Yvettes Traum. Florentine Hein

Yvettes Traum - Florentine Hein


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resignierte, gab ihnen den Weg frei, ließ sie fließen, über die Wangen, die Nase, schluchzte auf.

      „Darf ich Ihnen ein Taschentuch reichen?“

      Ein alter Mann mit Tropenhelm grinste zahnlos und hielt ihr ein blau umrandetes Stofftüchlein hin. Ein schwacher Geruch nach Eau de Cologne stieg von ihm auf.

      Yvette griff dankbar danach, wischte sich die Augen, die Wangen, schnäuzte sich die Nase. Wollte es zurückgeben, zögerte …

      „Ach, behalten Sie es ruhig. Wenn die Schleusen erstmal geöffnet sind, dann hört das so schnell nicht auf. Ich hab noch mehr davon. Und wissen sie was?“ Er beugte sich nahe zu ihr. „Hochziehen ist eigentlich viel gesünder.“

      Er kicherte und schlurfte davon.

      Yvette umklammerte das Tuch. Zog ihren Kummer hoch und machte sich auf den Weg zur U-Bahn.

      2

      David spielte gern den Seelentröster. Viele Frauen hatten an seinen breiten Schultern geweint. Es schuf ein Band, eine Verbindung, eine Nähe. So eine Nähe wünschte er sich auch zu Yvette.

      Für sie musste der Abschied von ihrer Tochter echt schwer gewesen sein. Kanada war weit, und gleich ein ganzes Jahr! Yvette würde ihre Isa gewiss sehr vermissen. Die beiden hingen aneinander. Und dann diese verrückte Idee mit der Renovierung ihrer Wohnung! Klar, die brauchte dringend einen neuen Anstrich. Die Flecken an den Wänden waren ihm auch schon aufgefallen. Doch dass Yvette alles sofort und sogar noch selbst machen wollte, das begriff er nicht. Dafür gab es Firmen! Er selbst hatte da gute Erfahrungen gemacht …

      Wahrscheinlich wollte sie nicht zugeben, dass ihr das zu teuer war. Sie sprach nie davon, doch David ahnte, dass sie nur gerade so über die Runden kam.

      Hätte sie die Aktion fürs nächste Wochenende geplant, dann hätte er alle Bedenken zur Seite geschoben und ihr geholfen.

      Ein Fläschchen Sekt, ein Pinselstrich hier, ein Küsschen dort – das konnte gewiss ganz romantisch sein. Doch so … diese Geschäftsreise, sie war völlig unaufschiebbar gewesen.

      Deshalb hatte er die Eimer mit weißer Farbe heimlich vor ihre Wohnungstür gestellt. Zusammen mit einer Einladung zum Abendessen nach seiner Rückkehr.

      Auf diese geniale Idee war er jetzt noch stolz! Trotz allem war er für sie da.

      Gewiss war sie nun völlig am Ende. Der Abschied, die Renovierung … Er würde sie in die Arme schließen.

      Ihr Fels in der Brandung!

      Doch die Frau, die ihm öffnete, war perfekt gestylt. Sie trug ein langes, gelbes Kleid, das ihre schmale Taille betonte. Die hohen Wangen waren gepudert, die Lider dezent geschminkt.

      Schimmerte Traurigkeit in den blauen Augen? Er konnte es nicht sagen.

      „Hallo Nummer 27, schön, dass du da bist.“

      Lächelnd umarmte sie ihn. Leicht wie eine Feder.

      „Dein Kleid ist wundervoll.“

      Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Er musste seine Enttäuschung hinunterschlucken. Sie brauchte ihn nicht. Keinen Felsen. Sie schwamm allein.

      „Ja, ich liebe es, dieses Kleid!“

      Yvette löste sich von ihm, drehte sich einmal um sich selbst. Der Rock bauschte sich um ihre langen Beine.

      „Die Kinder haben es mir vor ein paar Jahren zum Geburtstag geschenkt. Vom Flohmarkt. Der Saum war ein wenig eingerissen, aber das ließ sich leicht ausbessern.“

      Nähen konnte sie auch! David schwankte zwischen Unverständnis und Bewunderung.

      „Ich brauche noch Lippenstift, bin gleich soweit.“

      Sie hauchte ihm einen Luftkuss zu und verschwand Richtung Bad.

      Indes betrat er den kleinen Flur. Alle Türen standen offen. Es roch aufdringlich nach Farbe. Am liebsten hätte er die Fenster aufgerissen. Aber sie würden ja eh gleich gehen.

