Im Himmel ess' ich Zuckerwatte. Wiebke Vahlbruch

Im Himmel ess' ich Zuckerwatte - Wiebke Vahlbruch


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Philip und ich sind in der Zeit einkaufen gegangen. Das hört sich blöd an, aber wir wussten nichts mit uns anzufangen und 9 Stunden vor dieser OP Tür zu sitzen lässt einen an den Rand des Wahnsinns gelangen. Während der OP wurde ein Gefäßchirurg dazu geholt. Sie wollten nierenerhaltend operieren, da Momo seine Nieren noch für die Hochdosischemo benötigte. Die Nebenniere wurde komplett entfernt, weil das alles nur noch Tumorgewebe war.

      Nach endlosen Stunden war es endlich geschafft. Die Ärzte haben uns darauf vorbereitet, dass Momo die ersten Tage nicht ansprechbar sein wird, weil sie ihn in ein künstliches Koma legen. Damit die Schmerzen für ihn erträglicher sind. Er sollte beatmet werden und und und. Wir haben mit dem Schlimmsten gerechnet und uns seelisch darauf vorbereitet.

      Die Tür des OPs öffnete sich und wir waren bereit zur Intensivstation zu fahren. Aber was wir da sahen war alles andere als erwartet. Momo drehte sich auf die Seite, war wach und hatte weder Sauerstoff noch sonst was sichtbares an sich. Der Operateur sagte, dass es Momo wiedererwartend sehr gut ginge nach der OP und sie deshalb entschieden hätten, ihn nicht ins Koma zu legen. Was für ein Kämpfer. Was für ein Tiger. Ich kann kaum in Worte fassen wie stolz ich auf meinen kleinen Schatz bin.

      Die nächsten Tage auf der Intensivstation waren anstrengend und schön zu gleich. Es fiel einem eine Last ab und man hatte das Gefühl diesen schei** Krebs endlich besiegt zu haben. Das war Momos Sieg. Und so konnte es weiter gehen.

      MIBG & HOCHDOSIS

      Momo hatte seine MIBG Behandlung. Das bedeutet, dass man ihm ein radioaktives Mittel spritzt. Dieses Mittel setzt sich an den Tumorzellen fest und zerstört diese von innen. In dieser Zeit, in der man strahlt, hält man sich in einer Art Bunker auf. Es ist natürlich kein richtiger Bunker. Es ist ein Zimmer im Keller des Krankenhauses. Komplett isoliert von der Außenwelt. Damit man niemanden mit den Strahlen gefährdet. Es ist kein Bunker wie man es sich aus Filmen vorstellt. Und dennoch fühlt es sich irgendwie so an. Wir checkten also in unser „Zimmer“ ein und kurze Zeit später kam eine ganze Horde von Ärzten. Sie waren angezogen, als wollten sie zum Mond fliegen und hatten ein Gerät dabei was dieses Gefühl noch verstärken ließ. Sie spritzten das Mittel, versorgten uns mit einem Pieper und verschwanden wieder. Dieser Pieper war dafür da, dass man genau wusste, wann ich Momo zu nah komme. Ich musste hinter einer dicken Steinmauer schlafen, damit ich nicht zu viele Strahlen abbekomme. Diese Zeit war unglaublich hart. Ich durfte Momo nicht in den Arm nehmen, nicht kuscheln, ihm nicht näher als 1-2 Meter kommen. Und das eine ganze Woche lang. Sobald ich ihm näher kam, heulte der Pieper in einem Höllenlärm los. Momo hat die Welt nicht mehr verstanden und ich irgendwie auch nicht. Wir haben die ganze Woche keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt, bis auf 3x am Tag die Essensfrau, die innerhalb von Sekunden wieder aus dem Zimmer verschwand. Die Tage waren lang und anstrengend. Es war schwierig Momo zu beschäftigen. Was macht man eine ganze Woche lang in ein und dem selben Zimmer, auf ein und dem selben Bett, mit ein und denselben Spielsachen? Ohne Körperkontakt. Immer darauf bedacht ihm nicht zu nahe zu kommen. Ich war so froh, als wir endlich nach Hause konnten.

      Ich weiß gar nicht mehr wieviel Zeit dazwischen lag, aber nicht allzu lange danach stand die Hochdosischemo an. Wir packten unsere Koffer und waren sozusagen gerüstet. Körperlich. Geistig war ich irgendwie noch lange nicht bereit dafür. Aber hat man eine andere Wahl?

