Yvettes Traum. Florentine Hein
nickte ihr zu und verschwand beschwingten Schritts durchs Gartentor.
Yvette ließ er zurück. Mit einem Berg im Bauch.
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Die Zeitschriften brannten endlich. Eine Weile hatte sie mit Teelicht und Feuerzeug gekämpft, doch jetzt schlugen ihr die Flammen entgegen.
Warum, warum nur hatte sie sich nicht gewehrt? Ihn angeschrien, ihm ins Gesicht gespuckt, ihn ausgelacht? Ihn daran erinnert, dass er ihr einst ewige Liebe geschworen hatte? Dass er Jule gern den Mond schenken könne, sie aber gefälligst aus dem Spiel lassen sollte?
Verdammt!
Sie hatte geschwiegen, wie sie immer geschwiegen hatte. Dankbar für die Brotkrumen, die er ihr hinwarf.
Verdammt, verdammt, verdammt!
Wie viele Jahre war es jetzt her? Mindestens fünfzehn! Und immer noch verfiel sie in diese Rolle des eingeschüchterten Mädchens?
Yvette nahm die nächste Zeitschrift, zerriss sie säuberlich in Stücke und streute sie in die Flammen, die sich gierig darauf stürzten.
Sie war die Mutter seiner Kinder! Sie hatte sie umsorgt und behütet, ihre Windeln gewechselt, ihr Kotze aufgewischt und ihnen die schmutzigen Händchen gehalten. Hatte mit ihnen Hausaufgaben gemacht, sie zu Partys gefahren, um sie gezittert und ihnen ihre Freiheit gelassen. Sie hatte mit ihnen gelacht und geweint, mit ihnen gefiebert und sie umsorgt.
Während er mit Jule auf Malle in der Sonne lag.
Eigentlich hätte er jedes zweite Wochenende die Kinder nehmen sollen. Aber nein, die liebe Jule hatte gerade Kopfschmerzen. Aber nein, die liebe Jule hatte sich gerade die Brüste vergrößern lassen.
Die liebe Jule mochte keine Kinder. Zum Glück, sonst hätte sie auch noch versucht, sie ihr wegzunehmen!
Die nächste Zeitschrift verschwand in den Flammen.
Sein widerliches Gesülze: „Ich werde die Kinder unterstützen. Sie wissen, dass sie auf mich zählen können!“
Von wegen! Ganze hundert Euro hatte er Isa für ihr Jahr in Kanada in die Hand gedrückt. Ihre Tochter war völlig mutlos nach Hause gekommen.
„Ich hatte so gehofft, dass das Geld, das er mir gibt, für die erste Zeit reichen wird. Papa ist doch nicht geizig, oder? Jule hat er am Abend vorher eine Kette mit einem echten Brillanten geschenkt! Den ganzen Tag hat sie sich damit gebrüstet.“
Andy war nicht geizig, nein, das nicht. Nur sorgte die liebe Jule dafür, dass er das Geld besser an sie verschwendete. Sie hatte viele Wünsche! Da mussten sich alle anderen hinten anstellen. Egal, wie wichtig es war! Yvette hatte im Stillen geflucht und geschimpft, dann plünderte sie ihre letzten Ersparnisse für ihr Töchterchen. Schließlich würde es einige Zeit dauern, bis Isa sich im fremden Land zurechtfand und dort für sich selbst sorgen konnte.
Auf dieser Zeitschriftseite war eine glücklich lächelnde Familie im neuen Heim abgebildet. Yvette riss sie in winzige Fetzen.
Kein Wunder, dass sie kein Geld hatte, um die Wohnung zu kaufen. Woher denn auch? Wie hätte sie es denn machen sollen, alleinerziehend? Und trotzdem: Sie hörte nicht auf, Mutter zu sein, nur weil die Kinder aus dem Haus waren. Doch Jule wollte jetzt ihre Wohnung. Sie wollte alles! Und er war dumm genug, ihr alles zu geben. Dieser Warmduscher, Schlappschwanz, Arschkriecher!
Gab es etwas, das sie tun konnte?
Sich irgendwo eine kleinere Wohnung suchen? Hier in der Stadt? Mit Haustier? Bezahlbar?
Utopisch!
Und da war noch was. Eine Sorge, die schon lange in ihrem Hinterkopf rumorte: Papa. Für nächste Woche war seine längst fällige Knieoperation geplant. In seinem kleinen Bergbauhäuschen kam er kaum mehr die Treppe hoch. Insgeheim spielte sie mit dem Gedanken, ihn über kurz oder lang zu sich zu holen. Schließlich war er schon oft zu Besuch gewesen, hatte Zeit mit den Kindern verbracht, der jungen Mutter oben den Wasserhahn repariert und mit dem alten Karl gegenüber etliche Biere gezischt. Hier würde er sich wohler fühlen als in einem Altenpflegeheim. Ein knorziger Baum, der einging, wen man ihn verpflanzte.