      So schritt er nur einmal rasch durch alle Zimmer. Es waren ja nur drei, dazu Bad und Küche. Kaum zu glauben, wie sie hier zu viert gelebt hatten! Außer Isa gab es noch die Zwillinge. Doch die waren schon vor einiger Zeit ausgezogen, er hatte sie bisher nicht kennengelernt.

      Das hier war Isas Zimmer. Kaum wiederzuerkennen! David trat nahe an die Wand. Ja, alles sah sauber und ordentlich aus. Fachmännisch ausgeführt, Respekt!

      Bei seinem letzten Besuch hatte er die Wohnung ziemlich chaotisch-durcheinander gefunden. Isas Gepäck stapelte sich schon überall. Das fehlte jetzt, natürlich auch die Möbel, die standen wohl im Keller. Und außerdem – ja, es war wirklich so, es strahlte von den Wänden! Dieses Weiß war eine gute Entscheidung gewesen. Immerhin, bei der Farbauswahl hatte Yvette seine Hilfe angenommen.

      „Gefällt es dir?“

      Sie lehnte lächelnd im Türrahmen. Wirkte völlig entspannt. Ihre Katze schmiegte sich schnurrend an ihre Beine.

      Er mochte das sanfte Rot auf ihren Lippen. Hätte sie gern geküsst. Aber dann musste sie sich noch einmal schminken. Besser nicht.

      Auf einmal spürte David die Erschöpfung. Drei Tage Geschäftsreise, viel Arbeit, wenig Schlaf. Das zehrte. Er war müde und hungrig. Wenn sie ihn nicht brauchte, konnte er an sich denken. Ein gutes Essen, ein Glas Rotwein.

      Er nickte.

      „Ja, gut gemacht, Frau Restauratorin! Dieses Weiß habe ich ja auch für meine Wohnung ausgewählt. Und nie bereut. Wirkt so adrett.“

      Yvette verzog die Lippen. Doch sie sagte nichts, nickte nur.

      Da war er plötzlich, dieser Hauch von Verletzlichkeit.

      Es war eine Art Aura, die sie umgab, seit er sie kannte. Damals, bei der Vernissage im Museum. Da waren sie sich das erste Mal begegnet. Eine so wunderschöne Frau, sie war ihm sofort aufgefallen! Groß und schlank, die goldenen Haare zu einem Dutt gebändigt, glitzernde Ohrringe und große blaue Augen. Lange ruhte sein Blick auf dem engen Kleid, das ihren Körper umschloss und doch zu enthüllen reizte.

      Doch anstatt die Königin des Balls zu sein, stand sie ganz allein in der Ecke und wirkte völlig in sich versunken. Verletzlich, irgendwo verloren, einsam.

      David rückte seine Krawatte zurecht, nahm zwei Gläser Sekt von einem Tablett und schlenderte hinüber.

      „Verzeihen Sie, Sie stehen hier so unbeweglich, sind Sie auch ein Ausstellungsstück – eine Venus vielleicht? – oder darf ich Ihre Lebensgeister mit einem Schluck Sekt wieder erwecken?“

      Sie lachte auf, griff nach dem Glas und begann bereitwillig mit ihm zu plaudern.

      Wie er erfuhr, arbeitete sie für das Museum, hatte die Ausstellung mit aufgebaut. Das beeindruckte ihn, machte sie noch begehrenswerter.

      Er selbst hatte auch einiges zu bieten: Er sah gut aus, das wusste er. Seinen leichten Bauchansatz hielt er mit regelmäßigen Fitnessstudiobesuchen im Zaum. In seine dunklen Haare mischten sich interessante graue Strähnen. Er achtete auf sein Äußeres, trug stets hochpreisige Markenanzüge. Außerdem verdiente er ordentlich, zeigte sich gern spendabel. Selten hatte er Schwierigkeiten, eine Frau zu verführen, wenn er sie wollte.

      Doch so einfach wie bei Yvette war es noch nie gewesen. Sie fiel ihm quasi in den Schoß. Lachte fröhlich über seine Witze und klimperte mit den langen Wimpern. Schon am ersten Abend landeten sie im Bett.

      Hungrig nach Liebe, hatte er gedacht.

      Und trotzdem gab es diese unsichtbare Grenze, die sie immer wieder von neuem zog.

      „Gehen wir?“

      Yvette streichelte die Katze, dann hakte sie sich bei ihm ein. Er roch den süß-herben Duft ihres Parfüms und merkte, wie er dümmlich lächelte.

      Im Restaurant drehten sich die Köpfe nach ihnen um.

      Ja, wir sind ein schönes Paar!, dachte David und half Yvette aus


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