      Je öfter wir in dieser Klinik waren, umso netter wurden die Ärzte und Krankenschwestern. Es war eigenartig. Ich hatte immer das Gefühl, dass es den „Neulingen“ so ging wie mir. Zum Anfang war immer alles blöd. Aber vielleicht lag es auch an einem selber. Weil man das alles nicht wollte. Weil man das alles nicht sehen und hören wollte. Aber man ist irgendwie in dieses neue Leben „reingewachsen“. Soweit das irgendwie möglich ist. Und man arrangiert sich damit. Was bleibt einem auch anderes übrig? Gejammert wird später. Es gibt viel zu tun. Die Hochdosischemo stand an und wir „checkten“ ein, bezogen unser Zimmer und fühlten uns schon fast Zuhause. Die Chemo meisterte Momo wiedererwartend unglaublich gut. Ich habe gedacht, er würde am Stock gehen und ihm würden sämtliche Kräfte fehlen. Stattdessen raste er mit dem Bobbycar über den Flur als ob das ein Kindergartenausflug wäre. Die Ärzte sagten, es wäre normal. Das Zelltief würde sich erst eine Woche später ankündigen. Sind die Zellen auf 0, werden die Stammzellen hinzugefügt und es würde ihm Tag für Tag besser gehen. Die Stammzellzufuhr war eine aufreibende Sache. Es wurde vor der Tür alles mögliche für den Notfall aufgebaut. Das machte mir Angst. Momo wurde Tag für Tag schlapper und wie von den Ärzten vorausgesagt kam nach einer Woche das Zelltief. Es ging ihm dreckig. Er war schlapp und müde und hat eigentlich den ganzen Tag nur geschlafen. Von Essen und Trinken wollte er nichts mehr wissen. Somit wurde er dann über den Tropf künstlich ernährt. Das wäre auch völlig normal. Was allerdings nicht mehr normal war, dass die Sättigung auf einmal abfiel. Sie fiel so stark ab, dass Momo beatmet werden musste. Er hatte Fieber und es war schwer in den Griff zu bekommen. Ein Antibiotikum folgte dem Nächsten, es wurde Blut abgenommen noch und nöcher. Irgendwann kam ein Arzt zu uns und sagte, dass Momo sich einen seltenen Keim zugezogen hatte. Er müsse sofort in den OP. Es war 9 Uhr abends und selbst für die Unterschrift der Anästhesie und so weiter blieb keine Zeit. Er müsse SOFORT in den OP um den Brovi zu entfernen. Dieser Keim setze sich wohl gerne auf sowas ab und das wäre zu gefährlich. Wir fuhren also Momo direkt in den OP und entfernten den Brovi. Nach ein paar Tagen ging es ihm schon etwas besser. Nach endlos langen 3 1/2 Wochen konnten wir endlich nach Hause. Was wir zu dem Zeitpunkt des Keims noch nicht wussten war, dass dieser Keim ein ganz Besonderer war. Ich erhielt Wochen später einen Anruf von einem Arzt der mich fragte, ob er die Geschichte mit Momo veröffentlichen dürfe in einer englischen Arztzeitung. Ich bekam einen Bericht zugeschickt, den ich mir durchlesen sollte. Und wenn ich damit einverstanden wäre, würde er diesen Artikel gerne veröffentlichen. Ich dachte mir nichts dabei und stimmte zu. Ich fand den Gedanken schön, dass man vielleicht mit dieser unglücklichen Geschichte einen Beitrag zur Forschung leisten könnte. Wenn es der Wissenschaft hilft. Als ich den Artikel nach ein paar Tagen in den Händen hielt, kippte ich fast vom Stuhl. Diesen „exotischen“ Keim von dem die Ärzte sprachen, hatten bis jetzt nur drei Menschen auf der ganzen Welt. Unter anderem Momo und er war der Einzige, der diesen überlebte. Ich war sprachlos und fassungslos und alles gleichzeitig. Wir wussten, dass es Momo nicht gut ging. Aber dass die Lage so kritisch war….damit haben wir im Leben nicht gerechnet. Und es hat auch niemand erwähnt.

      Ich hätte das gerne noch einmal mit den Ärzten im Detail besprochen, aber der „Alltag“ ging weiter und es folgten Blutentnahmen und Untersuchungen. Die darauf folgenden Untersuchungen ergaben, dass Momo tumorfrei war. Er hatte es geschafft. Wieder einmal. Man traute sich kaum irgendeine Art von Freude zu zeigen. Natürlich freute man sich. Aber durfte man das auch? Hatten wir das Gleiche nicht schon einmal erlebt und wurden mit dem Hammer auf den Boden der Tatsachen gebracht. Wir freuten uns. Natürlich freuten wir uns. Aber so ganz glauben konnten wir es noch nicht.

      Da es eine angespannte Zeit war, mit Philip meinem Ex-Mann auf engstem Raum zusammen zu wohnen und so zu tun, als wenn alles in bester Ordnung wäre, begab ich mich auf Wohnungssuche. Wir kamen miteinander klar. Keine Frage. Aber natürlich ist es unangenehm miteinander zu wohnen, wenn man eigentlich getrennt ist und eher Abstand als Nähe möchte. Ich dachte, wir könnten dann ein neues Leben anfangen. Da Momo tumorfrei war und keinerlei Behandlungen mehr anstanden, stand dem eigentlich nichts mehr im Wege.

      Nach einiger Zeit fand ich eine wunderschöne Wohnung in Lünen, dem Nachbarort von Bergkamen (wo wir jetzt wohnten).

      Ich unterschrieb den Vertrag und dachte, dass jetzt ein neues Leben beginnt. Mit Freude und Sonnenschein und endlich, endlich ohne Schmerz und Sorgen.

      Wir sprachen mit den Kindern. Über die Trennung und den anstehenden Umzug in nächster Zeit. Momo war noch zu klein um es wirklich zu verstehen. Für Emmi war es sehr schwer. Es dauerte eine Weile bis sie damit Frieden geschlossen hatte.

      Aber Philip und ich versuchten es ihr so liebevoll wie nur möglich zu machen. Es gab keinen Krieg. Die Kinder spürten, dass wir uns durch diese räumliche Trennung viel besser verstanden und das endlich


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