Im Himmel ess' ich Zuckerwatte. Wiebke Vahlbruch

Im Himmel ess' ich Zuckerwatte - Wiebke Vahlbruch


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Ich wollte mich nicht abwimmeln lassen und sagte ihm, dass ich möchte, dass sie von ihm ein Röntgenbild machen. Er machte sich schon fast lustig und verneinte..bei diesem 'Krankheitsbild' würde ein Ultraschall reichen und ich könnte jetzt gehen.

      Ich war außer mir. Wie konnte man ihn nur so leiden lassen. Irgend etwas stimmte nicht und als Mutter merkt man sowas einfach. Eine weitere Woche verging und Momo konnte auf einmal nicht mehr seinen Kopf zur Seite drehen. Er nahm für jede Bewegung den kompletten Oberkörper mit.

      DA STIMMT WAS NICHT!!

      Ich hatte mir geschworen, ich werde nie wieder in diese Klinik fahren, denn dort nehmen die mich sowieso nicht ernst. Ich fuhr also erneut um Hausarzt. Es war eine Vertretung da und zu meinem Glück schaute diese mal mit anderen Augen hin. Momo ließ sich kaum untersuchen. Sie brach das Ganze irgendwann ab und sagte: 'Sie fahren jetzt sofort in die Kinderklinik nach D.

      Dort muss er einmal komplett durchgecheckt werden. Da stimmt etwas nicht. Ach neeeeee. Meine Güte. So fuhren also Uli, mein Schwiegervater, und ich (es war schon spät und dunkel und ich kannte den Weg nicht, deshalb ist er gefahren) in die Kinderklinik. Wir wurden stationär aufgenommen und legten uns nach diesem turbulenten Tag erst einmal schlafen. Am nächsten Morgen wurden wir zum Ultraschall zitiert. Bis dato wurden schon einige Ultraschalle gemacht. Das Ganze dauerte sonst höchstens 5 min., aber bei diesem Ultraschall war alles anders. Der Arzt sprach nicht ein einziges Wort und schallte eine halbe Stunde lang. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht. Im Nachhinein wird einem natürlich vieles klar. Er verließ irgendwann das Zimmer mit den Worten: 'Ich muss das einmal mit meinem Kollegen besprechen'. Soweit so gut. Ich fühlte mich gut aufgehoben, da endlich jemand genauer hinschaute und sich Zeit nahm. Uli, der kurz vorher zu Besuch gekommen ist, wartete vor dem Behandlungszimmer. Als wir gerade dabei waren wieder hoch auf unser Zimmer zu gehen, wurden wir direkt zum Röntgen gerufen. Es war eigentlich nicht geplant, aber ich war sehr glücklich darüber, da -wie gesagt- endlich jemand genauer hinschaute. Was mir erst im Nachhinein bewusste wurde war, dass die Ärzte

      Röntgenaufnahmen vom Thorax (Oberkörper) gemacht haben. Was hatte das Ganze also mit der Hüfte zu tun? Die Bilder wurden sofort ausgewertet. Die Schwester brachte uns wieder auf Station und sagte, dass der Arzt nach der Auswertung kommen würde und uns alles erklärt.

      Wir waren eigentlich guter Dinge. Ich dachte mittlerweile an einen Leistenbruch oder Ähnliches. Ich war für alles gewappnet. Für fast alles…wie sich heraus stellte.

      Irgendwann kam die Schwester ins Zimmer und bat uns mit ins Behandlungszimmer zu kommen, da der Arzt mit mir sprechen möchte. Selbst in diesem Moment dachte ich an nichts Schlimmes. Wir gingen also guter Dinge in dieses Behandlungszimmer (Uli kam mit) und dachten, wir bekommen endlich eine Diagnose und die Erlösung für Momos Schmerzen. Der Arzt begrüßte uns sehr nett und bat uns zu setzen. Und wie er anfing zu sprechen werde ich wohl niemals in meinem Leben vergessen:

      „Frau Vahlbruch, wir haben den Moritz gründlich untersucht und haben etwas gefunden womit wir alle nicht gerechnet haben. Der Moritz hat 3 Tumore im Bauch. 2 in der Nierengegend und einen im Halsbereich. Wir können noch nicht genau sagen um welche Art von Krankheit es sich handelt, aber wir werden jetzt anfangen ihn noch genauer zu untersuchen. Mit MRT Aufnahmen. Wir werden ihm einen Katheter legen, damit wir schnellstmöglich mit der Chemotherapie anfangen können …"

      Und so weiter und so weiter. Chemotherapie. Alleine dieses Wort löste in mir tausend Ängste aus. Die nachfolgenden Tage sind nicht mehr in meinem Gedächtnis. Kompletter Filmriss. Ich weiß nur noch, dass wir aus diesem Behandlungszimmer heraus gestolpert sind und Uli und ich komplett zusammen gebrochen sind im Flur der Station. Die Kinder, die dort unterwegs waren, fragten ihre Mütter was denn los sei. Was denn passiert sei. Wir konnten nur noch weinen. Nichts mehr sagen. Ich hatte Momo im Arm und ich weiß nicht mal mehr wie er reagiert hat. Es ist wie gelöscht in meinem Kopf.