Doch so, wie es gerade aussah, konnte sie über die umgekehrte Möglichkeit nachdenken. Mit 49 Jahren nach Hause zurück, um dem gebrechlichen Vater den Haushalt zu führen.
Niemals!
Yvette richtete sich auf.
Gab es irgendeine Handhabe? Sowas wie: Wohnt man länger als zehn Jahre mietfrei in der Wohnung seines Exmannes, so wird die Wohnung als Eigentum anerkannt?
Natürlich nicht.
Wenn sie nur Geld hätte – sie würde es diesem Versager lachend ins Gesicht werfen!
Konnte sie einen Kredit aufnehmen?
Die Banker würden sie auslachen! Sie hatte kein Erspartes, keine feste Anstellung, kein dauerhaftes Einkommen. Nichts. Sie war ein Nichts.
Yvette trat mit dem Fuß gegen den Aschehaufen, der ihr Leben war.
Ließ sich daran etwas ändern? Eine feste Arbeit?
Unwahrscheinlich. Darauf hoffte sie ja schon seit Jahren! Jedes Mal, wenn sie ein neues Projekt annahm. Das sich etwas daraus ergeben würden. Ein doppelter Boden, eine Sicherheit. Doch das war nie der Fall gewesen. Sie hangelte sich von Auftrag zu Auftrag. Rannte schon da oft genug ihrem Geld hinterher.
Trotzdem, sie könnte nachfragen. Die letzte Ausstellung, an der sie mitgewirkt hatte, war immerhin sehr erfolgreich. Und Berta hatte von Veränderungen im Museum gesprochen. Natürlich würden es keine positiven Veränderungen sein. Hurra, wir haben plötzlich Geld! Ein Wunschtraum. Aber sie musste es trotzdem probieren.
Besser, als hier untätig herumzusitzen.
Yvette schnappte sich ihre Handtasche. Streichelte Belle und verließ die Wohnung. Die U-Bahn brachte sie zum Museum. Plakate priesen die aktuelle Ausstellung. Skulpturen - von der Römerzeit bis zur Moderne. Etliche Nächte hatte sie mit dem Erstellen des Ausstellungskatalogs verbracht. Nun lag er zum Erwerb an der Kasse bereit.
Seit vielen Jahren hielten hauptsächlich die Projekte für dieses Museum sie über Wasser. Berta schätzte ihre Arbeit, auch wenn sich diese meist auf dekorieren, katalogisieren und betexten beschränkte.
Yvette nahm nicht den üblichen Besucherweg, sondern öffnete die Tür, die mit „privat“ gekennzeichnet war, und keuchte die Treppe hinauf. Nur schnell, bevor sie der Mut verließ!
Schon stand sie vor Bertas Büro, klopfte, packte den Stier bei den Hörnern und trat ein.
„Berta, ich brauche eine feste Anstellung!“
Die Museumsleiterin blickte erstaunt auf. Sie war der gute Engel dieses Hauses, geradezu mit ihm verwachsen. Ihre grau-en Haare trug sie staubig, ihr Gesicht war von Runzeln überzogen. Manchmal musste Yvette bei ihr an den Lehrer aus Hogwarts denken, der beim Unterrichten verstarb und als Geist einfach weitermachte. Jetzt jedoch glich Berta eher einem traurigen Mops.
„Oh, meine Liebe, es tut mir unendlich leid! Boris hat auch schon danach gefragt.“
Yvette kniff die Lippen zusammen. Ja klar, ihrem Kollegen Boris ging es wahrscheinlich ähnlich. Auch er war Restaurator, auch er schlug sich mit kurzzeitigen Projekten durch. Damit schien er allerdings bisher ganz zufrieden gewesen zu sein. Doch vor einiger Zeit hatte er geheiratet. Eine Frau mit einem guten Job, wahrscheinlich wollte er sich nun ebenfalls beweisen. Sie mochte Boris, doch jetzt verspürte sie einen Stich des Neids. Er hatte als erster gefragt! Würde er auch als erster bekommen, was er wollte?
Ihre Gefühle spiegelten sich wohl in ihrem Gesicht, denn Berta eilte sich zu versichern:
„Wenn ich die Möglichkeiten hätte, dann würde ich natürlich dir den Vorzug geben, deine Arbeit ist brillant! Aber du weißt ja, wie das ist mit der öffentlichen Hand. Sie gibt und nimmt, nimmt, nimmt. Deshalb wollte ich sowieso mit dir sprechen, gut, dass du dich meldest. Die nächste Ausstellung, wir müssen sie noch aufschieben!