert. Das habe ich Euch schon oft gesagt.“

      Heinrich seufzte. Sein Verwalter war ihm tatsächlich schon öfter in den Ohren gelegen, Martin zu begnadigen und auch noch einige Andere, die Halseisen oder Fußfesseln trugen. Heinrich hatte das immer abgelehnt. Halseisen trugen die Knechte, die versucht hatten, wegzulaufen. Der mit den Fußfesseln hatte das vermutlich auch versucht, es kümmerte Heinrich nicht. Er hatte kein Mitleid mit Gesinde, das seinen von Gott angewiesenen Platz verließ.

      Der letzte Pfaffe, Albans Vorgänger, hatte ihm erzählt, dass der Apostel Paulus geschrieben hatte: „Ihr Sklaven, seid gehorsam Euren irdischen Herren.“ Der Apostel hatte wohl auch geschrieben, dass die Herren das Drohen sein lassen sollten, aber Heinrich wägte sich auf der sicheren Seite. Er drohte schließlich nicht.

      Es gab klare Regeln und jeder Leibeigene wusste genau, was passieren würde, wenn er weglief. Das hatte mit Drohen nichts zu tun. Es gab Regeln und Konsequenzen, jeder wusste das. Der neue Pfaffe, der seit 4 Jahren der Priester und Beichtvater auf Rabenegg war, hatte ihm noch etwas über einen noch recht unbekannten italienischen Mönch erzählt, Thomas von Aquin. Dieser Mönch, der noch gar nicht so lange tot war, hatte wohl in seinem Leben sehr viel über Theologie und gescheite Gedanken geschrieben, und Alban verehrte ihn sehr. Alban wäre wohl auch lieber ein Gelehrter und Philosoph gewesen als der Pfaffe in einem heruntergekommenen Rittergut. Dieser Thomas von Aquin hatte die Heilige Schrift studiert und war überzeugt, dass die Sklaverei ein Naturrecht war. Die natürliche Ordnung, also machte sich Heinrich keine weiteren Gedanken über die Leibeigenschaft seiner Leute. Es war die von Gott gewollte Hierarchie, und alle mussten sich fügen.

      Alban hatte dem Herrn noch mehr von den Theorien dieses italienischen Mönches erklären wollen, aber Heinrich hatte es nicht verstanden. Schon den Unterschied zwischen „Sein“, „Wesen“ und „Existenz“ hatte er nicht begriffen und es auch gar nicht begreifen wollen. Damals waren gerade seine Freunde dagewesen, und Spaß und Wein waren deutlich wichtiger gewesen als irgendwelche seltsamen Ansichten von Mönchen, die er gar nicht kannte.

      Früher wäre das nichts so gewesen. Früher hätte sich Heinrich sicherlich für solche Gedanken begeistern können. Heinrich hatte gerne nachgedacht, gerne gelernt. Er hatte auch unglaublich gerne gesungen und musiziert. Als Page durfte er im Haushalt seines Ritters das Streichpsalterspiel erlernen, was ihm große Freude gemacht hatte. Allerdings hatte sein Vater ihm das alles ganz schnell wieder madig gemacht und verboten. Sein Vater war der Meinung gewesen, dass Musizieren, philosophische Gespräche und überhaupt die feinen Künste nichts für einen Ritter wären, nichts für einen richtigen Mann. Heinrich hatte sich gefügt, wie immer. Er war halt dann der mutige Kämpfer, der Haudrauf, der Säufer und Weiberheld geworden, ein echter Mann eben, genau wie sein Vater vor ihm.

      Und sein Onkel.

      Heinrich schauderte leicht. Sein Onkel Markwart war ein übler Mensch gewesen. Über


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