      So eine Nachricht reißt einem in Sekundenschnelle den Boden unter den Füßen weg. Ich kann nicht mal mehr beschreiben wie man sich fühlt. Es ist Wut und Leere und Angst und Hilflosigkeit. Alles gleichzeitig. Man begreift die Welt nicht mehr. Man fragt sich die ganze Zeit, warum man selbst nicht diese ganzen Schmerzen und diese Krankheit auf sich nehmen kann.

      Was in den kommenden Wochen passierte ist nur noch bruchartig in meinem Kopf. Wir mussten MRT Bilder machen, Szintigraphie, Ultraschall und und und. Der Broviak-Katheter wurde in einem Nachbarkrankenhaus gelegt, da das KH in dem wir waren keine Chirurgie besaß. Der Broviak ist ein Dauerzugang, der direkt in die große Hohlvene zum Herzen eingesetzt wird. Damit Momo nicht jedesmal neu gepikst werden muss. Und natürlich für die kommende Chemotherapie äußerst wichtig. Gleichzeitig wollten sie ihm Tumorgewebe am Hals entnehmen, damit sie einen Namen für die Erkrankung finden können. Momo musste eine Narkose nach der nächsten über sich ergehen lassen. Noch dazu kam, dass er bei jeder Narkose auf einmal Herzrhythmusstörungen bekam. Im Laufe der Zeit bekamen wir diese in den Griff. Am Anfang war es jedoch sehr beängstigend.

      Es war geplant, dass Momo nach der OP wieder direkt in die Kinderklinik gebracht wird. Allerdings landete er nach der OP auf Intensivstation, da er Herzrhythmusstörungen entwickelte. Seine ersten Worte nach Aufwachen aus der Narkose waren 'MAMA' und '

      KAKAO'.

      Als wir irgendwann nach 1 1/2 Wochen wieder in der Kinderklinik eintrafen, hatten die Ärzte endlich einen Namen für diese Erkrankung.

      o NEUROBLASTOM STADIUM 4

      Es ist nicht ratsam sich dazu im Internet zu belesen. Die meisten Infos haben wir eh vom Chefarzt bekommen, aber irgendwie schaut man trotzdem nach. Er sagte uns, dass bei dieser Erkrankung in diesem Stadium eine Überlebenschance von 20% besteht. Und das sollte noch nicht alles sein.

      Es wurden Tumore im Kopf gefunden. An der Nebenniere ging alles los. Dann schlängelte sich der Tumor einmal am Hauptstrang der Bauchschlagader herum bis hoch zum Hals.

      Wir wussten nicht, ob wir geschockt sein sollten oder gefasst, weil wir es eh schon wussten. Aber mit diesem Ausmaß hatte natürlich keiner gerechnet. Es fühlte sich an, als ob die 'schlechten Nachrichten' kein Ende nahmen. Als ob wir von einem bösen Fluch verfolgt wurden. Ein nicht endender Alptraum..

      Es hat lange gedauert bis man begriffen hat, dass Tumor gleich Krebs bedeutet. Dieses Wort „Krebs“ war so unglaublich weit weg.

      Als die Diagnose stand, haben sie am nächsten Tag direkt mit der Chemotherapie begonnen. Momo war so geschwächt, dass er vorher noch Erythrozyten, also rotes Blut, brauchte. Den 'ersten Chemoblock', wie man ihn so schön nennt, hat Momo nicht so locker weggesteckt wie die kommenden. Er war sehr schlapp, hat viel gebrochen, hatte Angst, weil er nicht wusste was kommt. Das war alles andere als leicht. Jede Behandlung war für ihn die Hölle, weil er nicht wusste was passiert. Nach dem ersten Block durften wir kurz vor Heilig Abend nach 4 endlos langen Wochen Krankenhaus endlich nach Hause. Man kann sich nicht vorstellen was das für ein Gefühl ist. Freiheit. Die pure Freiheit. Und auch wenn es verrückt oder naiv klingt, hat es sich auch ein wenig nach Normalität in diesem ganzen Chaos angefühlt.

      Als Momo Zuhause ankam war der Freude keine Grenzen mehr gesetzt. Er hat Weihnachtslieder gesungen und gespielt und sich seines Lebens gefreut, dass er endlich wieder Zuhause ist. Natürlich ist Emmi auch vor Freude komplett ausgeflippt. Es war so schön und der Abend hätte am Liebsten niemals enden können..

      In den Chemopausen durften wir (wenn Momo kein Fieber, Schnupfen etc hatte und die Blutwerte stimmten) für 2 Wochen nach Hause. Man musste sich alle 2-3 Tage in der Klinik melden. Dort wurde das Blut kontrolliert. Momo brauchte immer mal wieder Erythrozyten (rotes Blut) und Thrombozyten (Blutplättchen).

       Someiimies real superheroes live in the hearts of small children fighting big battles. (Pinterest)

      21.01.18

      Es ist wieder ordentlich viel Zeit vergangen. Momo brauchte zwischendurch immer mal wieder dieses und jenes Blut. Silvester hat er dann direkt noch Fieber bekommen, sodass wir im Krankenhaus bleiben mussten. Wir waren beide so kaputt, dass wir Silvester einfach verschlafen haben. Ist auch alles nicht wichtig..

      Der 2. Chemoblock hat begonnen. Wir konnten nicht früher starten, weil die


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